Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland: Psychosomatische Beschwerden nehmen zu

Den Ergebnissen der Studie „Health Behaviour in School-aged Children“ zufolge geben die meisten der befragten Kinder und Jugendlichen eine hohe Lebenszufriedenheit an. Allerdings zeichnet sich unter anderem auch eine Zunahme psychosomatischer Beschwerden ab.

Die Studie „Health Behaviour in School-aged Children“ (HBSC) gilt als eine der größten internationalen Untersuchungen zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen. Alle vier Jahre finden Befragungen statt, bei denen die jungen Menschen Auskunft zu ihrem Befinden geben. In die aktuelle Analyse der Daten aus Deutschland von 2022, veröffentlicht im Journal of Health Monitoring (DOI: 10.25646/11865), flossen die Angaben von 6 475 Schülerinnen und Schülern ein. Darunter waren 3 074 Jungen (47,5 Prozent), 3 258 Mädchen (50,3 Prozent) und 31 (0,5 Prozent) Personen ohne Geschlechtsangabe sowie, erstmals erfasst, 112 Genderdiverse (1,7 Prozent). Befragt wurden Heranwachsende im Alter von elf, 13 und 15 Jahren, die an 174 Schulen unterrichtet wurden.

„42 Prozent der befragten Kinder und Jugendlichen haben angegeben, dass sie vielfältige psychosomatische Beschwerden haben. Das ist ein Anstieg von 14 Prozent im Vergleich zur Befragung von 2017/18“, sagte Dr. rer. biol. hum. Franziska Reiß vom Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf. Der erfasste Anstieg sei enorm, vor allem im Zusammenhang mit der Coronapandemie. Auch aus anderen Studien sei bekannt, dass psychische Belastungen in dieser Zeit stark zugenommen hatten, besonders bei Mädchen.

Ältere Jugendliche, Mädchen weniger zufrieden

Zu den regelmäßig auftretenden Beschwerden gehörten Gereiztheit, Einschlafprobleme, Nervosität, Niedergeschlagenheit, Kopf- und Rückenschmerzen, Schwindel/Benommenheit sowie Bauchschmerzen. Dabei waren vor allem ältere Jugendliche, Mädchen und Genderdiverse betroffen. So berichten 51 Prozent der 15-Jährigen, 52 Prozent der Mädchen sowie 80 Prozent der Genderdiversen über multiple psychosomatische Symptome. Insgesamt zeigte sich ein konstante Zunahme über die vier Erhebungen von 2009/2010 bis 2022, die Daten von 21 788 Kindern und Jugendlichen aus Deutschland einschlossen.

Insgesamt schätzen die meisten Befragten (84 Prozent) ihre subjektive Gesundheit als gut ein. Ähnlich sah es für die Lebenszufriedenheit aus: 86 Prozent gaben sie als hoch an. Auch hier zeichnete sich ab, dass ältere Jugendliche, Mädchen und Genderdiverse diese Aspekte eher negativ bewerteten. Ungefähr jeder oder jede fünfte Jugendliche im Alter von 15 Jahren berichtete über eine eher schlechte subjektive Gesundheit (21 Prozent) und eine niedrige Lebenszufriedenheit (19 Prozent). Bei den Mädchen waren das 19 und 17 Prozent sowie bei den Genderdiversen 44 und 48 Prozent. Gegenüber der Befragung von 2017/2018 ließ sich eine leichte Verschlechterung nachweisen, nachdem im Verlauf der Befragungen von 2009/2010 bis 2017/2018 eine Verbesserung zu verzeichnen war.

Für die Einschätzung der Lebenszufriedenheit spielt die soziale Herkunft nach wie vor eine wichtige Rolle. „Wir haben auch 2022 klare Unterschiede und Ungleichheiten sehen können“, sagte Dr. PH Irene Moor von der Universität Halle. „Zum Beispiel gab ein Viertel der Kinder und Jugendlichen, die einen niedrigen familiären Wohlstand haben, auch an, eine niedrige Lebenszufriedenheit zu haben. Im Vergleich dazu sind es zehn Prozent derjenigen, die sozial privilegiert sind“, so Moor.

