Neue Erkenntnisse zur menschlichen Gehirnentwicklung: Forschende identifizieren geschlechtsspezifische Unterschiede

Forschende des Universitätsklinikums Tübingen haben gemeinsam mit internationalen Forschungspartnern aufschlussreiche Erkenntnisse gewonnen: Die neuronale Komplexität der Gehirnaktivität verändert sich vom späten Stadium der Schwangerschaft bis in die frühe Kindheit anders als erwartet und zudem mit geschlechtsspezifischen Unterschieden.

Bereits in den frühen Phasen des Lebens zeigen sich je nach Entwicklungsstadium signifikante Unterschiede in der Art und Weise, wie das Gehirn Signale und Informationen aufnimmt und verarbeitet. Eine gestörte Entwicklung kann dauerhafte Folgen haben und zu psychischen Erkrankungen führen.

In der internationalen Studie hat das Team untersucht, wie das menschliche Gehirn auf äußere Reize, wie beispielsweise Tonsequenzen, reagiert, sowohl vor als auch nach der Geburt. Gemessen werden konnten die Reaktionen des Gehirns mit der fetalen Magnetenzephalographie (fMEG), die nicht-invasiv an der Oberfläche des Bauches der Mutter die Gehirnaktivität schon im Mutterleib misst. Die Sensoren befinden sich unter einer Messschale, die optimal an die Form des mütterlichen Bauches angepasst ist. „Sensorische Stimulation bietet uns eine einzigartige Möglichkeit, zu beobachten, wie junge Gehirne Informationen von außen verarbeiten. Und das auf eine vollkommen sichere Weise“, erklärte Prof. Dr. Hubert Preissl vom fMEG-Zentrum Tübingen und dem Institut für Diabetesforschung und metabolische Erkrankungen des Helmholtz Zentrums München.

Erkrankungen frühzeitig erkennen und therapieren

Die Hypothese der Forschenden: Je weiter sich das Gehirn entwickelt, desto komplexer sind die neuronalen Reaktionen auf Reize von außen. Überraschenderweise zeigen die Ergebnisse, dass die Komplexität der neuronalen Antworten abnimmt, und zwar in geschlechtsspezifisch unterschiedlichem Tempo. Diese Unterschiede könnten Aufschluss darüber geben, warum bestimmte Entwicklungsstörungen bei Jungen und Mädchen in unterschiedlicher Häufigkeit auftreten. „Zunächst war ich ziemlich überrascht“, gab Dr. Joel Frohlich vom Institut für Neuromodulation und Neurotechnologie zu. „Instinktiv hatte ich angenommen, dass mit der Reifung des Gehirns auch seine Aktivität komplexer werden würde.“ Jedoch erscheint es sinnvoll, dass reifende Gehirnverbindungen auf externe Reize mit strukturierteren Mustern reagieren. Ein entwickelteres Gehirn ist also geordneter und hat dadurch weniger Möglichkeiten, auf denselben Reiz in unterschiedlicher Weise zu reagieren.

Das Forscherteam aus Tübingen plant, den Zusammenhang zwischen den beobachteten Gehirnmustern und der langfristigen psychischen Gesundheit weiter zu erforschen. „Je früher wir das Risiko für die Entwicklung neuropsychiatrischer und metabolischer Störungen identifizieren, desto effektiver können wir die Gehirnentwicklung unterstützen, um schwerwiegende Krankheitsverläufe zu verhindern“, verdeutlichte Prof. Dr. Alireza Gharabaghi vom Institut für Neuromodulation und Neurotechnologie. Diese Erkenntnisse könnten den Weg für zukünftige präventive Maßnahmen und Behandlungsstrategien ebnen, die das Forschungsteam auch im Rahmen des Zentrums für Bionic Intelligence und des Deutschen Zentrums für Psychische Gesundheit erforscht. An der Studie wesentlich beteiligt waren Dr. Joel Frohlich, Dr. Julia Moser, Dr. Katrin Sippel, Dr. Pedro Mediano, Prof. Dr. Hubert Preissl und Prof. Dr. Alireza Gharabaghi vom Tübinger Institut für Neuromodulation und Neurotechnologie.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 15.03.2024

Gehirnerschütterungen können Risiko für psychische Störungen erhöhen

Laut einer in „Pediatrics“ veröffentlichten Studie kann ein leichtes Schädel-Hirn-Trauma bzw. eine Gehirnerschütterung das Risiko für affektive und Verhaltensstörungen bei Kindern erhöhen. Die Gefahr, dass in der Folge eine affektive Störung diagnostiziert wird, nimmt demnach um 25% zu, und für eine posttraumatische depressive Störung um 17%.

