Suizidprävention: Psychische Erkrankungen meist ursächlich für Suizid

Etwa 25 Menschen sterben in Deutschland täglich durch Suizid, 500 begehen einen Versuch. Darauf wies die Stiftung Deutsche Depressionshilfe anlässlich des Welttags der Suizidprävention am 10. September hin. Die meisten Selbsttötungen erfolgen demnach im Zusammenhang mit psychischen Erkrankungen. In den vergangenen 40 Jahren habe sich diese Zahl halbiert. Das liegt laut dem Vorsitzenden der Stiftung, Prof. Dr. med. Ulrich Hegerl, vor allem daran, „dass mehr Menschen mit Depressionen und anderen psychischen Erkrankungen sich Hilfe holen und eine Behandlung erhalten“. Aufgrund von Wissensdefiziten, Stigmatisierungen, der krankheitsbedingten Antriebs- und Hoffnungslosigkeit sowie vor allem auch Defiziten im Gesundheitssystem bestünden jedoch weiter große Versorgungslücken: „Es ist völlig inakzeptabel, dass ein suizidgefährdeter Mensch oft erst nach Wochen einen Facharzttermin bekommt“, so Hegerl.

Die Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden hat eine spezialisierte Ambulanz für suizidgefährdete Menschen eingerichtet. Eine Arbeitsgruppe (AG) Suizidforschung setzt sich darüber hinaus dafür ein, die Öffentlichkeit für das Thema Suizid zu sensibilisieren. „Insbesondere das Thema Kliniksuizid beschäftigt auch die Mitarbeitenden im Dresdner Uniklinikum. Leider sind auch wir im Klinikalltag mit solchen Ereignissen konfrontiert“, sagte Prof. Dr. med. Michael Albrecht. Die Ambulanz soll die klinische und ambulante Versorgung von suizidalen Menschen verbessern und die Stationsteams im Umgang mit Suizidalität unterstützen.

Das Thema Suizidprävention ist auch in der Politik angekommen. So hat der Bundestag im Juli die Erarbeitung einer nationalen Suizidpräventionsstrategie beschlossen. 

Quelle: www.aerzteblatt.de, PP 22, Ausgabe Oktober 2023

Kinder und Jugendliche: „Mental Health Coaches“ für die Schulen

Kinder und Jugendliche sollen in Schulen künftig mehr Unterstützung für ihre psychische Gesundheit erhalten. In einem Modellprogramm an rund 100 Schulen werden „Mental Health Coaches“ Wissen über psychische Gesundheit vermitteln sowie über vertiefende Hilfs- und Beratungsangebote informieren.

„Die letzten Jahre waren enorm stressig. Corona war mit massiven Einschränkungen und massiven Belastungen verbunden“, sagte Bundesfamilienministerin Lisa Paus (Grüne). Die „Mental Health Coaches“, also Sozialpädagogen, sollen der Ministerin zufolge sichere Räume in den Schulen schaffen. „Wichtig ist, sich in solchen Situationen nicht zu schämen, sondern sich die Hilfe zu holen, die man braucht“, sagte Paus.

Mehrere Studien belegen, dass Kinder und Jugendliche in der Coronazeit gelitten haben: Präsenzunterricht, Sport und Hobbys fanden nicht mehr statt; Freunde durften nicht mehr getroffen werden. Paus zufolge nahmen Depressionen und Essstörungen stark zu. „Dann ging es wieder in die Schule und es hieß: Aufholen, aufholen. Und dann kam gleich drauf der Krieg in Europa“, sagte die Ministerin. Und die Folgen, wie die Inflation, würden alle beschäftigen. Jeder gehe mit solchen Belastungen anders um. Daher sei es wichtig, Ansprechpartner für individuelle Sorgen zu haben. 

Quelle: www.aerzteblatt.de, PP 22, Ausgabe Oktober 2023

Kinder und Jugendliche: Selbstverletzendes Verhalten „epidemisches Problem“

Selbstverletzendes Verhalten ist bei Kindern und Jugendlichen ein weit verbreitetes Problem. Darauf hat der Präsident der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP), Prof. Dr. med. Marcel Romanos, hingewiesen. Er bezeichnete Ritzen als ein außerordentlich häufiges Phänomen im frühen Jugendalter, das insbesondere bei jungen Mädchen „epidemisch“ sei.

