Warum Epilepsie bei Kindern leicht übersehen wird

Dr. Deborah Holder, Neurologin am Cedars-Sinai Guerin Children’s (Los Angeles, USA) und Expertin für pädiatrische Epilepsie, erklärt in einem Interview, warum Eltern oft die Anzeichen dafür, dass ihr Kind an Epilepsie leidet, nicht erkennen.

Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, bei der Kinder unter Krampfanfällen leiden. Die Krampfanfälle beruhen auf fehlgeleiteten elektrischen Aktivitäten im Gehirn. Abhängig von der Region im Gehirn, wo die Störungen entstehen, kann sich ein Anfall unterschiedlich äußern. Bilden sich vorübergehend gestörte Aktivitäten in Gehirnregionen, die für Sprache zuständig sind, kann das Kind vielleicht nur dasitzen, vor sich hinstarren und den Mund bewegen, ohne dass es Worte formulieren kann. „Manchmal sehen Kinder mit Anfällen blinkende Lichter oder haben vorübergehend verschwommenes Sehen, was dazu führt, dass bei ihnen fälschlicherweise Migräne diagnostiziert wird“, beschrieb Holder die verschiedenen Anzeichen. Bei letzteren Symptomen haben Anfälle ihren Ursprung in Gehirnregionen, die für visuelle Eindrücke zuständig sind.

Wenig auffällige Anzeichen

Eltern haben oft keine Ahnung hat, dass es sich um epileptische Anfälle handelt, da Epilepsie mit unauffälligen Symptomen verbunden sein kann, wie zum Beispiel, dass jemand für ein paar Sekunden nicht sprechen kann. Wenn diese Symptome verschwinden, vergessen die Menschen oft, nach der Ursache zu suchen. Viele Menschen haben die Vorstellung, dass es sich bei einem Anfall um einen Krampfanfall handeln muss, bei dem es zu Bewusstlosigkeit kommt und die Person zu Boden fällt und der ganze Körper krampft. Das ist Dr. Holder zufolge tatsächlich die seltenste Art von Anfall.
Die häufigsten Anfälle sind kaum wahrnehmbar. Manchmal sitzt jemand einfach da, starrt und reagiert drei oder vier Sekunden lang nicht. Bei einem Kind kann es zu einer unkontrollierbaren motorischen Aktivität kommen, wie z. B. einem Zucken eines Arms oder eines Beins oder Zucken einer Gesichtshälfte, die 30 Sekunden anhält. Betroffene verspüren möglicherweise ein Taubheitsgefühl oder Kribbeln in einem Körperteil oder einen seltsamen Geruch oder Geschmack im Mund, der kommt und geht. Manchmal sind sie nicht in der Lage, Sprache zu verarbeiten, und ihre Sprache ist beeinträchtigt.

Rasche Behandlung wichtig

Mithilfe eines EEG kann eine Epilepsie diagnostiziert werden. Kinder mit Epilepsie können bei ihrem ersten EEG (Elektroenzephalogramm) auch keine Abweichungen zeigen. Daher sind Informationen der Familie wichtig. Besonders hilfreich können dabei Videoaufzeichnung mit dem Smartphone sein.
„Wir verlassen uns stark auf Informationen, die wir durch Gespräche mit Familien sammeln. Oftmals können wir die Diagnose auch ohne diagnostische Untersuchung stellen, führen aber dennoch ein EEG (Elektroenzephalogramm) durch, um zu sehen, ob wir weitere Informationen gewinnen können. Für diesen Test kleben wir Elektroden auf den Kopf, die wie kleine Aufkleber aussehen, um die Gehirnströme zu überwachen“, beschriebt Dr. Holder das Vorgehen.

„Ich rate Familien: Wenn Sie sehen, dass ein Kind ein ungewöhnliches Verhalten zeigt, filmen Sie es […]. Anhand der Aufzeichnung können wir sehr gut erkennen, ob es sich bei dem Ereignis um einen Anfall handelt oder nicht.“

Wird eine Epilepsie nicht diagnostiziert, kann das Kind dadurch beim Lernen beeinträchtigt sein. Die meisten Kinder können allein durch Medikamente anfallsfrei werden. Wenn das Gehirn wächst und sich entwickelt, hören bei vielen Kinder die Anfälle auf und sie müssen langfristig keine Medikamente mehr einnehmen.