Dr. Richard Delmonico, PhD, Direktor für Neuropsychologie am Kaiser Foundation Rehabilitation Center in Vallejo, Kalifornien, und seine Kolleg*innen identifizierten Patient*innen im Alter von 17 Jahren oder jünger, die zwischen 2011 und 2014 im Kaiser Permanente-Gesundheitssystem wegen einer Gehirnerschütterung untersucht wurden. Alle anderen Patient*innen im Kaiser Permanente-Gesundheitssystem aus dieser Zeit in diesem Alter zogen sie als Vergleichspatient*innen heran.

„Wir haben […] das Auftreten neuer psychischer Störungen nach einer Gehirnerschütterung untersucht, um die Entwicklung von Stimmungs- und Verhaltensstörungen bei jungen Menschen nach einer Gehirnerschütterung mit nicht verletzten Kontrollpersonen zu vergleichen“, erklärte Dr. Brian Theodore, PhD, Forschungswissenschaftler im Rehabilitationszentrum der Kaiser Foundation.

Insgesamt werteten sie die elektronischen Gesundheitsakten von 18.917 Kindern aus und untersuchten die Gruppen, bei denen psychische Probleme innerhalb von vier Jahren nach dem Vorfall auftraten.
Das Ergebnis: Die Wahrscheinlichkeit, dass bei Patient*innen nach einer Gehirnerschütterung eine affektive Störung diagnostiziert wurde, zu der Depression, Angstzustände, posttraumatische Belastungsstörungen und akuter Stress gehörten, war um 25 % höher.

Im Alter von 10 bis 13 Jahren sind Heranwachsende anscheinend besonders anfällig

Posttraumatische depressive Störungen waren bei Patient*innen nach einer Gehirnerschütterung um 17% wahrscheinlicher, insbesondere bei Kindern im Alter von 10 bis 13 Jahren. Bei ihnen war die Wahrscheinlichkeit, dass innerhalb von zwei Jahren eine Depression diagnostiziert wurde, um über 40% höher im Vergleich zu gesunden Gleichaltrigen. Bei Angststörungen war die Wahrscheinlichkeit, dass jungen Menschen nach einer Gehirnerschütterung diese entwickelten, um 14% höher. Kinder im Alter von 10 bis 13 Jahren hatten ein noch höheres Risiko, wobei die Wahrscheinlichkeit, zwei Jahre nach der Verletzung eine Angststörung zu entwickeln, um 42% höher war.

„Diese Ergebnisse unterstreichen die Bedeutung von regelmäßigen Nachuntersuchungen bezüglich affektiver Störungen und Verhaltensstörungen bei Kindern mindestens zwei Jahre nach einer Gehirnerschütterung“, verdeutlichte Delmonico.
Die Autor*innen kamen zu dem Schluss, dass bei Kindern nach einer Gehirnerschütterung ein erhöhtes Risiko besteht, psychische und verhaltensbezogene Gesundheitsprobleme zu entwickeln, insbesondere bei Kindern im Alter von 10 bis 13 Jahren, bei denen das Risiko für die Entwicklung von Depressionen, Angststörungen und Anpassungsstörungen am höchsten ist.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 11.03.2024

Häufige Beweggründe für Drogeneinnahme bei Jugendlichen: Neugier und Wunsch nach Entspannung

Das Streben nach Entspannung sowie Experimentieren mit Neuem sind die häufigsten Gründe für den Substanzkonsum bei Jugendlichen. Zu diesem Ergebnis kommt eine Befragung amerikanischer Jugendlicher, die sich aufgrund einer Drogensucht in Behandlung befanden.