Romanos befragte mit seinem Team an der Uniklinik Würzburg im vergangenen Jahr rund 880 Schülerinnen und Schüler im Alter von elf bis 14 Jahren zu ihrem psychischen Befinden. Demnach gaben rund elf Prozent an, sich selbst zu verletzen, etwa in Form des Ritzens. 30 Prozent der Befragten gaben an, schon einmal Suizidgedanken gehabt zu haben.

„Selbstverletzung ist ein Hochrisikofaktor für schwere psychische Erkrankungen wie Depressionen und suizidales Verhalten. Langfristig ist es äußerst schädlich“, warnte Romanos. Es sei ein „Ausdruck von starken emotionalen Anspannungszuständen und der mangelnden Fähigkeit, Gefühle adäquat zu regulieren“, so der Experte weiter. Auch internationale Studiendaten zeigten, dass emotionale und affektive Störungen unter Jugendlichen deutlich zunähmen und insbesondere junge Mädchen zunehmend unter Druck gerieten.

Nach aktuellen Daten der Kaufmännischen Krankenkasse (KKH) sind besonders junge Frauen im Alter von 15 bis 18 Jahren betroffen. Im Fokus stehen Angststörungen, Depressionen und Essstörungen wie Magersucht und Bulimie. Demnach stieg von 2012 auf 2022 der Anteil der 15- bis 18-jährigen Versicherten mit Angststörungen um 115 Prozent, mit Depressionen um 122 Prozent und mit Essstörungen um 62 Prozent. 

Quelle: www.aerzteblatt.de, PP 22, Ausgabe Oktober 2023

Prävention psychischer Erkrankungen: Noch ziemlich am Anfang

In Zeiten von Krisen, wie der Coronapandemie, dem Angriffskrieg gegen die Ukraine oder der immer spürbarer werdenden Klimakatastrophe, nehmen psychische Erkrankungen zu. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten haben kaum noch Kapazitäten, die vielen Hilfesuchenden unterzubringen. Das Warten auf einen Therapieplatz nach dem Erstgespräch wird immer länger. Die gesamtgesellschaftlichen Kosten von ebenfalls zunehmenden Frühberentungen aufgrund psychischer Erkrankungen kann sich das Land langfristig nicht mehr erlauben, auch im Hinblick auf den Fachkräftemangel. Vom Leid der Betroffenen ganz abgesehen.

Neben dem dringend notwendigen Ausbau von Behandlungsangeboten wäre es notwendig, einen Schritt früher anzusetzen und psychischen Erkrankungen vorzubeugen. Im somatischen Bereich gibt es regelhafte Vorsorgeuntersuchungen wie die U-Untersuchungen für Kinder und Jugendliche oder die diversen Check-ups für Erwachsene. Zur Prävention psychischer Erkrankungen beziehungsweise zur Förderung der psychischen Gesundheit gibt es hingegen nicht viel. „Wir stehen noch ziemlich am Anfang. In der Bevölkerung gibt es wenig Wissen darüber, was sie für ihre psychische Gesundheit tun können“, sagte Dr. phil. Andrea Benecke, Präsidentin der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK), bei einer Veranstaltung mit dem Titel „Mentale Gesundheit – Raus aus der Defensive“. Präventiv wirksam sei grundsätzlich, sich selbstwirksam zu erleben, sozial eingebunden zu sein und soziale Unterstützung zu erleben.

Viele Menschen erleben eben das nicht und fühlen sich einsam. Immerhin reagiert das Bundesfamilienministerium mit einer „Strategie gegen Einsamkeit“ seit dem vergangenen Jahr auf diese gesamtgesellschaftliche Herausforderung. Es geht darum, Wissen über Einsamkeit zu vertiefen, um die Sensibilität zu erhöhen. Es geht aber auch darum, Orte für gemeinsames Erleben zu schaffen.

Darüber hinaus müsste mehr Menschen, von denen man weiß, dass sie ein höheres Risiko für psychische Erkrankungen haben, aufsuchende Angebote gemacht werden. Darauf wies jedenfalls die BPtK-Präsidentin hin. Zum Beispiel sozialökonomisch schwächeren Menschen, Kinder psychisch oder suchtkranker Eltern. Zudem sollten die U- und J-Untersuchungen bei Kinderärzten in Bezug auf die Erfassung von psychischen Belastungen angepasst werden, um früher eingreifen zu können, wenn die psychischen Belastungen zu viel werden. Sinnvoll könnte auch ein Schulfach „Gesundheitsvorsorge“ sein, bei dem die psychische Gesundheit nicht fehlen darf, oder ein Schulfach Psychologie, Stichwort „mental health literacy“.

