Kinder leiden bei Scheidung gesundheitlich – vor allem ohne Vater

Wenn Vater und Mutter sich trennen, ist das auch für die Kinder eine große Belastung. Eine norwegische Studie hat festgestellt, dass Kinder gesundheitliche Beschwerden bekommen können, wenn ihr Vertrauensverhältnis zum Vater gestört wird.

Wenn nach einer Scheidung das Verhältnis zum Vater schlechter wird, kann sich das auf die Gesundheit der Kinder auswirken. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Universität Bergen in Norwegen, die im „Scandinavian Journal of Public Health“ veröffentlich wurde. Angst, Depression, emotionale Probleme oder Stress könnten die Folge sein, sagte einer der Autoren der Studie, Dr. Eivind Meland, der Deutschen Presse-Agentur.

Die Wissenschaftler stellten fest, dass es einen Zusammenhang gibt zwischen der Kommunikation mit dem Vater und der Gesundheit der Kinder. „Die meisten gesundheitlichen Beschwerden hatten Kinder, die angaben, den Kontakt zum Vater verloren zu haben oder die es schwierig fanden, nach der Scheidung mit ihm zu sprechen“, verdeulichte Meland von der Universität Bergen. Vor allem vielen Mädchen falle es schwer, mit ihrem Vater zu sprechen. Die Scheidung schien die Kommunikation mit der Mutter hingegen nicht zu beeinflussen.
Bei der Studie wurden 1225 Jugendliche in einem Zeitraum von zwei Jahren (2011-2013) befragt. Zu Beginn waren 213 der Teenager Scheidungskinder, am Ende 270. Nach Angaben des Instituts für öffentliche Gesundheit sind rund 40 Prozent aller Jugendlichen in Norwegen von einer Trennung der Eltern betroffen.

Wenn die Kinder nach der Scheidung angaben, ein gutes Verhältnis zu beiden Elternteilen zu haben, schien die Trennung das Selbstwertgefühl oder die Gesundheit der Kinder nicht negativ zu beeinflussen. Doch in viele Fällen leide das Vertrauensverhältnis zum Vater, wenn die Ehe in die Brüche geht. „Wenn die Scheidung vor Gericht gebracht wird, wird am häufigsten der Mutter der Status als Hauptbetreuerin zuerkannt“, so Meland. Es werde vermutet, dass dreimal mehr Kinder den Kontakt zu ihren Vätern verloren haben als zu ihren Müttern. Die Ursachen haben die Forscher nicht untersucht.

Meland mahnt dazu, die Rolle des Vaters bei der Entwicklung eines Kindes nicht unterzubewerten. „Unsere Forschung zeigt deutlich, dass eine enge Beziehung zu beiden Elternteilen wichtig für die Gesundheit der Kinder ist. Das sollte sich auf die Familienpolitik auswirken“, so Meland.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 24.01.2020

Kinder mit Rhythmusstörungen leiden häufiger unter ADHS, Angstzuständen und Depressionen

In einem Vortrag anlässlich der Scientific Sessions der American Heart Association (AHA) im November 2019 kommen Prof. Dr. Keila N. Lopez M.D. M.P.H.,Medical Director of Cardiology Transition Medicine, Division of Pediatric Cardiology, Texas Children’s Hospital-Baylor College of Medicine, Houston, Texas, und Kollegen kommen zu dem Ergebnis, dass Kinder und Jugendliche mit Herzrhythmusstörung häufiger an Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörungen (ADHS), Angstzuständen und Depressionen leiden als Gleichaltrige mit anderen chronischen Krankheiten oder aber auch als gesunde Altersgenossen.

„Es ist wichtig, sowohl auf die Herzrhythmusstörungen als auch die psychische Gesundheit von Kindern zu achten. Bei Kindern und Jugendlichen mit Herzrhythmusstörungen und anderen chronische Erkrankungen sollte Eltern und Kinder- und Jugendärzte verstärkt auch nachfragen, ob Angstzustände und/oder Depressionen vorliegen, um sicherzustellen, dass diese bei Bedarf ebenso behandelt werden“, rät Dr. Hermann Josef Kahl, Kinder- und Jugendarzt sowie Kinderkardiologe. Bei jungen Erwachsenen, die mit Herzfehlern geboren wurden, konnten vergangene Studien bereits höhere Raten von Depressionen, Angstzuständen und ADHS beobachten.