Der Morbidity and Mortality Weekly Report (MMWR) des Centers for Disease Control and Prevention (CDC) veröffentlichte die Ergebnisse einer Umfrage unter Jugendlichen mit Suchtproblemen. Den Autor*innen zufolge führten sie die Befragung durch, da der Konsum von Drogen typischerweise im Jugendalter beginnt. Ziel war es, die Beweggründe dafür zu finden, warum Jugendliche zu Suchtmitteln greifen. Mithilfe der daraus gewonnenen Erkenntnisse hoffen die Forscher*innen, Strategien zur Prävention erarbeiten zu können.

Die Teilnehmer*innen befanden sich im Alter von 13 bis 18 Jahren. Vom 1. Januar 2014 bis zum 28. September 2022 wurden Jugendliche zu ihrem Konsum von Marihuana, Alkohol oder anderen Drogen in den letzten 30 Tagen interviewt.

Folgende Suchtmittel wurden erfasst:

  • Alkohol
  • Marihuana
  • Haschisch oder Tetrahydrocannabinol (THC)
  • Andere Drogen als Alkohol oder Marihuana und deren Missbrauch
  • Verschreibungspflichtige Schmerzmittel
  • Verschreibungspflichtige Stimulanzien
  • Verschreibungspflichtige Beruhigungsmittel

Für jede der 6 Kategorien sollten Jugendliche angeben, warum sie dazu gegriffen hatten. Sie konnten unter 15 Antwortmöglichkeiten auswählen. Die Befragten wurden gebeten, alle zutreffenden Antworten anzukreuzen.
84% der Teilnehmenden konsumierten Marihuana, gefolgt von Alkohol (49% der Befragten). Über 20% der Jugendlichen gaben an, nicht verschreibungspflichtiger Medikamente einzunehmen, wobei Schmerzmittel am häufigsten genannt wurden (13%), gefolgt von verschreibungspflichtigen Beruhigungsmitteln (11%) und verschreibungspflichtigen Stimulanzien (9%).

Sich ruhig oder entspannt zu fühlen waren die am häufigsten genannten Gründe für den Substanzkonsum (73%). Die Hälfte der Teilnehmer*innen gab an, dass sie Substanzen konsumierten, um Spaß zu haben oder zu experimentieren, 44% gaben an, dass sie Suchtmittel konsumierten, um einzuschlafen oder besser zu schlafen, und 44% berichteten, dass sie Substanzen konsumierten, um sich keine Sorgen mehr zu haben oder schlechte Erinnerungen zu vergessen.
„Etwas weniger Langweiliges“ zu machen, wurde von 41% der Proband*innen als Grund für den Substanzkonsum angegeben, und 40% erklärten, dass die Mittel ihnen bei Depressionen oder Angstzuständen helfen würden.
Den Ergebnissen zufolge wurden die Drogen am häufigsten zusammen mit Freunden eingenommen. Diese Auskunft erteilten 81% der Heranwachsenden. Nur 17% nahmen die Suchtmittel demnach mit „jemand anderem“ ein.

Überdosierung bei Beteiligten selten erkannt

MMWR gibt an, dass etwa 70% der tödlichen Überdosierungen bei Jugendlichen in Anwesenheit von jemanden auftreten, obwohl in den meisten Fällen keine Reaktion der Unbeteiligten dokumentiert ist.
„Todesfälle durch Überdosierung können durch eine auf Jugendliche zugeschnittene Aufklärung verhindert werden. Sie sollen Anzeichen einer Überdosierung besser erkennen und wissen, wie sie reagieren sollten […]“, erklärten die Studienautoren.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 06.03.2024

Selbst nikotinfreie E-Zigaretten können das Lungengewebe schädigen

E-Zigaretten werden oft als weniger schädliche Alternative zum Rauchen vermarktet, doch eine neue Studie stellt dies infrage – auch bei E-Zigaretten, die kein Nikotin enthalten.

Forscherinnen der Anglia Ruskin University (Großbritannien) untersuchten im Labor genau, wie eine gängige Marke nikotinfreier E-Zigaretten auf Zellen des Lungengewebes beim Menschen wirkte, und stellten fest, dass auch hier oxidativer Stress auftrat.