„Mehr als ein Drittel der Patienten haben Anfälle, die schwerer zu kontrollieren sind. Bei diesen Kindern führen wir in der Regel erweiterte diagnostische Tests durch, um genau zu sehen, woher die Anfälle kommen. Anschließend entfernen wir den Teil des Gehirns, der die Anfälle verursacht. Heutzutage brauchen wir dafür nur eine sehr kleine Öffnung im Kopf, um die betroffene Stelle mit einem Laser zu behandeln. Die Öffnung wird mit nur einer Naht verschlossen und die Patientin/der Patient geht in der Regel am nächsten Tag nach Hause“, ergänzte Dr. Holder.

Genetische Faktoren beeinflussen Epilepsie

Wissenschaftler*innen haben mehr als 500 Gene identifiziert, die mit Epilepsie in Zusammenhang stehen. „Wenn wir Gentests durchführen, können wir nicht nur sagen, was die Epilepsie verursacht, sondern auch, welche Medikamente wir verwenden sollten. Wir führen Gentests durch, indem wir die Wangeninnenseite abtupfen. Es dauert fünf Minuten“, erläuterte Dr. Holder. Am Guerin Children’s testen Wissenschaftler*innen erstmals eine Gentherapie in Studien bei Patient*innen mit Epilepsie. „Vielleicht können wir eines Tages auch Kinder mit dieser Therapie behandeln“, so die Hoffnung von Dr. Holder.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 04.12.2023

Kinder mit ADHS entwickeln anlagebedingt häufig geringere Körpergröße als Altersgenossen

Eine der größten Studie zum Thema „Körpergröße und Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS)“ kommt zu dem Ergebnis, dass Kinder mit ADHS durchschnittlich nicht ganz so groß werden wie ihre Altersgenossen. Dies ist jedoch anscheinend familiär bedingt und hängt nicht mit der Einnahme von Medikamenten zur Behandlung von ADHS zusammen.

Die Forscher*innen aus Schweden, Großbritannien und der USA verglichen die Daten von 14.268 Personen mit Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) und 71.339 Kontrollpersonen (alle Probanden waren Männer aus dem schwedischen Wehrpflichtregister), aufgeteilt in zwei Gruppen: Eine Gruppe von Männern, deren Daten vor Einführung der Stimulanzienbehandlung in Schweden erhoben wurden, und eine Gruppe von Männern mit Daten aus der Zeit nach der Einführung von ADHS-Medikamenten. Um die Rolle familiärer Faktoren zu beurteilen, analysierten die Forscher*innen Daten für eine familienbasierte Gruppe, die aus einem anderen schwedischen nationalen Register erstellt wurde und 833.172 Personen umfasste. Einmal betrachteten die Forscher*innen Personen mit ADHS und deren Familienangehörige mit unterschiedlichem Verwandtschaftsgrad, die kein ADHS entwickelt hatten. Diese Gruppe stellte sie Menschen ohne ADHS und ihren Verwandten gegenüber.

Neben familiären Faktoren haben auch Bedingungen vor der Geburt Einfluss

Die Analysen zeigten, dass der Zusammenhang zwischen geringer Körpergröße und ADHS auf familiären Faktoren beruhte, wobei Verwandte von Personen mit ADHS mit größerer Wahrscheinlichkeit eine geringere Körpergröße aufwiesen als Verwandte von Personen ohne diese Erkrankung. Die Studie ergab, dass der Zusammenhang zwischen geringerer Körpergröße und ADHS teilweise auch durch pränatale Faktoren, psychiatrische Störungen, einen niedrigen sozioökonomischen Status erklärt werden konnte. Die Einnahme von ADHS-Medikamenten hatte demnach keinen Einfluss darauf.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 15.11.2023