Herzrhythmusstörung, angeborene Herzfehler und Mukoviszidose belasten Psyche besonders stark

Die Forscher analysierten die Aufzeichnungen von mehr als einer Viertelmillion Kindern, die zwischen 2011 und 2016 in die Notaufnahme des Texas Children’s Hospital eingeliefert wurden oder sich dort befanden. Sie überprüften Daten von mehr als 7.300 Kindern mit abnormalem Herzrhythmus und verglichen sie mit Heranwachsenden mit bestimmten chronischen Erkrankungen, wie Mukoviszidose, Sichelzellkrankheit, und Kindern ohne eine solche Erkrankung. Bei Kindern mit Arrhythmien wurden demnach neunmal häufiger Angstzustände und/oder Depressionen diagnostiziert oder behandelt und fast fünfmal häufiger ADHS als bei Kindern ohne die beiden o.g. chronische Krankheiten. Über 20% der untersuchten Kinder, die unter einer Herzrhythmusstörung, einem angeborenen Herzfehler oder Mukoviszidose litten, erhielten auch Medikamente gegen Angstzustände oder Depressionen. Demgegenüber erhielten nur für 5% der Kinder mit Sichelzellanämie und 3% der Kontrollgruppe diese Medikamente. Im Vergleich zu Kindern mit Sichelzellanämie litten junge Patienten mit Arrhythmien 5-mal häufiger unter einer Angststörung oder unter Depressionen.

Unter Herzrhythmusstörungen verstehen Experten eine Vielzahl von Abweichungen vom „normalen“ Herzschlag, die sowohl die Regelmäßigkeit als auch die Frequenz betreffen können. Das Herz kann beispielsweise zu schnell oder zu langsam schlagen. Die Schwere einer solchen Störung kann sehr unterschiedlich ausgeprägt sein. „Kinder und Jugendliche, die im Laufe ihres jungen Lebens eine Herzrhythmusstörung entwickeln, haben besonders zu kämpfen, da sie sich vorher ohne Einschränkungen sportlich betätigen und herumtoben konnten. Deshalb kümmern sich die meisten Herzzentren nicht nur um die Herzgesundheit, sondern auch um die seelische Gesundheit der Heranwachsenden. Falls Eltern dort keine Ansprechpartner finden, bietet der Bundesverband Herzkranke Kinder (BVHK) ebenso Unterstützung, Informationen und regionale Elterngruppen an“, empfiehlt Dr. Kahl, Mitglied des Expertengremiums beim Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ) und des wissenschaftlichen Beirats beim Bundesverband Herzkranke Kinder (BVKHK).

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 19.02.2020

Komorbide psychische Störungen bei Diabetikern häufig

Psychische Störungen treten bei Menschen mit Diabetes häufiger auf als in der Allgemeinbevölkerung. Gleichzeitig stellten komorbide psychische Störungen eine Be­hand­lungsbarriere dar, verschlechterten die Prognose des Diabetes und führten zu einer erhöh­ten Mortalität.

Darauf machte Bernhard Kulzer, Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psy­chologie der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) heute bei einer Pressekonferenz im Rahmen des „Zukunftstag Diabetologie“ der Fachgesellschaft in Berlin aufmerksam.

Die DDG will mit der Fachveranstaltung aufmerksam machen auf die Defizite in der psy­chosozialen Versorgung von Diabetikern – auch in den eigenen Reihen: Von 9.186 Mit­gliedern haben nach Angaben von Vizepräsident Neu nur 120 einen fachpsycholo­gischen Hintergrund.

„Trotz dieser recht eindeutigen Befundlage gibt es keine flächendeckenden psychosozia­len und fachpsychotherapeutischen Angebote für Menschen mit Diabetes“, bemängelte Kulzer, Leiter des Forschungsinstitutes der Diabetes-Akademie Bad Mergentheim.

Den Daten der internationalen DAWN-2-Studie zufolge, der bislang größten Untersu­chung zu psychosozialen Belastungen von Menschen mit Diabetes, ist fast die Hälfte aller Patienten mit Typ-1-Diabetes und etwa jeder 4. Patient mit Typ-2-Diabetes in Deutsch­land aufgrund der Erkrankung stark belastet. „Der sogenannte Diabetes Distress ist ein Risikofaktor für die Entstehung von Depressionen, die Wahrscheinlichkeit dafür ist dann um das 2,5-Fache erhöht“, erläuterte Kulzer.

Insgesamt leiden dem Experten zufolge 12 % aller Menschen mit Diabetes an einer klini­schen Depression, bei weiteren 18 % treten depressive Stimmungen auf. Auch Angst­stö­rungen, Zwangserkrankungen sowie bestimmte Essstörungen wie Bulimie und Binge Eating kommen demnach bei Diabetes-Patienten häufiger vor als normalerweise.

„Es mangelt an psychologischen Interventionen im Rahmen der Diabetestherapie – im stationären Bereich liegt das vor allem an den fehlenden Abrechnungsmöglichkeiten“, sagte Kulzer. Hier könnten nach Ansicht der DDG multimodale Komplexziffern, in denen psychiatrische, psychosomatische oder psychologisch-psychotherapeutische Leistungen mit einem festgelegten Behandlungsplan abgebildet sind, Abhilfe schaffen – ähnlich wie bei der interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie.

Auch spezielle psychologisch/psychotherapeutische Interventionen im Rahmen des Disease-Management-Programms (DMP) Diabetes könnten nach Ansicht der DDG die Versorgung verbessern. „Aktuell sind die Möglichkeiten im DMP sehr begrenzt“, sagte der Vizepräsident der Fachgesellschaft, Andreas Neu, bei der Pressekonferenz.