Für Schülerinnen und Schüler ist das Modellprogramm des Bundesfamilienministeriums eine gute Initiative: An rund 100 Schulen sind jetzt „Mental Health Coaches“ im Einsatz. Sozialpädagogen vermitteln dabei Wissen über psychische Gesundheit und vermitteln vertiefende Hilfs- und Beratungsangebote (Seite 437). Bei Zehntausenden Schulen in Deutschland ist das Programm naturgemäß ein Tropfen auf den heißen Stein, aber immerhin ein Anfang. Wenn das Programm gut läuft, sollte nicht vergessen werden, es zu verstetigen. Ebenso wie die vielen anderen Projekte zur Prävention, die nach der Modellphase oft einfach auslaufen.

Quelle: www.aerzteblatt.de; PP 22, Ausgabe Oktober 2023

Viele Kinder meiden die Schultoiletten

Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit des Universitätsklinikums Bonn leitet wissenschaftliche Auswertung einer umfassenden Studie zu Sanitäranlagen an Berliner Schulen. Aus den Studienergebnissen geht klar hervor, dass die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler die Schultoiletten als einen negativen Ort wahrnimmt und daher die Nutzung von vielen vermieden wird.

Zusammen mit dem Institut für Hygiene und Öffentliche Gesundheit (IHPH) des Universitätsklinikums Bonn (UKB) hat die German Toilet Organization (GTO) mit Sitz in Berlin eine wissenschaftliche Studie zu Schultoiletten an 17 weiterführenden Schulen aus 11 Berliner Bezirken durchgeführt. Demnach meidet die Mehrheit der Schülerinnen und Schüler die Schultoiletten. Funktionelle Schäden, fehlende Privatsphäre, Gestank und eine unzureichende Versorgung mit Füllgütern wie Toilettenpapier und Seife sind weitere Beanstandungen, die sich mit Berichten aus anderen Städten decken. Es wurde aber auch deutlich, dass einfache Maßnahmen signifikante Verbesserungen erzielen können. Dazu gehören die strukturell verankerte Partizipation der Schülerinnen und Schüler in die Gestaltung und Nutzung von Sanitärräumen, ein gut organisiertes und sichtbares Mängelmanagement durch die Schule sowie die Umsetzung von zwei Reinigungszyklen pro Tag, wovon mindestens eine im Tagdienst durchgeführt werden sollte.

Ziel der Berliner Studie [1] war es, valide Daten zur subjektiven Wahrnehmung und dem Nutzungsverhalten aus der Perspektive der Schülerinnen und Schüler bezüglich ihrer Schultoiletten zu erheben und gleichzeitig eine Bestandsaufnahme zur Funktionsfähigkeit und Ausstattung sowie zu wichtigen strukturellen Prozessen wie Reinigung, Wartung und Instandhaltung der Schultoiletten durchzuführen. Darüber hinaus war es den Autorinnen und Autoren der Studie in der Konzeption und Auswertung besonders wichtig, mögliche Zusammenhänge zwischen einzelnen Messgrößen zum Zustand der Toiletten, strukturellen Maßnahmen der Schule und der Wahrnehmung der Schülerinnen und Schüler zu ermitteln. Aus den Ergebnissen konnten Handlungsempfehlungen für Schulen und Politik abgeleitet werden, verbunden mit einer klaren Aufforderung, jetzt zu handeln.

Die Ergebnisse bestätigen die Erfahrungen, die sowohl die GTO als auch das IHPH in vielfältigen Projekten gesammelt haben: Sanitärräume sind dann ein Ort, an dem sich die Schulkinder gerne aufhalten, wenn sie in ihrer Komplexität erfasst und so gestaltet werden, dass sie nicht allein auf das Merkmal „Ausstattung“ oder „Fehlverhalten der Schülerinnen und Schüler“ reduziert werden. Die Vermeidung des Toilettengangs während des Schulaufenthalts aufgrund der negativen Wahrnehmung der Sanitärräume führt zu einer Reihe vielfach belegter gesundheitlicher Risiken, angefangen von Konzentrationsstörungen bis hin zu Blasenentzündungen, Verstopfung mit Bauchschmerzen und sogar Infektionskrankheiten. Aus diesem Grunde drängen das IHPH und auch die GTO schon lange darauf, den Ort endlich aus der Tabuzone herauszuholen und anstelle von Schuldzuweisungen eine konstruktive, gemeinschaftliche Herangehensweise für eine nachhaltige Besserung der Zustände voranzutreiben.