Oxidativer Stress entsteht, wenn die natürliche Reaktion der Zellen auf Sauerstoff aus dem Gleichgewicht gerät, was zu Fehlfunktionen und Schädigung der Zellen führt. Zugleich beobachteten die Wissenschaftler*innen verstärk auftretende Entzündungsreaktionen und Beeinträchtigungen der Funktion der Blutgefäße– eine Kombination, die oft mit Verletzungen im Lungengewebe einhergeht.

„Nikotinfreies E-Zigaretten-Fluid hat nachweislich die gleiche chemische Zusammensetzung wie nikotinhaltiges Fluid, außer dass es kein Nikotin enthält“, verdeutlichte die Wissenschaftlerin Prof. Dr. Havovi Chichger von der Anglia Ruskin University.

Lungengewebe und Blutgefäße betroffen

„Unsere Ergebnisse deuten darauf hin, dass die Exposition gegenüber nikotinfreier Vape-Flüssigkeit ähnliche negative und entzündungsfördernde Wirkungen auf menschliche mikrovaskuläre Endothelzellen [kleinste Gefäße] hat.“
Durch den Vergleich nikotinfreier Produkte mit E-Zigaretten der gleichen Marke, die tatsächlich Nikotin enthielten, stellten die Forscher*innen fest, dass das Fehlen von Nikotin die E-Zigaretten nicht unbedingt wesentlich besser für das Lungengewebe macht.

In den Zellen, die nikotinfreier E-Zigaretten-Flüssigkeit ausgesetzt waren, fand das Team eine ungewöhnliche Häufung eines bestimmten Proteins namens ARF6, das im Labor für die Schädigung des Lungengewebes verantwortlich zu sein schien.

Dieses Protein wurde in der Vergangenheit nicht mit Rauchen oder Lungenverletzungen in Verbindung gebracht. Es ist jedoch bekannt, dass es dafür sorgt, dass die Blutgefäße des Körpers ordnungsgemäß funktionieren.
„Weitere Untersuchungen sind von entscheidender Bedeutung, um den Zusammenhang zwischen dem ‚Dampfen‘ nikotinfreier E-Zigaretten und möglichen Lungenschäden in den kommenden Jahren zu ermitteln“, betonte Chichger.
Die Expertinnen gaben an, dass sie besonders daran interessiert seien, wie E-Zigaretten das Risiko für das akute Atemnotsyndrom (ARDS: Acute Respiratory Distress Syndrome) erhöhten, ein Problem, das häufig bei Rauchern auftritt und durch Schäden an Blutgefäßen in der Lunge verursacht wird.

Eine kürzlich durchgeführte Studie, in der auch E-Zigaretten ohne Nikotin verwendet wurden, hat gezeigt, dass bereits der einmalige Konsum einer E-Zigarette Auswirkungen auf die Blutgefäße und den Blutkreislauf haben könnte. Dies deutet darauf hin, dass der potenzielle Schaden weit über die Lunge hinausgeht.

„Angesichts der steigenden Zahl von Rauchern, insbesondere bei jungen Teenagern, ist das ‚Dampfen‘ ein erhebliches Gesundheitsproblem, und die Erforschung seiner gesundheitlichen Auswirkungen befindet sich noch in einem frühen Stadium“, gibt Chichger zu bedenken.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 16.02.2024

Lernen: Schreiben mit der Hand besser als Tippen auf einer Tastatur

Neue Forschungsergebnisse aus Norwegen zeigen, dass das Schreiben mit der Hand zu einer höheren Gehirnkonnektivität und damit auch zu einem besseren Lerneffekt führt als das Tippen auf der Tastatur. Den Expert*innen der Studie zufolge unterstreicht dies die Bedeutung des Schreibens mit einem Stift in der Schule.

Da digitale Geräte Stift und Papier zunehmend ersetzen, machen immer weniger Schüler*innen und Student*innen handschriftliche Notizen. Tippen ist oft schneller als das Schreiben mit der Hand. Doch verbessert Letzteres die Rechtschreibgenauigkeit und das Erinnerungsvermögen.

Um herauszufinden, ob der Prozess der Buchstabenbildung per Hand zu einer besseren Gehirnkonnektivität (Aktivität und Verbindung zwischen verschiedenen Gehirnregionen) führt, untersuchten norwegische Forscher*innen nun die zugrunde liegenden neuronalen Netze, die an beiden Schreibweisen beteiligt sind.