Aufmerksam machte die DDG auch auf die von der Bundes­psycho­therapeuten­kammer (BPtK) vor 2 Jahren beschlossene Zusatzweiterbildung „Spezielle Psychotherapie Diabe­tes“. Umgesetzt wird sie von den Psychotherapeutenkammern Bayern, Baden-Württem­berg und Rheinland-Pfalz.

Nach Angaben von Andrea Benecke, Vizepräsidentin des Vorstands der BPtK und der Lan­despsychotherapeutenkammer Rheinland-Pfalz, haben nur 56 Psychologische Psychothe­rapeuten bislang diese Zusatzweiterbildung absolviert, die meisten davon in Rheinland-Pfalz. Als Grund für das relativ geringe Interesse nennt sie die kapazitäre Auslastung der meisten psychotherapeutischen Praxen. 

Quelle: https://www.aerzteblatt.de vom 17.10.2019

Ärzte fordern bessere psychosoziale Betreuung für Kinder mit Diabetes

Für Eltern mit an Diabetes erkrankten Kindern gibt es zu wenig psychosoziale Hilfen, kritisiert die Deutsche Diabetes Gesellschaft. Es brauche dringend mehr entsprechende Angebote in der Langzeitbehandlung.

Ärzte haben die mangelnde psychosoziale Betreuung von Eltern beklagt, deren Kinder an Diabetes erkrankt sind. „Trotz eines insgesamt hohen Qualitätsniveaus in der somatischen Versorgung von Menschen mit Diabetes gibt es in Deutschland noch erhebliche Defizite in der psychosozialen Versorgung“, sagte der Vizepräsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) Professor Andreas Neu anlässlich des „Zukunftstags Diabetologie“ am Donnerstag in Berlin.

„Psychische Determinanten“ bei Diabetes fänden häufig zu wenig Beachtung und würden als nachrangig gegenüber der Stoffwechselqualität gelten. Dabei hätten sie erheblichen Einfluss auf den Stoffwechsel, sagte Neu, der als Oberarzt an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Tübingen praktiziert. Haus- wie Fachärzte müssten sich stärker zu Fragen der psychosozialen Betreuung chronisch Kranker weiterbilden. Derzeit hätten weniger als zwei Prozent der rund 9200 Mitglieder der DDG eine psychologische Ausbildung.

In den vergangenen zwei Dekaden sei die gesundheitliche Prognose von Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes „dank moderner Insuline, neuer Diabetes-Technologien und qualifizierter Schulungen eindrucksvoll verbessert“ worden, sagte die Vize-Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie der DDG Professor Karin Lange. „Diese Erfolge setzen wir aufs Spiel, wenn wir die psychosoziale Unterstützung der Familien nicht ausbauen.“

Typ-1-Diabetes: Einschnitt in die Lebensplanung

Lange sprach von einer „Doppelbelastung“ für Eltern von Kindern mit Diabetes. Diese müssten eine immer komplexere Therapie an 365 Tagen eines Jahres „konsequent und sachkundig“ umsetzen und gleichzeitig „liebevoll und zugleich konsequent ihren Kindern gegenüber auftreten“. Das erfordere viel emotionale Wärme, klare Regeln, Kommunikationsbereitschaft und eine starke Führung. „Für viele Eltern ist das ganz schön schwierig.“

Die Diagnose Diabetes Typ 1 bei einem Kind stelle für Familien ein Einschnitt in deren Lebensplanung dar, betonte Lange. Auch wenn die betroffenen Mütter und Väter in spezialisierten pädiatrischen Diabeteszentren mit den Herausforderungen der Diabetes-Behandlung vertraut gemacht würden und dort Schulungen erhielten, sei der Bereich der psychologischen und sozialen Beratung nur unzureichend ausgestattet. Notwendig seien daher veränderte Finanzierungskonzepte in der Gesundheitsversorgung, die mehr „grundlegende Maßnahmen psychosozialer Versorgung bei Diabetes mellitus ermöglichten, so die Forderung der DDG-Experten.

Professor Bernhard Kulzer vom Diabetes-Zentrum Bad Mergentheim und erster Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie der DDG wies darauf hin, dass knapp die Hälfte aller Patienten mit Typ-1-Diabetes und etwa jeder vierte Patient mit Typ-2-Diabetes in Deutschland aufgrund der Erkrankung seelisch stark belastet sei. Studien zeichneten hierzu ein geradezu „fatales Bild“, so Kulzer.

Erhöhtes Erkrankungrisiko durch Distress

Erhöhte diabetesbezogene Belastungen, sogenannter Diabetes Related Distress, seien Risikofaktor für das Entstehen von Depressionen oder Angst- und Essstörungen. Allein die Wahrscheinlichkeit für eine Depression sei um das 2,5-fache erhöht. Trotz dieser Befundlage gebe es in Deutschland bislang „keine flächendeckenden psychosozialen Angebote für Menschen mit Diabetes.“

Selbst in entsprechenden Disease-Management-Programmen kämen psychotherapeutische Interventionen – wie sie etwa im DMP Brustkrebs angelegt seien – bislang zu kurz. Kulzer forderte zudem mehr Beratungsangebote für Menschen mit Diabetes. Sie könnten einen wichtigen Beitrag zur Prävention psychischer Störungen durch die Erkrankung leisten.