Suizidprävention: Psychische Erkrankungen meist ursächlich für Suizid

Etwa 25 Menschen sterben in Deutschland täglich durch Suizid, 500 begehen einen Versuch. Darauf wies die Stiftung Deutsche Depressionshilfe anlässlich des Welttags der Suizidprävention am 10. September hin. Die meisten Selbsttötungen erfolgen demnach im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen. In den vergangenen 40 Jahren habe sich diese Zahl halbiert. Das liegt laut dem Vorsitzenden der Stiftung, Prof. Dr. med. Ulrich Hegerl, vor allem daran, „dass mehr Menschen mit Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen sich Hilfe holen und eine Behandlung erhalten“. Aufgrund von Wissensdefiziten, Stigmatisierungen, der krankheitsbedingten Antriebs- und Hoffnungslosigkeit sowie vor allem auch Defiziten im Gesundheitssystem bestünden jedoch weiter große Versorgungslücken: „Es ist völlig inakzeptabel, dass ein suizidgefährdeter Mensch oft erst nach Wochen einen Facharzttermin bekommt“, so Hegerl.

Die Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden hat eine spezialisierte Ambulanz für suizidgefährdete Menschen eingerichtet. Eine Arbeitsgruppe (AG) Suizidforschung setzt sich darüber hinaus dafür ein, die Öffentlichkeit für das Thema Suizid zu sensibilisieren. „Insbesondere das Thema Kliniksuizid beschäftigt auch die Mitarbeitenden im Dresdner Uniklinikum. Leider sind auch wir im Klinikalltag mit solchen Ereignissen konfrontiert“, sagte Prof. Dr. med. Michael Albrecht. Die Ambulanz soll die klinische und ambulante Versorgung von suizidalen Menschen verbessern und die Stationsteams im Umgang mit Suizidalität unterstützen.

Das Thema Suizidprävention ist auch in der Politik angekommen. So hat der Bundestag im Juli die Erarbeitung einer nationalen Suizidpräventionsstrategie beschlossen. 

Quelle: www.aerzteblatt.de, PP 22, Ausgabe Oktober 2023

Kinder und Jugendliche: „Mental Health Coaches“ für die Schulen

Kinder und Jugendliche sollen in Schulen künftig mehr Unterstützung für ihre psychische Gesundheit erhalten. In einem Modellprogramm an rund 100 Schulen werden „Mental Health Coaches“ Wissen über psychische Gesundheit vermitteln sowie über vertiefende Hilfs- und Beratungsangebote informieren.

„Die letzten Jahre waren enorm stressig. Corona war mit massiven Einschränkungen und massiven Belastungen verbunden“, sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne). Die „Mental Health Coaches“, also Sozialpädagogen, sollen der Ministerin zufolge sichere Räume in den Schulen schaffen. „Wichtig ist, sich in solchen Situationen nicht zu schämen, sondern sich die Hilfe zu holen, die man braucht“, sagte Paus.

Mehrere Studien belegen, dass Kinder und Jugendliche in der Coronazeit gelitten haben: Präsenzunterricht, Sport und Hobbys fanden nicht mehr statt; Freunde durften nicht mehr getroffen werden. Paus zufolge nahmen Depressionen und Essstörungen stark zu. „Dann ging es wieder in die Schule und es hieß: Aufholen, aufholen. Und dann kam gleich drauf der Krieg in Europa“, sagte die Ministerin. Und die Folgen, wie die Inflation, würden alle beschäftigen. Jeder gehe mit solchen Belastungen anders um. Daher sei es wichtig, Ansprechpartner für individuelle Sorgen zu haben. 

Quelle: www.aerzteblatt.de, PP 22, Ausgabe Oktober 2023

Kinder und Jugendliche: Selbstverletzendes Verhalten „epidemisches Problem“

Selbstverletzendes Verhalten ist bei Kindern und Jugendlichen ein weit verbreitetes Problem. Darauf hat der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP), Prof. Dr. med. Marcel Romanos, hingewiesen. Er bezeichnete Ritzen als ein außerordentlich häufiges Phänomen im frühen Jugendalter, das insbesondere bei jungen Mädchen „epidemisch“ sei.