„Wir belegen, dass beim Schreiben mit der Hand die Konnektivitätsmuster des Gehirns weitaus ausgefeilter sind als beim Schreiben mit der Tastatur“, verdeutlichte Prof. Dr. Audrey van der Meer, Hirnforscherin an der Norwegian University of Science and Technology in Trondheim (Norwegen), und Mitautorin der in „Frontiers in Psychology“ veröffentlichten Studie. „Es ist bekannt, dass eine solch umfassende Gehirnkonnektivität für die Gedächtnisbildung und die Verarbeitung neuer Informationen von entscheidender Bedeutung ist und daher für das Lernen von Vorteil ist.“

Stift übertrumpft Tastatur beim Einprägen

Die Wissenschaftler*innen sammelten EEG-Daten (EEG: Elektroenzephalografie, Messung der Hirnströme) von 36 Student*innen, die wiederholt aufgefordert wurden, ein Wort, das auf einem Bildschirm erschien, entweder zu schreiben oder am PC einzugeben. Beim Schreiben nutzten sie einen digitalen Stift, um direkt auf einem Touchscreen in Kursivschrift zu schreiben. Beim Tippen verwendeten sie einen einzelnen Finger, um Tasten auf einer Tastatur zu drücken. Bei jeder Eingabeaufforderung wurden fünf Sekunden lang EEGs mit hoher Dichte aufgezeichnet, bei denen die elektrische Aktivität im Gehirn mithilfe von 256 kleinen Sensoren gemessen wurde, die in ein Netz eingenäht waren, das die Teilnehmer*innen wie eine Haube über den Kopf stülpten.
Die Konnektivität verschiedener Gehirnregionen nahm zu, wenn die Teilnehmer*innen mit der Hand schrieben, nicht jedoch, wenn sie tippten. „Unsere Ergebnisse legen nahe, dass visuelle und Bewegungsinformationen, die durch präzise kontrollierte Handbewegungen bei der Verwendung eines Stifts gewonnen werden, erheblich zu den Verbindungsmustern des Gehirns beitragen, die das Lernen fördern“, erklärte van der Meer.
Bewegung verfestigt Erinnerung
Obwohl die Teilnehmer*innen digitale Stifte zum Schreiben mit der Hand verwendeten, nehmen die Forscher*innen an, dass die Ergebnisse vermutlich gleich ausfallen würden, wenn sie einen echten Stift auf Papier verwendeten. „Wir haben gezeigt, dass die Unterschiede in der Gehirnaktivität mit der sorgfältigen Aufzeichnung der Buchstaben beim Schreiben mit der Hand und gleichzeitiger stärkerer Nutzung mehrerer Sinne zusammenhängen“, erklärte van der Meer. Da es die Bewegung der Finger beim Formen von Buchstaben ist, die die Gehirnkonnektivität fördert, dürfte das Schreiben in Druckbuchstaben ähnliche Vorteile für das Lernen haben wie das Schreiben in Schreibschrift.

Im Gegensatz dazu ist die einfache Bewegung, wiederholt mit demselben Finger eine Taste zu drücken, weniger stimulierend für das Gehirn. „Das erklärt auch, warum Kinder, die das Schreiben und Lesen mit einem Tablet gelernt haben, beim Unterscheiden von spiegelbildlichen Buchstaben wie „b“ und „d“ Schwierigkeiten haben, diese voneinander zu unterscheiden. Sie haben mit ihrem Körper buchstäblich nicht gespürt, wie es sich anfühlt, diese Buchstaben zu erstellen“, so van der Meer.

Bei Schreibweisen bieten situationsabhängig Vorteile

Ihre Ergebnisse zeigen die Notwendigkeit, Schüler*innen die Möglichkeit zu geben, Stifte zu verwenden, anstatt sie während des Unterrichts tippen zu lassen, betonten die Forscher*innen. Richtlinien, die sicherstellen, dass die Schüler*innen zumindest ein Minimum an Unterricht für Schreibschrift erhalten, könnten ihrer Ansicht nach ein angemessener Schritt sein. So wurde zum Jahresbeginn in vielen US-Bundesstaaten das Schreibtraining wieder eingeführt.