Quelle: https://www.aerztezeitung.de vom 17.10.2019

Die Gesundheit der Bevölkerung im europäischen Vergleich

Wie gesund ist die Bevölkerung in Deutschland im europäischen Vergleich? Das Robert Koch-Institut hat im Journal of Health Monitoring 4/2019 Ergebnisse der aktuellen, zweiten Welle der Europäischen Gesundheitsbefragung EHIS veröffentlicht. Europaweit vergleichbare Gesundheitsinformationen sind eine wichtige Grundlage für evidenzbasierte Maßnahmen, um Gesundheitsherausforderungen entgegenzutreten. Außerdem können sie helfen Best-Practice-Beispiele für Interventionsansätze zu identifizieren. „Mit den Daten wollen wir dazu beitragen, die Gesundheit der Menschen weiter zu verbessern“, betont Lothar H. Wieler, Präsident des Robert Koch-Instituts. Der Fokus der Europäischen Gesundheitsbefragung liegt auf nichtübertragbaren Krankheiten.

Für die Auswertungen im Journal of Health Monitoring haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler des RKI vier Themengebiete analysiert: (1) Einschränkungen im Alter bei Aktivitäten des täglichen Lebens wie Nahrungsaufnahme oder Körperpflege, (2) die Auswirkungen der zentralen sozialen Rollen im mittleren Erwachsenenalter – Partnerschaft, Elternschaft und Erwerbstätigkeit – auf die selbst eingeschätzte Gesundheit, (3) das Gesundheitsverhalten in Abhängigkeit von der Bildung und (4) die Häufigkeit einer depressiven Symptomatik. Bei EHIS 2 war es erstmals möglich, das Vorkommen einer depressiven Symptomatik über die gesamte Spanne des Erwachsenenalters miteinander zu vergleichen. Jüngere Menschen haben demnach in Deutschland häufiger eine depressive Symptomatik als der EU-Durchschnitt (11,5% versus 5,2%), bei Älteren ist die Verbreitung in Deutschland mit 6,7% geringer als im EU-Durchschnitt (9,1%).

Die Europäische Gesundheitsbefragung ist seit der zweiten Welle für alle EU-Staaten verpflichtend und findet alle sechs Jahre statt. In Deutschland ist EHIS Teil des Gesundheitsmonitorings am RKI und wurde in die Studie „Gesundheit in Deutschland aktuell“ (GEDA 2014/2015-EHIS) integriert. In Deutschland wurden fast 25.000 Personen online oder schriftlich befragt.

Das RKI hat eine langjährige Expertise im nationalen Gesundheitsmonitoring, seine Studie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland „KiGGS“ war bei der Basiserhebung 2006 europaweit einmalig. Die Expertinnen und Experten des RKI-Monitorings waren maßgeblich beteiligt an der Entwicklung und Implementierung der grundlegenden europäischen Kennziffern (Kernindikatoren) sowie an Konzeption und Umsetzung von EHIS. Aktuell ist das RKI Partner in der europäischen „Joint Action on Health Information“. Ziel dieses Verbundes ist der Aufbau eines europäischen Gesundheitsinformationssystems mit dem Schwerpunkt auf nichtübertragbaren Erkrankungen. Auf EU-Ebene fehlt bislang eine nachhaltige Struktur oder Einrichtung für die nichtübertragbaren Krankheiten. Für Infektionskrankheiten gibt es das Europäische Zentrum für die Prävention und die Kontrolle von Krankheiten.

Nichtübertragbare Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs, Diabetes mellitus und Atemwegserkrankungen sind die Haupttodesursache weltweit und auch in Deutschland. Risikofaktoren wie Rauchen, mangelnde körperliche Bewegung, schädlicher Alkoholkonsum und ungesunde Ernährung sind oftmals vermeidbar. „Präventionsansätze müssen den Einzelnen, seine Lebenswelt und die gesundheitspolitischen Rahmenbedingungen in den Blick nehmen“, betont Wieler. Das RKI erweitert derzeit sein Gesundheitsmonitoring nichtübertragbarer Krankheiten. Der Aufbau einer nationalen Diabetes-Surveillance ist dabei Vorbild für weitere nichtübertragbare Krankheiten.

Quelle: Robert Koch-Institut vom Dezember 2019

US-Umfrage: Zwei Drittel der Eltern glauben nicht, eine Depression bei ihrem Jugendlichen identifizieren zu können

Laut einer neuen amerikanischen Umfrage gehört es zu den größten Herausforderungen für Eltern, den Unterschied zwischen den normalen Stimmungsschwankungen eines Teenagers und einem größeren psychischen Problem zu erkennen.

Obwohl die Mehrheit der Eltern angibt, dass sie zuversichtlich sind, Depressionen bei ihren Kindern im mittleren oder höheren Schulalter erkennen zu können, haben zwei Drittel der Umfrage des CS Mott Children’s Hospital von der Universität von Michigan zufolge Schwierigkeiten, bestimmte Anzeichen und Symptome einer Depression auszumachen.