Romanos befragte mit seinem Team an der Uniklinik Würzburg im vergangenen Jahr rund 880 Schülerinnen und Schüler im Alter von elf bis 14 Jahren zu ihrem psychischen Befinden. Demnach gaben rund elf Prozent an, sich selbst zu verletzen, etwa in Form des Ritzens. 30 Prozent der Befragten gaben an, schon einmal Suizidgedanken gehabt zu haben.

„Selbstverletzung ist ein Hochrisikofaktor für schwere psychische Erkrankungen wie Depressionen und suizidales Verhalten. Langfristig ist es äußerst schädlich“, warnte Romanos. Es sei ein „Ausdruck von starken emotionalen Anspannungszuständen und der mangelnden Fähigkeit, Gefühle adäquat zu regulieren“, so der Experte weiter. Auch internationale Studiendaten zeigten, dass emotionale und affektive Störungen unter Jugendlichen deutlich zunähmen und insbesondere junge Mädchen zunehmend unter Druck gerieten.

Nach aktuellen Daten der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) sind besonders junge Frauen im Alter von 15 bis 18 Jahren betroffen. Im Fokus stehen Angststörungen, Depressionen und Essstörungen wie Magersucht und Bulimie. Demnach stieg von 2012 auf 2022 der Anteil der 15- bis 18-jährigen Versicherten mit Angststörungen um 115 Prozent, mit Depressionen um 122 Prozent und mit Essstörungen um 62 Prozent. 

Quelle: www.aerzteblatt.de, PP 22, Ausgabe Oktober 2023

Prävention psychischer Erkrankungen: Noch ziemlich am Anfang

In Zeiten von Krisen, wie der Coronapandemie, dem Angriffskrieg gegen die Ukraine oder der immer spürbarer werdenden Klimakatastrophe, nehmen psychische Erkrankungen zu. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten haben kaum noch Kapazitäten, die vielen Hilfesuchenden unterzubringen. Das Warten auf einen Therapieplatz nach dem Erstgespräch wird immer länger. Die gesamtgesellschaftlichen Kosten von ebenfalls zunehmenden Frühberentungen aufgrund psychischer Erkrankungen kann sich das Land langfristig nicht mehr erlauben, auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel. Vom Leid der Betroffenen ganz abgesehen.

Neben dem dringend notwendigen Ausbau von Behandlungsangeboten wäre es notwendig, einen Schritt früher anzusetzen und psychischen Erkrankungen vorzubeugen. Im somatischen Bereich gibt es regelhafte Vorsorgeuntersuchungen wie die U-Untersuchungen für Kinder und Jugendliche oder die diversen Check-ups für Erwachsene. Zur Prävention psychischer Erkrankungen beziehungsweise zur Förderung der psychischen Gesundheit gibt es hingegen nicht viel. „Wir stehen noch ziemlich am Anfang. In der Bevölkerung gibt es wenig Wissen darüber, was sie für ihre psychische Gesundheit tun können“, sagte Dr. phil. Andrea Benecke, Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), bei einer Veranstaltung mit dem Titel „Mentale Gesundheit – Raus aus der Defensive“. Präventiv wirksam sei grundsätzlich, sich selbstwirksam zu erleben, sozial eingebunden zu sein und soziale Unterstützung zu erleben.

Viele Menschen erleben eben das nicht und fühlen sich einsam. Immerhin reagiert das Bundesfamilienministerium mit einer „Strategie gegen Einsamkeit“ seit dem vergangenen Jahr auf diese gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Es geht darum, Wissen über Einsamkeit zu vertiefen, um die Sensibilität zu erhöhen. Es geht aber auch darum, Orte für gemeinsames Erleben zu schaffen.

Darüber hinaus müsste mehr Menschen, von denen man weiß, dass sie ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen haben, aufsuchende Angebote gemacht werden. Darauf wies jedenfalls die BPtK-Präsidentin hin. Zum Beispiel sozialökonomisch schwächeren Menschen, Kinder psychisch oder suchtkranker Eltern. Zudem sollten die U- und J-Untersuchungen bei Kinderärzten in Bezug auf die Erfassung von psychischen Belastungen angepasst werden, um früher eingreifen zu können, wenn die psychischen Belastungen zu viel werden. Sinnvoll könnte auch ein Schulfach „Gesundheitsvorsorge“ sein, bei dem die psychische Gesundheit nicht fehlen darf, oder ein Schulfach Psychologie, Stichwort „mental health literacy“.