Dr. Andrea Rechenburg, die die Auswertung der Daten am IHPH leitete, betonte, dass das Monitoring des Nachhaltigkeitsziels Nr. 6 „Verfügbarkeit und nachhaltige Bewirtschaftung von Wasser und Sanitärversorgung für alle gewährleisten“ in Deutschlands Schulen lückenhaft ist, auch wenn national die Versorgung als gesichert gilt. Hier entsteht der Eindruck, dass im Grunde kein Handlungsbedarf bestehe, dabei sind aktuell keine Daten für weiterführende Schulen und den städtischen und ländlichen Raum vorhanden, und die tatsächliche Funktionalität von Sanitärräumen wird nicht dokumentiert. Zukünftig müsse mit erweiterten Indikatoren gearbeitet werden, die abbilden, welche Bedarfe es für die Schülerinnen und Schüler heute wirklich gibt und wo diese im Sinne des Nachhaltigkeitsziel 6 für alle und zu jeder Zeit erfüllt werden.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 27.10.2023

Selbstmordrisiko ist bei Jugendlichen nachts am größten

Amerikanische Forschungsergebnisse zeigen, dass das Suizidrisiko bei jungen Menschen einem tageszeitlichen Muster zu folgen scheint und nachts zunimmt.

In einer Umfrage unter psychiatrisch hospitalisierten Jugendlichen gaben mehr als die Hälfte der Teilnehmer*innen an, dass ihr letzter Selbstmordversuch abends und nachts stattgefunden habe. Der Studie zufolge deutet die tageszeitliche Variation der Suizidgedanken auf die Notwendigkeit einer verstärkten Unterstützung in den späteren Stunden des Tages hin, um das Suizidrisiko junger Menschen zu senken. Selbstmordgedanken und -versuche sind demnach morgens anscheinend am niedrigsten und abends am höchsten, insbesondere bei Jugendlichen, die zu selbstkritischem Grübeln neigen.
Die Ergebnisse wurden in der auf der Jahrestagung der Associated Professional Sleep Societies vorgestellt.

Gedanken an Selbstmord können suizidales Verhalten vorhersagen, und „alarmierenderweise“ haben sowohl Suizidgedanken als auch suizidales Verhalten zugenommen, betonte die leitende Forscherin Dr. Anastacia Kudinova, PhD, von der Alpert Medical School der Brown University in Providence (Bundesstaates Rhode Island). „Es besteht ein dringender Bedarf, […] Risikofaktoren für Suizid zu beschreiben, sodass wir feststellen können, wer innerhalb von Wochen, Tagen oder sogar Stunden ein höheres Suizidrisiko hat“, erklärte sie.

Die Wissenschaftler*innen befragten 165 Jugendliche im Alter von 11 bis 18 Jahren (72% weiblich), die stationär in einer psychiatrischen Klinik behandelt wurden, nach der Tageszeit ihres letzten Selbstmordversuchs. Mehr als die Hälfte (58%) gab an, dass dies abends und nachts geschah, bei mehr als einem Drittel erfolgte der Versuch tagsüber (35%) und bei nur wenigen morgens (7%).

Kritisches Zeitfenster

Dr. Casey O’Brien, PsyD, Psychologin in der Abteilung für Psychiatrie am Irving Medical Center der Columbia University, New York, kommentierte, dass die Ergebnisse dieser Studie mit dem übereinstimmen, was sie in der Klinik beobachtet.

Jugendliche erzählten in Sitzungen oft, dass die „unstrukturierte Zeit der Nacht – insbesondere die Zeit, in der sie normalerweise ins Bett gehen sollten, aber irgendwie wach bleiben – für sie tendenziell eine sehr verletzliche Zeit sei“, berichtete Dr. O’Brien in einem Interview.