40% der Eltern kennen kaum die Unterschiede zwischen normalen Stimmungsschwankungen und Anzeichen einer Depression, während 30% angeben, dass ihr Kind gut darin ist, Gefühle zu verbergen.

„In vielen Familien bringen die Jugendjahre dramatische Veränderungen sowohl im Verhalten als auch in der Dynamik zwischen Eltern und Kindern mit sich“, erklärte Prof. Dr. Sarah Clark, eine leitende Autorin der Studie. „Diese Übergänge können es besonders schwierig machen, den emotionalen Zustand von Kindern und eine mögliche Depression zu beurteilen.“ Dennoch sagte ein Drittel der befragten Eltern, nichts würde ihre Fähigkeit beeinträchtigen, Anzeichen einer Depression bei ihrem Kind zu erkennen.

Manche Eltern überschätzen ihre Feinfühligkeit gegenüber ihrem Teenager

„Einige Eltern überschätzen möglicherweise ihre Fähigkeit, Depressionen in der Stimmung und im Verhalten ihres eigenen Kindes zu erkennen“, so Clark.

Die Umfrage legt auch nahe, dass das Thema Depression für Schüler der Mittel- und Oberstufe nur allzu vertraut ist. Jedes vierte Elternteil gibt an, dass sein Kind einen Altersgenossen oder Klassenkameraden mit Depressionen kennt, und jedes zehnte Kind einen Altersgenossen oder Klassenkameraden, der durch Selbstmord gestorben ist.

In der Tat steigen die Selbstmordraten bei Jugendlichen in den USA weiter an. Bei Menschen im Alter von 10 bis 24 Jahren stieg die Selbstmordrate nach Angaben der CDC (Centers for Disease Control and Prevention) zwischen 2007 und 2017 um 56%.

„Unser Bericht bekräftigt, dass Depressionen kein abstraktes Konzept für Teenager und Jugendliche von heute oder ihre Eltern sind“, betonte Clark.
„Dieses Maß an Vertrautheit mit Depressionen und Selbstmord steht im Einklang mit jüngsten Statistiken, die einen dramatischen Anstieg des Selbstmordes bei Jugendlichen in den USA in den letzten zehn Jahren belegen. Steigende Selbstmordraten unterstreichen, wie wichtig es ist, Depressionen bei Jugendlichen zu erkennen.“

Verglichen mit den Bewertungen ihrer eigenen Fähigkeiten waren die befragten Eltern auch weniger zuversichtlich, dass ihre Kinder oder Jugendlichen Depressionen bei sich selbst erkennen würden.

Clark sagte, Eltern sollten wachsam bleiben, wenn sie Anzeichen einer möglichen Depression bei Kindern entdecken, die von Traurigkeit und Isolation bis zu Wut, zu Gereiztheit und zu aggressivem Verhalten reichen können. Eltern könnten auch mit ihren Jugendlichen oder Teenagern darüber sprechen, ob sie einen Erwachsenen haben bzw. finden können, der vertrauenswürdig ist, wenn sie sich schlecht fühlen, riet Clark.

Schulen könnten größere Rolle beim Aufspüren von depressiven Jugendlichen spielen

Die meisten Eltern glauben auch, dass Schulen eine Rolle bei der Identifizierung potenzieller Depressionen spielen sollten. „Die gute Nachricht ist, dass Eltern Schulen als einen wertvollen Partner bei der Erkennung von Depressionen bei Jugendlichen ansehen“, so Clark. Die schlechte Nachricht ist, dass zu wenige Schulen über ausreichende Ressourcen verfügen, um Schüler auf Depressionen zu untersuchen und Schüler, die Hilfe bräuchten, zu beraten.“

Clark ermutigt die Eltern dazu, sich zu erkundigen, ob an der Schule ihres Kindes ein Depressionsscreening stattfindet und ob Beratung für betroffene Schüler angeboten wird. In Anbetracht der begrenzten Ressourcen in vielen Schulbezirken könnten Eltern dafür eintreten, indem sie Verantwortlichen über die Bedeutung des Angebots von psychosozialen Diensten an Schulen sprechen.

Der national repräsentative Mott Poll Report basiert auf den Antworten von 819 Eltern mit mindestens einem Kind in der Mittel- oder Oberstufe.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 03.01.2020

Essstörung mit „normalem“ Gewicht: Atypische Magersucht

Wer als übergewichtiger Heranwachsender in kurzer Zeit viel Gewicht verliert oder über einen langen Zeitraum laufend abnimmt, leidet möglicherweise unter einer Essstörung, auch wenn er nicht abgemagert aussieht. Diese Essstörung wird deshalb als untypische Magersucht bezeichnet. Sowohl die typische Magersucht (Anorexia nervosa) als auch die untypische Magersucht (atypische Anorexie) kann gefährliche gesundheitliche Auswirkungen haben.