Für Schülerinnen und Schüler ist das Modellprogramm des Bundesfamilienministeriums eine gute Initiative: An rund 100 Schulen sind jetzt „Mental Health Coaches“ im Einsatz. Sozialpädagogen vermitteln dabei Wissen über psychische Gesundheit und vermitteln vertiefende Hilfs- und Beratungsangebote (Seite 437). Bei Zehntausenden Schulen in Deutschland ist das Programm naturgemäß ein Tropfen auf den heißen Stein, aber immerhin ein Anfang. Wenn das Programm gut läuft, sollte nicht vergessen werden, es zu verstetigen. Ebenso wie die vielen anderen Projekte zur Prävention, die nach der Modellphase oft einfach auslaufen.

Quelle: www.aerzteblatt.de; PP 22, Ausgabe Oktober 2023

Viele Kinder meiden die Schultoiletten

Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit des Universitätsklinikums Bonn leitet wissenschaftliche Auswertung einer umfassenden Studie zu Sanitäranlagen an Berliner Schulen. Aus den Studienergebnissen geht klar hervor, dass die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler die Schultoiletten als einen negativen Ort wahrnimmt und daher die Nutzung von vielen vermieden wird.

Zusammen mit dem Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit (IHPH) des Universitätsklinikums Bonn (UKB) hat die German Toilet Organization (GTO) mit Sitz in Berlin eine wissenschaftliche Studie zu Schultoiletten an 17 weiterführenden Schulen aus 11 Berliner Bezirken durchgeführt. Demnach meidet die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler die Schultoiletten. Funktionelle Schäden, fehlende Privatsphäre, Gestank und eine unzureichende Versorgung mit Füllgütern wie Toilettenpapier und Seife sind weitere Beanstandungen, die sich mit Berichten aus anderen Städten decken. Es wurde aber auch deutlich, dass einfache Maßnahmen signifikante Verbesserungen erzielen können. Dazu gehören die strukturell verankerte Partizipation der Schülerinnen und Schüler in die Gestaltung und Nutzung von Sanitärräumen, ein gut organisiertes und sichtbares Mängelmanagement durch die Schule sowie die Umsetzung von zwei Reinigungszyklen pro Tag, wovon mindestens eine im Tagdienst durchgeführt werden sollte.

Ziel der Berliner Studie [1] war es, valide Daten zur subjektiven Wahrnehmung und dem Nutzungsverhalten aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler bezüglich ihrer Schultoiletten zu erheben und gleichzeitig eine Bestandsaufnahme zur Funktionsfähigkeit und Ausstattung sowie zu wichtigen strukturellen Prozessen wie Reinigung, Wartung und Instandhaltung der Schultoiletten durchzuführen. Darüber hinaus war es den Autorinnen und Autoren der Studie in der Konzeption und Auswertung besonders wichtig, mögliche Zusammenhänge zwischen einzelnen Messgrößen zum Zustand der Toiletten, strukturellen Maßnahmen der Schule und der Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler zu ermitteln. Aus den Ergebnissen konnten Handlungsempfehlungen für Schulen und Politik abgeleitet werden, verbunden mit einer klaren Aufforderung, jetzt zu handeln.

Die Ergebnisse bestätigen die Erfahrungen, die sowohl die GTO als auch das IHPH in vielfältigen Projekten gesammelt haben: Sanitärräume sind dann ein Ort, an dem sich die Schulkinder gerne aufhalten, wenn sie in ihrer Komplexität erfasst und so gestaltet werden, dass sie nicht allein auf das Merkmal „Ausstattung“ oder „Fehlverhalten der Schülerinnen und Schüler“ reduziert werden. Die Vermeidung des Toilettengangs während des Schulaufenthalts aufgrund der negativen Wahrnehmung der Sanitärräume führt zu einer Reihe vielfach belegter gesundheitlicher Risiken, angefangen von Konzentrationsstörungen bis hin zu Blasenentzündungen, Verstopfung mit Bauchschmerzen und sogar Infektionskrankheiten. Aus diesem Grunde drängen das IHPH und auch die GTO schon lange darauf, den Ort endlich aus der Tabuzone herauszuholen und anstelle von Schuldzuweisungen eine konstruktive, gemeinschaftliche Herangehensweise für eine nachhaltige Besserung der Zustände voranzutreiben.