Gleichzeitig sei es aber auch wichtig, mit den sich ständig weiterentwickelnden technologischen Fortschritten Schritt zu halten, mahnten sie. Dazu gehört das Bewusstsein dafür, welche Schreibweise unter welchen Umständen mehr Vorteile bietet. „Es gibt Hinweise darauf, dass Studierende mehr lernen und sich besser erinnern, wenn sie handschriftliche Vorlesungsnotizen anfertigen, während die Verwendung eines Computers mit Tastatur beim Schreiben eines langen Textes oder Aufsatzes praktischer sein kann“, schloss van der Meer.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 07.02.2024

MISSION MAGISCHES TAGEBUCH: MENTAL HEALTH PODCAST

In Reaktion auf die zunehmende psychische Belastung von Kindern hat der SWR die zehnteilige Podcast-Reihe „Mission magisches Tagebuch“ entwickelt. Kinder sollen darin von anderen Kindern lernen, sich mit Problemen wie Mobbing, Schulstress oder ADHS auseinanderzusetzen. In jeder Folge bekommen sie konkrete Konfliktlösungs-Strategien an die Hand. Seit dem 26. Januar wird jeden Freitag eine neue Folge in der ARD Audiothek bereitgestellt. Für die Schulklassen 3 bis 5 gibt es auf planet schule ergänzendes Unterrichtsmaterial.

Quelle: Stiftung Achtung! Kinderseele; Newsletter vom 06.02.2024

Geschlechtsangleichung: Rechtliche Grauzone

Geschlechtsangleichende Therapien sind mit vielen Herausforderungen insbesondere bei der Kostenübernahme verbunden. Eine gesetzliche Regelung dazu gibt es bislang nicht.

Für die Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Behandlungen gibt es aktuell keinen rechtlichen Rahmen. Sie basiert auf einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) aus den 1980er-Jahren – das beinhaltet allerdings nur binäre Geschlechtsidentitäten. Im Oktober hatte das BSG daher entschieden, dass die Kosten für eine Mastektomie bei einer non-binären Person keine Kassenleistung ist. Es handele sich um eine „neuartige Behandlung“. Dafür brauche es zunächst eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), so das BSG.

Aktuell bereits genehmigte Behandlungen würden allerdings weiterhin finanziert, sagte der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), bei einem Fachgespräch der Grünen. Tessa Ganserer (Grüne) aus dem Umweltausschuss sprach dagegen von zurückgezogenen Bewilligungen. „Wir halten das für berufsethisch inakzeptabel, diskriminierend und schlichtweg menschenrechtsverletzend“, sagte sie über das BSG-Urteil. Die Partei will nun einen gesetzlichen Rahmen für die Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Operationen schaffen, die im Koalitionsvertrag angekündigt wurde.

Begutachtungsanleitung

Auch für Transpersonen, die sich als Mann oder Frau identifizieren, gibt es einige Hürden bei der Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Maßnahmen. Unter anderem kritisierte die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) erneut die Begutachtungsanleitung des GKV-Spitzenverbandes. Die Richtlinie sieht vor, dass die Kosten für eine Geschlechtstransition nur übernommen werden, wenn die betreffende Person zunächst zwölf Sitzungen in einem psychiatrischen oder psychotherapeutischen Setting durchführt. Sabine Maur, Vizepräsidentin der BPtK, bezeichnete das als Zwangsbehandlung. „Unsere Gesellschaft ist geprägt von queerfeindlichen Werten und Normen.“ Die leitende Ärztin des Medizinischen Dienstes Bund, Dr. med. Kerstin Haid, hielt dagegen, dass es sich auch um ein beratendes Setting handeln könne.

Eine große Änderung hin zur Entpathologisierung von Transgeschlechtlichkeit hat vergangenes Jahr mit der Veröffentlichung des Klassifikationssystems ICD-11 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) stattgefunden. Im Unterschied zur alten Klassifikation, dem ICD-10, wird die Geschlechtsinkongruenz im ICD-11 als Zustand und nicht mehr als Störung gewertet. In Deutschland bestünde jedoch „die komplexe Situation“, dass noch weitere vier bis fünf Jahre nach ICD-10 verschlüsselt und diagnostiziert würde, sagte Maur.