„Beide Patientengruppen haben ein gestörtes Körperbild und extreme Angst davor, zuzunehmen und schränken ihre Nahrungszufuhr stark ein. Nur bei der atypischen Anorexie fällt das Hungern nicht so auf, da bei den meisten ehemals übergewichtigen Patienten immer noch ein weitgehendes ‚normales‘ oder sogar etwas mehr als „normales“ Gewicht vorliegt. Trotzdem ist bei Essstörungen oftmals der Hormonhaushalt oft soweit gestört, dass bei Mädchen die Regelblutung ausbleibt. Bei erheblicher Unter- bzw. Mangelernährung ist der Puls ist in der Regel verlangsamt, was zu Herzrhythmusstörungen führen kann. Auch die Körpertemperatur ist meist herabgesetzt.“, beschreibt Dr. Ulrich Fegeler, Kinder- und Jugendarzt sowie Mitglied des Expertengremiums des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ), das Krankheitsbild. Gefährlich ist vor allem das Elektrolytungleichgewicht, das die Funktion des Gehirns, der Muskeln und des Herzens beeinträchtigt. Länger andauernde Elektrolytstörungen schädigen zudem das Nierengewebe. Eine Behandlung im Krankenhaus kann erforderlich werden.

In einer in „Pediatrics“ veröffentlichen amerikanischen Studie, in der Betroffene mit beiden Essstörungen untersucht wurden, zeigte sich, dass die Heranwachsenden bzw. jungen Erwachsenen (12 bis 24 Jahre) bei beiden Formen durchschnittlich ca. 14 kg in etwa 15 Monaten verloren hatten. Etwa ein Drittel der Patienten, die aufgrund einer Essstörung in der Klinik behandelt werden müssen, sind den Autoren zufolge derzeit Patienten mit einer atypischen Magersucht. „Der Body Mass Index sagt zwar etwas über das Gewicht aus, das ein Jugendlicher hat, aber er kann keine Aussage über seine Gesundheit geben. Bei Übergewicht ist es wünschenswert, dass ein junger Mensch an Gewicht verliert, doch sollte dies am besten unter ärztlicher Kontrolle erfolgen, um negative Folgen zu vermeiden“, rät Dr. Fegeler.

In den letzten 30 Jahren hat Übergewicht bei Jugendlichen deutlich zugenommen. Der KiGGS-Studie zufolge (Welle 2) leiden bei Kindern im Alter von 3 bis 17 15,4% unter Übergewicht und 5,9% unter Fettleibigkeit (Adipositas). Je älter Kinder werden, desto höher ist ihr Risiko für Übergewicht. Heranwachsende mit zu vielen Pfunden hören von vielen Seiten, dass sie abnehmen sollten. Doch wenn dies auf eigene Faust geschieht, ist es meist nicht der beste Weg, wie z.B. Abnahme durch eine Radikaldiät, einseitige Ernährung und extreme körperliche Betätigung. „Anerkennung und Lob von anderen für ihren Gewichtsverlust spornt Betroffene an, weiterzumachen. Dabei glauben Teenager oft, dass sie immer noch etwas für ihre Gesundheit tun, weil sie ja nicht untergewichtig sind“, ergänzt Dr. Fegeler.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 25.12.2019

Jugendliche aus sozial schwächeren Familien weisen häufigere Schlafschwierigkeiten auf

Ungefähr jedes 5. Kind hat Schlafschwierigkeiten und Jugendliche aus sozial schwächeren Familien sind dabei einem erhöhten Risiko ausgesetzt. Dies waren Ergebnisse einer Studie des Forschungszentrums für Zivilisationserkrankungen (LIFE Child) der Universität Leipzig.

Die Ergebnisse dieser Studie wurden auf der 27. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung und Schlafmedizin (DGSM), die vom 7.-9. November 2019 in Hamburg stattfand, vorgestellt.