Dr. Andrea Rechenburg, die die Auswertung der Daten am IHPH leitete, betonte, dass das Monitoring des Nachhaltigkeitsziels Nr. 6 „Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten“ in Deutschlands Schulen lückenhaft ist, auch wenn national die Versorgung als gesichert gilt. Hier entsteht der Eindruck, dass im Grunde kein Handlungsbedarf bestehe, dabei sind aktuell keine Daten für weiterführende Schulen und den städtischen und ländlichen Raum vorhanden, und die tatsächliche Funktionalität von Sanitärräumen wird nicht dokumentiert. Zukünftig müsse mit erweiterten Indikatoren gearbeitet werden, die abbilden, welche Bedarfe es für die Schülerinnen und Schüler heute wirklich gibt und wo diese im Sinne des Nachhaltigkeitsziel 6 für alle und zu jeder Zeit erfüllt werden.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 27.10.2023

Selbstmordrisiko ist bei Jugendlichen nachts am größten

Amerikanische Forschungsergebnisse zeigen, dass das Suizidrisiko bei jungen Menschen einem tageszeitlichen Muster zu folgen scheint und nachts zunimmt.

In einer Umfrage unter psychiatrisch hospitalisierten Jugendlichen gaben mehr als die Hälfte der Teilnehmer*innen an, dass ihr letzter Selbstmordversuch abends und nachts stattgefunden habe. Der Studie zufolge deutet die tageszeitliche Variation der Suizidgedanken auf die Notwendigkeit einer verstärkten Unterstützung in den späteren Stunden des Tages hin, um das Suizidrisiko junger Menschen zu senken. Selbstmordgedanken und -versuche sind demnach morgens anscheinend am niedrigsten und abends am höchsten, insbesondere bei Jugendlichen, die zu selbstkritischem Grübeln neigen.
Die Ergebnisse wurden in der auf der Jahrestagung der Associated Professional Sleep Societies vorgestellt.

Gedanken an Selbstmord können suizidales Verhalten vorhersagen, und „alarmierenderweise“ haben sowohl Suizidgedanken als auch suizidales Verhalten zugenommen, betonte die leitende Forscherin Dr. Anastacia Kudinova, PhD, von der Alpert Medical School der Brown University in Providence (Bundesstaates Rhode Island). „Es besteht ein dringender Bedarf, […] Risikofaktoren für Suizid zu beschreiben, sodass wir feststellen können, wer innerhalb von Wochen, Tagen oder sogar Stunden ein höheres Suizidrisiko hat“, erklärte sie.

Die Wissenschaftler*innen befragten 165 Jugendliche im Alter von 11 bis 18 Jahren (72% weiblich), die stationär in einer psychiatrischen Klinik behandelt wurden, nach der Tageszeit ihres letzten Selbstmordversuchs. Mehr als die Hälfte (58%) gab an, dass dies abends und nachts geschah, bei mehr als einem Drittel erfolgte der Versuch tagsüber (35%) und bei nur wenigen morgens (7%).

Kritisches Zeitfenster

Dr. Casey O’Brien, PsyD, Psychologin in der Abteilung für Psychiatrie am Irving Medical Center der Columbia University, New York, kommentierte, dass die Ergebnisse dieser Studie mit dem übereinstimmen, was sie in der Klinik beobachtet.

Jugendliche erzählten in Sitzungen oft, dass die „unstrukturierte Zeit der Nacht – insbesondere die Zeit, in der sie normalerweise ins Bett gehen sollten, aber irgendwie wach bleiben – für sie tendenziell eine sehr verletzliche Zeit sei“, berichtete Dr. O’Brien in einem Interview.