Mobbing bleibt ein Problem

Mobbing war ein weiteres Thema, das in der Studie untersucht wurde. Dr. phil. Saskia Fischer von der Brandenburgisch Technischen Universität Cottbus-Senftenberg bezeichnete die Ergebnisse als „problematisch“. Mobbing habe schwerwiegende Konsequenzen, nicht nur für die schulischen Leistungen. „Es ist auch ein deutliches Gesundheitsrisiko“, betonte Fischer. 2022 hätten 14 Prozent der Befragten angegeben, dass sie aktive Erfahrungen mit Mobbing machen. Das schließe ein, dass sie im schulischen Kontext gemobbt werden, Mobbing ausüben oder in beiden Rollen aktiv sind. Cybermobbing betreffe nur etwa die Hälfte (sieben Prozent), was allerdings eine Zunahme gegenüber der Erhebung von 2017/2018 bedeutet. Zu diesem Zeitpunkt betrug der Anteil vier Prozent. Beim schulischen Mobbing blieben die Raten verglichen mit der vorherigen Erhebung von 2017/2018 sowohl bei den Gemobbten als auch bei den Mobbenden ungefähr gleich. Um Mobbing, aber auch gesundheitliche Ungleichheiten und die Häufigkeit psychosomatischer Beschwerden auszugleichen, brauche es Maßnahmen, die sich speziell an die betroffenen Zielgruppen richten, so Fischer.

Die Forschenden beschäftigte sich auch mit der Gesundheitskompetenz von Kindern und Jugendlichen, das heißt wie sie mit Informationen über Gesundheitsthemen umgehen können. Bei etwa einem Viertel (24 Prozent) ist die Kompetenz als niedrig einzustufen. Das bedeutet eine Zunahme um etwa drei Prozent gegenüber der Analyse von 2017/2018. Die häufigsten Schwierigkeiten traten auf:

  • beim Vergleich von Gesundheitsinformationen aus verschiedenen Quellen,
  • bei der Entwicklung von Ideen, um die Gesundheit zu verbessern sowie
  • bei der Bewertung von Informationen im Sinne von richtig und falsch.

Ein erhöhtes Risiko für eine geringe Gesundheitskompetenz hatten Jüngere und Genderdiverse. Das galt auch für Kinder und Jugendliche, die eine andere Schulform als ein Gymnasium besuchten, sowie mit niedrigem familiären Wohlstand. Kinder mit wenig Gesundheitswissen hätten häufiger psychosomatische Beschwerden, sagte Ronja Maren Helmchen von der Hochschule Fulda. Der kompetente Umgang mit solchen Informationen sei ein wichtiger Punkt, wenn es darum gehe, dass Kinder und Jugendliche gesund aufwachsen, betonte sie.

Darüber hinaus zeigte die aktuelle Analyse, dass sich die meisten Kinder und Jugendlichen nach wie vor viel zu wenig bewegen. Die Daten zu körperlicher Aktivität seien ernüchternd, sagte Prof. Dr. PH Jens Bucksch von der Universität Heidelberg. Nur elf Prozent der Mädchen und 21 Prozent der Jungen erreichen die Empfehlungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO). Unter den Genderdiversen sind es zwölf Prozent. Der WHO zufolge sollten sich Heranwachsende täglich mindestens 60 Minuten mit wenigstens moderater Intensität, zum Beispiel Radfahren mit 15 Kilometer pro Stunde, körperlich aktiv betätigen. „Ein zweiter eklatanter Befund ist, dass es im Altersverlauf zwischen elf und 15 Jahren noch einmal zu einem massiven Verlust an Bewegung kommt, dabei sind wir ja eigentlich schon am unteren Ende“, so Bucksch. So erreichten von den elfjährigen Mädchen noch 15 Prozent die Empfehlung. „Bei den 15-Jährigen sind wir nur noch bei sieben Prozent. Das ist quasi fast niemand mehr“, so der Wissenschaftler. Die körperliche Aktivität ist laut Studie bei Jungen in den vergangenen Jahren relativ stabil geblieben, bei Mädchen hat sie leicht abgenommen.

Thema Gesundheit an Schulen stärken

Der Wissenschaftler Prof. Dr. phil. Kevin Dadaczynski von der Hochschule Fulda forderte, das Thema Gesundheit viel stärker in Schulen zu verankern. Hier brauche es eine entsprechende gesetzliche Grundlage. Es dürfe nicht nur Sache einzelner, engagierter Schulen sein, sich mit Gesundheitsfragen zu beschäftigen. Dies führe zu einer weiteren Verstärkung von sozialen Unterschieden. 

Quelle: Ärzteblatt PP 23, Ausgabe April 2024