„Wir empfinden das als sehr besorgniserregend“, sagt Christiane Lewien, Medizinstudentin an der Universität Leipzig, die im Rahmen ihrer Doktorarbeit in der Forschungsgruppe um Professor Dr. Wieland Kiess und Dr. Tanja Poulain an der Studie beteiligt war. Es sei dringend notwendig, hier weitere Studien zur Kausalität anzusetzen, um den Zusammenhang besser zu verstehen und Familien mit niedrigerem sozialem Hintergrund gezielt unterstützen zu können.
Da Schlafschwierigkeiten ein zunehmendes Problem für die öffentliche Gesundheit darstellen, ist es wichtig, sich einen Überblick über besonders gefährdete Personengruppen zu verschaffen. Im Kindes- und Jugendalter haben Schlafstörungen in den letzten Jahren zugenommen.
Worin liegen die Schlafschwierigkeiten und wie sind sie verteilt?
Um dies zu klären, wurden im Rahmen der LIFE Child-Studie in Leipzig 1.902 4–17-jährige Kinder und Jugendliche zu Schlafschwierigkeiten befragt. „Von 855 4-9-Jährigen beantworteten die Eltern einen Fragebogen und 1.047 10- bis 17-Jährige gaben Selbstauskunft. Es wurden Zusammenhänge zwischen Schlafauffälligkeiten und dem Alter und Geschlecht der Kinder sowie der sozialen Stellung der Familie untersucht“, erklärte Frau Lewien das Vorgehen. Bei 22,6% der 4- bis 9-jährigen und 20% der 10- bis 17-jährigen Kinder und Jugendlichen wurden Schlafauffälligkeiten festgestellt. Wie zu erwarten, wurden unter Kindern besonders Widerstand beim Zubettgehen und Durchschlafschwierigkeiten angegeben, während Jugendliche vorwiegend Tagesschläfrigkeit berichteten. Während Geschlechtsunterschiede bisher meist nur ab der Pubertät beschrieben sind, zeigte sich in dieser Studie auffälliges Schlafverhalten bereits im Kindesalter häufiger bei Jungen und im Jugendalter häufiger bei Mädchen. Zusätzlich verdeutlichte die Analysen bei den 10- bis 17-Jährigen, dass Jugendliche aus niedrigeren Sozialschichten mehr Schlafschwierigkeiten angaben, als jene aus höheren Sozialschichten. Warum dieser Zusammenhang erst im Jugendalter zu beobachten ist, muss noch näher untersucht werden. Möglicherweise werden Verhaltensweisen, die die Schlafqualität mindern und in niedrigeren Sozialschichten häufiger zu beobachten sind (z.B. körperliche Inaktivität, Mediengebrauch, schulische Überforderung) erst in diesem Alter relevant.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 23.12.2019

Schuppenflechte: Nicht nur ein Problem der Haut

Schuppenflechte bzw. Psoriasis beginnt bei einem Drittel der Patienten bereits im Kindes- und Jugendalter.

“Die Diagnose Schuppenflechte bedeutet nicht nur, dass Betroffene eine sorgfältige Hautpflege einhalten sollten, sondern auch dass sie ein erhöhtes Risiko für bestimmte andere Erkrankungen haben, wie Übergewicht, Zuckererkrankung, erhöhte Blutfettwerte, Gelenkentzündungen und auch für psychische Erkrankungen. Deshalb sind regelmäßige Arztbesuche und Kontrollen für diese Kinder und Jugendlichen besonders wichtig“, verdeutlicht Prof. Dr. Hans-Jürgen Nentwich, Kinder- und Jugendarzt sowie Mitglied des wissenschaftlichen Beirats beim Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). Kinder mit Psoriasis sind Studien zufolge etwa dreimal häufiger von zu viel Gewicht betroffen als Kinder ohne Psoriasis. Mit dem Übergewicht steigen bei ihnen auch die Risiken für Herz-Kreislauferkrankungen. Das Risiko, eine Angststörung zu entwickeln, ist bei acht- bis zwölfjährigen Kindern mit Schuppenflechte beispielsweise im Vergleich zu Kindern ohne die Hauterkrankung ca. 9-fach erhöht, für eine Depression besteht ein ca. 6,5-fach höheres Risiko. Entzündliche Darmerkrankungen treten bei minderjährigen Psoriasis-Patienten drei- bis viermal häufiger auf als bei Kindern ohne Psoriasis.

Im Allgemeinen kann Psoriasis durch mehrere Faktoren, wie Infektionen, Stress und Hautverletzungen, Passivrauch verschlimmert werden. „Die Auslöser zu erkennen, hilft beim ‚Krankheitsmanagement‘. Damit und mit einer guten Hautpflege, einem gesunden Lebensstil und bei Bedarf entsprechenden Medikamenten lässt sich Psoriasis i.d.R. gut kontrollieren. Schulungen haben sich als besonders erfolgreich erwiesen, damit Eltern und Kinder die Bedeutung einer Lokaltherapie in Kombination mit Pflegemaßnahmen zur Stabilisierung der Hautbarriere verstehen, und erfahren, warum diese Hautkrankheit auch andere Organsysteme in Mitleidenschaft ziehen kann“, empfiehlt Professor Nentwich.

Am häufigsten sind Kinder- und Jugendliche mit Psoriasis vom Plaque-Typ mit kleinen schuppigen Hautstellen betroffen. Bei Säuglingen kann sich eine Schuppenflechte zunächst in der Windelregion in Form von kaum erhabenen, nicht schuppenden runden roten Hautflecken bemerkbar machen. Diese verschwinden nicht, wenn sie mit Mitteln gegen Ekzeme behandelt werden. Bei den meisten älteren Kindern ist die Kopfhaut mit dicken, weißlichen Schuppen auf geröteter Haut befallen, wobei der Ausschlag ein bis zwei Zentimeter über den Haaransatz hinausragen kann. Auch hinter den Ohren, in den äußeren Gehörgängen, auf den Oberlidern, im Gesicht, um den Nabel, am Gesäß und an den Streckseiten der Arme und Beine (vor allem Ellenbogen und Knie) kann sich Schuppenflechte bei Kindern ausbreiten. Häufiger als bei Erwachsenen sind die Achseln und Leisten und der Gesäßbereich betroffen, wobei die Schuppen wegen Hautreibung dort oft fehlen.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 11.12.2019

Epilepsie: Anfälle kündigen sich nicht an wie gedacht

Epileptische Anfälle kündigen sich wohl nicht durch die bislang angenommenen charakteristischen Veränderungen der Hirnstrom-Muster an. Zu diesem Schluss kommen Wissenschaftler der Universität Bonn in einer aktuellen Studie. Die Ergebnisse sind nun in der Zeitschrift „Chaos: An Interdisciplinary Journal of Nonlinear Science“ erschienen.