Dr. O’Brien leitet ein Verhaltenstherapie-Programm für junge Menschen mit psychischen Problemen an der Columbia University. Dr. O’Brien und Kolleg*innen versuchen dabei mit Jugendlichen Strategien zu entwickeln, die das Zubettgehen und Einschlafen erleichtern. Zu diesen Strategien kann gehören, vor dem Schlafengehen Zeit mit den Eltern zu verbringen, zu lesen oder in ihre Schlafenszeit Dinge einzubauen, die sie als beruhigend und entspannend empfinden, wie etwa eine längere Dusche zu nehmen oder bequeme Pyjamas anzuziehen, erklärte sie. „Wir arbeiten auch intensiv an Schlafhygienestrategien, um eine regelmäßige Schlafenszeit und einen konsistenten Schlaf-wach-Rhythmus zu erreichen“, sagte Dr. O’Brien.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 16.10.2023

Wie lange Kinder und Jugendliche vor dem Bildschirm sitzen sollten

Soziale Netzwerke, Fernsehen, Zocken: Wie viel Zeit Kinder und Jugendliche damit verbringen, dürfte in vielen Familien ein Streitthema sein. Fachleute geben Eltern nun klare Orientierungswerte an die Hand.

Ab in den Schrank mit der Konsole und eine Sanduhr neben das Tablet: Mit konkreten Tipps wollen Fachleute Eltern helfen, die Bildschirmzeit ihrer Kinder zu begrenzen. Für Kinder und Jugendliche sei es umso besser, je weniger Zeit sie vor Bildschirmen verbringen, heißt es in einer Leitlinie die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) und mit Beteiligung der Uni Witten/Herdecke entstanden ist. Darin geht es darum, einer Suchtentwicklung vorzubeugen.

Die empfohlene gesamte Bildschirmzeit vom Fernsehen über das Zocken am Computer bis zur Internetnutzung per Smartphone:

  • Unter 3 Jahren: Die Allerkleinsten sollten von jeglicher passiven und aktiven Nutzung von Bildschirmmedien ferngehalten werden, wie die Autoren schreiben. Das bedeutet, dass vor ihren Augen zum Beispiel möglichst auch die Eltern nicht ständig aufs Handy schauen sollten.
  • 3 bis 6 Jahre: Geraten wird zu höchstens 30 Minuten an einzelnen Tagen zum Heranführen an solche Medien. Das Kind soll dabei nicht allein gelassen werden. Die Nutzung einer Sand- oder Stoppuhr könne helfen zu begreifen, wie schnell die Zeit vor dem Bildschirm verfliegt.
  • 6 bis 9 Jahre: höchstens 30 bis 45 Minuten an einzelnen Tagen, außerhalb der Hausaufgaben am Bildschirm.
  • 9 bis 12 Jahre: höchstens 45 bis 60 Minuten in der Freizeit vor einem Bildschirm und nur beaufsichtigter Internetzugang.
  • 12 bis 16 Jahre: maximal ein bis zwei Stunden täglich in der Freizeit und spätestens bis 21.00 Uhr. Weiterhin mit inhaltlicher Begleitung und beschränktem Internetzugang.
  • 16 bis 18 Jahre: Die Zeit durch Regeln festlegen, als ein Orientierungswert werden zwei Stunden Nutzung in der Freizeit pro Tag angegeben.

Eigene Geräte:

  • Kinder unter neun Jahren sollten laut Leitlinie weder eine eigene Spielkonsole noch einen freien Internetzugang bekommen. Wer eine eigene Konsole besitze, verbringe im Schnitt doppelt so viel Zeit mit Computerspielen wie Kinder ohne. Die Autoren raten zum Aufbewahren des Geräts in einem abgeschlossenen Schrank, um als Eltern über die Nutzung bestimmen zu können.
  • Ein eigenes Smartphone wird frühestens ab 9 Jahren, besser frühestens ab 12 Jahren empfohlen, wobei der Internetzugang eingeschränkt sein soll. Ab 16 Jahren könne er uneingeschränkt sein.

