Haben trans- und genderdiverse Personen keine (vollständige) endogene Pubertät durchlaufen, so wirkt sich das einer Studie zufolge offenbar nicht auf sexuelle Zufriedenheit und Funktionsstörungen aus.
Wie niederländische Forschende um Isabelle S. van der Meulen, Amsterdam University Medical Center, in The Journal of Sexual Medicine berichten, gab es keinen Unterschied zwischen einem frühen oder späteren Beginn der Pubertätsblockade.
Die sexuelle Zufriedenheit von trans Menschen sei dabei ähnlich wie die der Allgemeinbevölkerung. Die Autoren betonen zudem die Bedeutung einer entsprechenden Aufklärung und das Erforschen von Faktoren, die das sexuelle Wohlbefinden beeinflussen.
„Bisher haben Kritiker einer pubertätsunterdrückenden Hormonbehandlung argumentiert, dass die sexuelle Erlebnisfähigkeit beeinträchtigt werden könnte, und dass die psychosexuelle Entwicklung abgeschlossen sein müsse, bevor hormonelle Schritte begonnen werden sollten“, wird Achim Wüsthof, Facharzt für Kinder- und Jugendmedizin sowie für Pädiatrische Endokrinologie und Diabetologie, Endokrinologikum Hamburg, im Science Media Center zitiert. Die Studie lege nun nahe, dass diese Bedenken nicht unbedingt zutreffend seien.
Florian Zepf, Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie, Universitätsklinikum Jena, hält dagegen: „Obwohl das Thema zweifellos von hoher klinischer und ethischer Relevanz ist, erlaubt das methodische Design der Studie keine belastbaren Schlussfolgerungen zu Risiken oder Langzeitwirkungen einer frühen Pubertätssuppression.“
Die in der Publikation suggerierte und vermeintliche Harmlosigkeit einer frühen Pubertätssuppression für die sexuelle Zufriedenheit sei durch diese Ergebnisse nicht empirisch gedeckt, sondern basiere auf unzureichend validen Daten, „die den zentralen Fragestellungen der Studie nicht gewachsen sind.“
Der Experte nennt wichtige Limitationen der Studie, unter anderem den Einschluss mehrerer Interventionen, die geringe Stichprobengröße und die niedrige Teilnahmequote.
„Die Studie ist massiv unterpowered, weswegen die Verfasser der Studie vor allem Prozentwerte und keine spezifischen statistischen Gruppenvergleiche angeben, insbesondere da die Untergruppen sehr klein sind“, so Zepf weiter. Das limitiere massiv die Aussagekraft.
Frühe versus späte Pubertätsblockade
In ihre retrospektive Kohortenstudie schlossen die Forschenden 50 trans Männer und 20 trans Frauen ein, die mit Pubertätsblockern und einer geschlechtsangleichenden Hormontherapie (GAH) behandelt wurden. 57 % unterzogen sich einer geschlechtsangleichenden Operation.
Die Pubertätsblocker wurden im Schnitt 14 Jahre vor der Studie initiiert. Die Autoren bewerteten die sexuellen Erfahrungen der Teilnehmenden mindestens 9 Jahre nach der GAH mithilfe eines selbst entwickelten Fragebogens und verglichen die Ergebnisse zwischen Gruppen mit früher (24 %) und später (76 %) pubertätsblockierender Behandlung.
Die Ergebnisse wurden zudem mit Daten einer Transgenderkohorte verglichen, die ihre geschlechtsangleichenden Therapien im Erwachsenenalter begannen.
72 % der transmaskulinen Personen berichteten, im letzten Jahr mehr als einmal pro Monat Geschlechtsverkehr gehabt zu haben versus 40 % der transfemininen Personen. Bei cisgeschlechtlichen Personen in Studien aus Belgien und den Niederlanden waren 15 % beziehungsweise 22,5 % in den letzten 6 Monaten sexuell nicht aktiv.
52 % der trans männlichen und 40 % der trans weiblichen Personen waren mit ihrer Sexualität zufrieden. Die Ergebnisse unterschieden sich nicht zwischen den Gruppen, die Pubertätsblocker früh und spät begonnen hatten. Zum Vergleich: In der cisgender-Population sind 47 % zufrieden mit ihrer Sexualität (55 % versus 45 % Männer versus Frauen).
Fokus auf sexuelle Funktionsstörungen
Unter den trans Männern berichteten 58 % über mindestens eine sexuelle Dysfunktion; am häufigsten (34 %) hatten sie Schwierigkeiten damit, den sexuellen Kontakt zu initiieren. Die meisten sexuellen Probleme gingen dabei mit Distress einher.
In der Gruppe der trans Frauen erlebte die Hälfte mindestens eine sexuelle Dysfunktion. Am häufigsten hatten sie Schwierigkeiten, einen Orgasmus zu bekommen (35 %).
Die meisten Arten von Funktionsstörungen wurden aber jeweils nur von einer Minderheit der trans Personen berichtet. Die Prävalenz sexueller Dysfunktionen war ähnlich zu der von transgender Personen, die ihre geschlechtsangleichenden Therapien im Erwachsenenalter begonnen hatten.
Die frühzeitige Unterdrückung der endogenen Pubertät scheint den Autoren zufolge, im Gegensatz zu den in der Literatur aufgestellten Hypothesen, das Risiko für sexuelle Funktionsstörungen bei trans Personen nicht zu erhöhen. Die Prävalenzraten unterschieden sich nicht von früher und später pubertätsblockierender Behandlung (47 % versus 59 %), so die Forschenden.
Laut den Autoren ermöglichen die Ergebnisse Gesundheitsfachkräften, genaue und personalisierte Informationen über die zu erwartenden Auswirkungen einer frühen endokrinen geschlechtsangleichenden Hormontherapie bereitzustellen.
Quelle: www.aerzteblatt.de vom 18.06.2025