Bei einem epileptischen Anfall entladen sich gleichzeitig große Nervenzell-Verbünde im Gehirn. Folgen sind dramatische Muskelkrämpfe und Bewusstseinsverlust, die lebensgefährlich sein können. Viele Forscher gehen davon aus, dass das Gehirn zuvor einen so genannten „Kipp-Punkt“ überschreitet, was dann fast zwangsläufig zu einem Anfall führt.

Die Annäherung an diesen Kipp-Punkt soll sich durch charakteristische Veränderungen der Hirnströme ankündigen – so besagt es zumindest eine gängige Hypothese. Einerseits reproduzieren Nervenzellverbünde in der Nähe dieses Punkts demnach ihre eigene Aktivität: Die Hirnströme, die sie erzeugen, ähneln sehr stark denen aus der Vergangenheit. Andererseits reagieren sie auf Störungen mit deutlich stärkeren Entladungen als normalerweise. Zudem dauert es länger, bis sich ihre Aktivität normalisiert. „Wir sprechen auch von einem ‚critical slowing down‘, abgekürzt CSL“, erklärt Prof. Dr. Klaus Lehnertz von der Klinik für Epileptologie des Universitätsklinikums Bonn.

Der Physiker hat mit seiner ehemaligen Mitarbeiterin Theresa Wilkat und seinem Doktoranden Thorsten Rings nach solchen CSL-Ereignissen gefahndet. Dazu werteten die Forscher Hirnstrom-Aufzeichnungen von 28 Patienten mit medikamentös nicht behandelbaren Epilepsien aus. Die Messungen erfolgten über Elektroden, die an verschiedenen Stellen in das Gehirn der Patienten implantiert worden waren. „Dies dient diagnostischen Zwecken, um etwa die Stelle zu identifizieren, von der die Anfälle ausgehen“, erklärt Lehnertz.

Als Frühwarnsystem ungeeignet

Je bis zu 70 Sonden trugen die Patienten in ihrem Denkorgan. Die Wissenschaftler analysierten jede einzelne der von den Fühlern erfassten EEG-Kurven mit ausgefeilten statistischen Methoden. „Dabei schauten wir nicht nur auf die Stunden direkt vor einem Anfall, sondern betrachteten einen Zeitraum von bis zu zwei Wochen“, erklärt Wilkat.

Das Ergebnis war ernüchternd: „Wir fanden zwar eine Reihe von CSL-Ereignissen; diese traten aber in der Regel völlig unabhängig von einem Anfall auf“, betont Lehnertz. „Lediglich bei zwei Betroffenen konnten wir einen leichten Bezug zu den nachfolgenden Anfällen beobachten.“ Sein Fazit: Als Frühwarnsystem eigne sich das „critical slowing down“ nicht, auch wenn dies in der Literatur immer wieder so behauptet werde.

Für vielversprechender hält er es, nicht einzelne Stellen im Gehirn zu betrachten, sondern diese als Teile eines Netzwerks zu verstehen, die sich gegenseitig beeinflussen. Ursache eines Anfalls sei vermutlich eben nicht die Aktivität eines einzigen Nervenzellverbundes, die aus dem Ruder laufe. „Stattdessen gibt es Rückkopplungs- und Verstärkungs-Effekte, die in ihrer Gesamtheit zu dieser massiven temporären Fehlfunktion des Gehirns führen“, betont er. Wenn man diese Vorgänge verstehe, werde man auch bessere Prognose-Verfahren entwickeln können.

Epileptische Anfälle kommen meist wie ein Blitz aus heiterem Himmel, was den Alltag der Betroffenen erheblich beeinträchtigt. Diese dürfen beispielsweise nicht Auto fahren oder bestimmten Tätigkeiten mit hoher Verletzungsgefahr nachgehen. Seit mehr als drei Jahrzehnten bemühen sich daher Mediziner, Physiker und Mathematiker, die gefährlichen Störungen des Gehirns vorherzusagen. Bislang mit durchwachsenem Erfolg: Zwar gibt es Systeme, die Vorboten der Krampfanfälle detektieren können (allerdings anhand anderer Indikatoren als dem „critical slowing down“). Sie funktionieren aber bislang bei etwa der Hälfte der Patienten und sind auch nicht besonders zuverlässig. So erkennen sie längst nicht jeden Anfallsvorboten und neigen außerdem zu Fehlalarmen.

Wissenschaftler rund um den Globus suchen aber nicht nur deshalb nach verlässlicheren Indikatoren, um Betroffene rechtzeitig warnen zu können. Sie hoffen auch, die Attacke durch eine geeignete Intervention im Vorfeld verhindern zu können.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 25.10.2019