Die Fachleute empfehlen insbesondere bei kleineren Kindern, die Zeiten am Smartphone, Tablet oder TV mit „qualitativ hochwertigen Inhalten“ zu verbringen. Eltern sollten wenn möglich dabei sein und hinterher mit dem Nachwuchs über das Gesehene sprechen.

Bildschirmmedien sollten auch nicht als Belohnung, Strafe oder zum Beruhigen genutzt werden, hieß es. Während der Mahlzeiten wird dazu geraten, die Geräte ganz beiseite zu legen. Zum Thema Unterricht heißt es: „Eltern und Lehrer*innen sollen informiert und unterstützt werden, auf digitalen Fernunterricht wann immer möglich zu verzichten.“

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 02.10.2023

Jugendalter: Fünf ist die magische Zahl bei Freundschaften

Den meisten Vätern und Müttern von Teenagern ist bewusst, dass Kinder irgendwann anfangen, ihren Freunden Vorrang vor ihren Eltern zu geben. Während kleine Kinder bei sozialen Interaktionen und Einflüssen auf ihre Eltern angewiesen sind, überwiegt im Jugendalter der Einfluss von Gleichaltrigen und Freunden.

Untersuchungen belegen die Annahme, dass Freundschaften im Jugendalter besonders wichtig sind. Sie scheinen vor einigen Problemen zu schützen. Und in einer neuen Studie, die in eLife veröffentlicht wurde, zeigen Forscher, dass es sich positiv auf die kognitiven Fähigkeiten, die psychische Gesundheit und die schulischen Leistungen auswirkt, wenn man zu Beginn der Pubertät etwa fünf Freunde hat.

Weniger als fünf Freunde bergen das Risiko, dass evtl. keiner von ihnen bei Bedarf gerade verfügbar ist. Bei mehr als fünf Freunden kann es sein, dass die Beziehung zu den einzelnen nicht besonders tief geht. Es gibt daher einen Kompromiss zwischen Quantität und Qualität von Freundschaften. Zudem können viele Aktivitäten mit vielen Bekannten dazu führen, dass die Zeit für das Lernen nicht ausreicht und sich dadurch die akademischen Leistungen verschlechtern.

Positiver Effekt auf psychische Gesundheit, soziales Verhalten und kognitive Fähigkeiten
Die Ergebnisse basieren auf einer großen Datenmenge der Studienkohorte Adolescent Brain Cognitive Development (ABCD), die 7.512 Teilnehmer*innen im Alter von 9–11 Jahren umfasste. Die gleiche Kohorte wurde zwei Jahre später im frühen Jugendalter nachuntersucht, wobei Daten von 4.290 Teilnehmern verfügbar waren.

Sie fanden Zusammenhänge zwischen der Anzahl enger Freunde und der psychischen Gesundheit, sozialen Problemen und kognitiven Fähigkeiten, einschließlich Gedächtnis, Lesen und Wortschatz. Ungefähr fünf enge Freunde waren die optimale Zahl – und diese Assoziationen blieben auch zwei Jahre später konstant.

Bei weniger als vier oder mehr als sechs Freunden verringerten sich die Vorteile. Anhand eines zweiten Datensatzes von über 16.000 Jugendlichen bestätigte das Team die Zusammenhänge zwischen der Größe des engen Freundeskreises und dem Schulabschluss sowie dem Wohlbefinden.

Im Hinblick auf die Gesundheit des Gehirns wurde festgestellt, dass die Anzahl enger Freunde mit der Fläche und dem Volumen des Kortex (der äußersten Schicht des Gehirns) zusammenhängt, und dies insbesondere in Regionen, die für soziale Interaktionen zuständig sind. Fünf Freunde zu haben war mit mehr Volumen in diesen Regionen verbunden. Diese Gehirnregionen sind auch für andere Formen der Kognition wichtig, beispielsweise für Aufmerksamkeit und die Regulierung von Emotionen. Menschen, die fünf Freunde gefunden hatten, wiesen eine verbesserte Aufmerksamkeit und soziale Leistungsfähigkeit auf.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 29.09.2023