Der Allgemeinmediziner und Infektiologe Dr. med. Martin Viehweger begleitet in seiner Praxis viele Menschen bei der Transition. Er forderte, dass die transformative medizinische Begleitung Bestandteil von Ausbildungsprozessen werden müsse. Zusätzlich müsse der ökonomische Druck in der Praxis genommen und Netzwerkarbeit mit Peergroups und niedrigschwelligen Einrichtungen gefördert werden.

Östrogene per Injektion

Weiter berichtete Viehweger: „In Deutschland ist der Markt momentan auf orale oder transdermale Hormonapplikationen beschränkt.“ Viele Personen in Transition würden jedoch auch auf hier nicht zugelassene Injektionsformen von Östrogenderivaten zurückgreifen, die etwa aus Tschechien importiert würden. „Das ist ein sehr wichtiges Zeichen dafür, dass die aktuellen Regelungen, die auch durch den MDK umgesetzt werden, schädlich sind und so schnell wie möglich abgeschafft werden müssen“, sagte Mari Günther vom Bundesverband Trans*. Günther hofft, dass zeitnah eine Rechtsgrundlage geschaffen wird. Denn viele Personen seien durch das BSG-Urteil so verunsichert, dass man von einer steigenden Suizidalität ausgehen müsse.

Eine Möglichkeit, die Transitionsbehandlung gesetzlich zu verankern, sei, sie im Sozialgesetzbuch V in Analogie zur künstlichen Befruchtung als § 27 b aufzunehmen, erklärte die Rechtsanwältin Anke Harney. 

Quelle: www.aerzteblatt.de; PP 23, Ausgabe Januar 2024

Psychische Gesundheit von Kindern: Neues Schulungsportal für Lehrkräfte

Die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen ist immer noch nicht wieder auf dem Stand wie vor der Coronapandemie. Um die psychische Gesundheit von Schülerinnen und Schülern zu fördern und zur Aufklärung und Entstigmatisierung psychischer Belastungen und der Depression beizutragen, hat die Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Ludwig-Maximilians-Universität (LMU) München bereits 2021 gemeinsam mit der Beisheim Stiftung ein Infoportal entwickelt.

Auf der Website „Ich bin alles“ und über soziale Medien erhalten Kinder und Jugendliche und ihre Eltern evidenzbasierte Informationen, wie sich Depressionen äußern, wie die Erkrankung festgestellt und behandelt wird und wie sich vorbeugen lässt. Aufbauend auf dieses Infoportal ist jetzt die neue Website www.schule.ich-bin-alles.de gestartet, die sich speziell an Lehrkräfte und pädagogische Fachkräfte richtet. Das Portal stellt Informationen zu Symptomen psychischer Belastungen, zu Ursachen der Depression sowie Belastungsfaktoren von Schülern bereit. Zudem gibt sie Hinweise und Tipps zum Umgang mit Mobbing und zur Stärkung der psychischen Gesundheit von Schülern.

„Die psychischen Belastungen vieler Schülerinnen und Schüler stellen eine zunehmende Herausforderung für Lehrkräfte dar. Wir unterstützen sie, psychische Belastungen frühzeitig wahrzunehmen, präventiv zu handeln, sowie notwendige Hilfen zu geben“, erklärte Prof. Dr. med. Gerd Schulte-Körne vom LMU-Klinikum anlässlich des Starts des Infoportals.