Dr. O’Brien leitet ein Verhaltenstherapie-Programm für junge Menschen mit psychischen Problemen an der Columbia University. Dr. O’Brien und Kolleg*innen versuchen dabei mit Jugendlichen Strategien zu entwickeln, die das Zubettgehen und Einschlafen erleichtern. Zu diesen Strategien kann gehören, vor dem Schlafengehen Zeit mit den Eltern zu verbringen, zu lesen oder in ihre Schlafenszeit Dinge einzubauen, die sie als beruhigend und entspannend empfinden, wie etwa eine längere Dusche zu nehmen oder bequeme Pyjamas anzuziehen, erklärte sie. „Wir arbeiten auch intensiv an Schlafhygienestrategien, um eine regelmäßige Schlafenszeit und einen konsistenten Schlaf-wach-Rhythmus zu erreichen“, sagte Dr. O’Brien.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 16.10.2023

Wie lange Kinder und Jugendliche vor dem Bildschirm sitzen sollten

Soziale Netzwerke, Fernsehen, Zocken: Wie viel Zeit Kinder und Jugendliche damit verbringen, dürfte in vielen Familien ein Streitthema sein. Fachleute geben Eltern nun klare Orientierungswerte an die Hand.

Ab in den Schrank mit der Konsole und eine Sanduhr neben das Tablet: Mit konkreten Tipps wollen Fachleute Eltern helfen, die Bildschirmzeit ihrer Kinder zu begrenzen. Für Kinder und Jugendliche sei es umso besser, je weniger Zeit sie vor Bildschirmen verbringen, heißt es in einer Leitlinie die unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin (DGKJ) und mit Beteiligung der Uni Witten/Herdecke entstanden ist. Darin geht es darum, einer Suchtentwicklung vorzubeugen.

Die empfohlene gesamte Bildschirmzeit vom Fernsehen über das Zocken am Computer bis zur Internetnutzung per Smartphone:

  • Unter 3 Jahren: Die Allerkleinsten sollten von jeglicher passiven und aktiven Nutzung von Bildschirmmedien ferngehalten werden, wie die Autoren schreiben. Das bedeutet, dass vor ihren Augen zum Beispiel möglichst auch die Eltern nicht ständig aufs Handy schauen sollten.
  • 3 bis 6 Jahre: Geraten wird zu höchstens 30 Minuten an einzelnen Tagen zum Heranführen an solche Medien. Das Kind soll dabei nicht allein gelassen werden. Die Nutzung einer Sand- oder Stoppuhr könne helfen zu begreifen, wie schnell die Zeit vor dem Bildschirm verfliegt.
  • 6 bis 9 Jahre: höchstens 30 bis 45 Minuten an einzelnen Tagen, außerhalb der Hausaufgaben am Bildschirm.
  • 9 bis 12 Jahre: höchstens 45 bis 60 Minuten in der Freizeit vor einem Bildschirm und nur beaufsichtigter Internetzugang.
  • 12 bis 16 Jahre: maximal ein bis zwei Stunden täglich in der Freizeit und spätestens bis 21.00 Uhr. Weiterhin mit inhaltlicher Begleitung und beschränktem Internetzugang.
  • 16 bis 18 Jahre: Die Zeit durch Regeln festlegen, als ein Orientierungswert werden zwei Stunden Nutzung in der Freizeit pro Tag angegeben.

Eigene Geräte:

  • Kinder unter neun Jahren sollten laut Leitlinie weder eine eigene Spielkonsole noch einen freien Internetzugang bekommen. Wer eine eigene Konsole besitze, verbringe im Schnitt doppelt so viel Zeit mit Computerspielen wie Kinder ohne. Die Autoren raten zum Aufbewahren des Geräts in einem abgeschlossenen Schrank, um als Eltern über die Nutzung bestimmen zu können.
  • Ein eigenes Smartphone wird frühestens ab 9 Jahren, besser frühestens ab 12 Jahren empfohlen, wobei der Internetzugang eingeschränkt sein soll. Ab 16 Jahren könne er uneingeschränkt sein.

Die Fachleute empfehlen insbesondere bei kleineren Kindern, die Zeiten am Smartphone, Tablet oder TV mit „qualitativ hochwertigen Inhalten“ zu verbringen. Eltern sollten wenn möglich dabei sein und hinterher mit dem Nachwuchs über das Gesehene sprechen.

Bildschirmmedien sollten auch nicht als Belohnung, Strafe oder zum Beruhigen genutzt werden, hieß es. Während der Mahlzeiten wird dazu geraten, die Geräte ganz beiseite zu legen. Zum Thema Unterricht heißt es: „Eltern und Lehrer*innen sollen informiert und unterstützt werden, auf digitalen Fernunterricht wann immer möglich zu verzichten.“

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 02.10.2023

Jugendalter: Fünf ist die magische Zahl bei Freundschaften

Den meisten Vätern und Müttern von Teenagern ist bewusst, dass Kinder irgendwann anfangen, ihren Freunden Vorrang vor ihren Eltern zu geben. Während kleine Kinder bei sozialen Interaktionen und Einflüssen auf ihre Eltern angewiesen sind, überwiegt im Jugendalter der Einfluss von Gleichaltrigen und Freunden.