Quelle: PP 22, Ausgabe Dezember 2023

Psychische Erkrankungen: Sozial schwache Mädchen suchen seltener Behandlung

Psychische Erkrankungen von Kindern und Jugendlichen in Deutschland sind 2022 einer neuen Analyse zufolge auf einem hohen Niveau geblieben. Nach Anstiegen seit der Coronapandemie gab es 2022 im Vergleich zu 2021 zwar leichte Rückgänge in den ambulanten und stationären Behandlungszahlen, wie eine Auswertung der DAK-Gesundheit unter ihren Versicherten ergab. Demnach erhielten 2022 elf Prozent weniger jugendliche Mädchen eine Neudiagnose in diesem Bereich als 2021. Bei Jungen gab es einen Rückgang von fünf Prozent. Trotzdem seien immer noch mehr Jugendliche betroffen als vor der Coronapandemie – insbesondere Mädchen. Hier gab es 2022 im Vergleich zum Vor-Corona-Jahr 2019 ein Plus von sechs Prozent. Insgesamt wurde 2022 bei rund 110 000 jugendlichen Mädchen eine psychische Erkrankung oder Verhaltensstörung neu diagnostiziert. Den Daten zufolge leiden Mädchen am stärksten unter Depressionen, Angststörungen und Essstörungen.

Große Unterschiede gibt es dem Bericht nach zwischen Arm und Reich: Jugendliche Mädchen aus sozial benachteiligten Haushalten würden seltener bei psychischen Erkrankungen behandelt als Mädchen aus wohlhabenden Haushalten. So sank die Diagnose Depression bei sozial benachteiligten Mädchen 2022 nahezu wieder auf das Vor-Pandemieniveau. Bei Mädchen aus der Mittel- und Oberschicht gab es hingegen ein Plus von 29 und 28 Prozent. „Eine Vermutung ist, dass Jugendliche aus sozial schwächeren Milieus nicht grundsätzlich weniger psychisch krank sind. Sie suchen nur seltener eine Behandlung auf“, sagte Prof. Dr. med. Christoph Correll, Direktor der Klinik für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters an der Berliner Charité. Die Sorge bestehe, dass sozial benachteiligte Heranwachsende nicht die gleichen Behandlungschancen haben. 

Quelle: PP 22, Ausgabe Dezember 2023

Zahl der Verordnung von Antipsychotika an Jugendliche hat zugenommen

Kinder und Jugendliche in Deutschland haben in den vergangenen Jahren vermehrt Verordnungen für antipsychotische Medikamente erhalten. Sie werden offenbar zunehmend auch bei Indikationen wie Unruhe, Angst und Schlafstörungen eingesetzt.

Das berichtet die Arbeitsgruppe Versorgungsforschung an der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie/ Psy­chotherapie des Universitätsklinikums Ulm in der Fachzeitschrift Frontiers in Psychiatry (2023; DOI: 10.3389/fpsyt.2023.1264047).

Die Studie „Trends in antipsychotic use among children and adolescents in Germany: a study using 2011–2020 nationwide outpatient claims data“ untersuchte die Verordnung von Antipsychotika bei Kindern und Jugendli­chen in Deutschland von 2011 bis 2020 anhand von bundesweiten Abrechnungsdaten aus der ambulanten Ver­sorgung.

Dabei stieg die Verwendung von Antipsychotika der ersten Generation von 1,16 pro 1.000 auf 1,35 pro 1.000 Kindern und Jugendlichen, das ist ein Anstieg um 16 %. Die Verwendung von sogenannten atypischen Anti­psychotika nahm von 2,35 auf 2,75 pro 1.000 zu. Dies entspricht einem Anstieg von 17 %. Besonders stark war die Zunahme bei Mädchen.

„Der markante Anstieg des Antipsychotikagebrauchs bei weiblichen Jugendlichen im Alter von 15 bis 19 Jah­ren, der größtenteils auf eine vermehrte Verwendung des atypischen Antipsychotikums Quetiapin zurückzu­führen ist, ist bemerkenswert“, sagte Christian Bachmann, Leiter der Arbeitsgruppe und Erstautor der Studie.

Studien hätten gezeigt, dass das Risiko für negative Veränderungen im Stoffwechsel und schwerwiegende kardiovaskuläre Ereignisse selbst bei niedrigdosiertem Quetiapin-Gebrauch erhöht sei.

„Ob der Anstieg des Antipsychotikagebrauchs in Deutschland nun auf eine zunehmende Belastung durch psychische Störungen, auf einen Ausgleich fehlender psychotherapeutischer Kapazitäten oder auf andere Gründe zurückzuführen ist, muss in weiteren Forschungsarbeiten überprüft werden“, hieß es aus der Arbeits­gruppe. 

Quelle: www.aerzteblatt.de vom 08.01.2024