Untersuchungen belegen die Annahme, dass Freundschaften im Jugendalter besonders wichtig sind. Sie scheinen vor einigen Problemen zu schützen. Und in einer neuen Studie, die in eLife veröffentlicht wurde, zeigen Forscher, dass es sich positiv auf die kognitiven Fähigkeiten, die psychische Gesundheit und die schulischen Leistungen auswirkt, wenn man zu Beginn der Pubertät etwa fünf Freunde hat.

Weniger als fünf Freunde bergen das Risiko, dass evtl. keiner von ihnen bei Bedarf gerade verfügbar ist. Bei mehr als fünf Freunden kann es sein, dass die Beziehung zu den einzelnen nicht besonders tief geht. Es gibt daher einen Kompromiss zwischen Quantität und Qualität von Freundschaften. Zudem können viele Aktivitäten mit vielen Bekannten dazu führen, dass die Zeit für das Lernen nicht ausreicht und sich dadurch die akademischen Leistungen verschlechtern.

Positiver Effekt auf psychische Gesundheit, soziales Verhalten und kognitive Fähigkeiten
Die Ergebnisse basieren auf einer großen Datenmenge der Studienkohorte Adolescent Brain Cognitive Development (ABCD), die 7.512 Teilnehmer*innen im Alter von 9–11 Jahren umfasste. Die gleiche Kohorte wurde zwei Jahre später im frühen Jugendalter nachuntersucht, wobei Daten von 4.290 Teilnehmern verfügbar waren.

Sie fanden Zusammenhänge zwischen der Anzahl enger Freunde und der psychischen Gesundheit, sozialen Problemen und kognitiven Fähigkeiten, einschließlich Gedächtnis, Lesen und Wortschatz. Ungefähr fünf enge Freunde waren die optimale Zahl – und diese Assoziationen blieben auch zwei Jahre später konstant.

Bei weniger als vier oder mehr als sechs Freunden verringerten sich die Vorteile. Anhand eines zweiten Datensatzes von über 16.000 Jugendlichen bestätigte das Team die Zusammenhänge zwischen der Größe des engen Freundeskreises und dem Schulabschluss sowie dem Wohlbefinden.

Im Hinblick auf die Gesundheit des Gehirns wurde festgestellt, dass die Anzahl enger Freunde mit der Fläche und dem Volumen des Kortex (der äußersten Schicht des Gehirns) zusammenhängt, und dies insbesondere in Regionen, die für soziale Interaktionen zuständig sind. Fünf Freunde zu haben war mit mehr Volumen in diesen Regionen verbunden. Diese Gehirnregionen sind auch für andere Formen der Kognition wichtig, beispielsweise für Aufmerksamkeit und die Regulierung von Emotionen. Menschen, die fünf Freunde gefunden hatten, wiesen eine verbesserte Aufmerksamkeit und soziale Leistungsfähigkeit auf.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 29.09.2023

Krisen haben großen Einfluss auf psychische Gesundheit von Jugendlichen

Ukraine-Krieg, Corona und Klimawandel haben erheblichen Einfluss auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen. Dies belegen erste Ergebnisse der „GUCK-Hin Studie“ der Universität des Saarlandes.

Die Studie der Arbeitseinheit Klinische Psychologie und Psychotherapie an der Universität des Saarlandes untersucht unter Leitung von Professorin Tanja Michael u.a. die psychischen Auswirkungen von Krisen und weiteren Belastungen bei Jugendlichen. Die Forscherin empfiehlt Maßnahmen vor allem auch in Zusammenarbeit mit Schulen, die Jugendliche unterstützen, den durch die Krisen verursachten Stress zu bewältigen.

Mehr als die Hälfte, rund 54%, der im Rahmen der „Guck Hin-Studie“ befragten Jugendlichen berichteten über klinisch auffällige Angstsymptome wie die Sorge davor, was in Zukunft geschehen wird. 41% von ihnen berichteten über auffällige Depressionssymptome, etwa das Gefühl von Niedergeschlagenheit, Hoffnungslosigkeit oder Schwermut. 37% der Jugendlichen gab eine verminderte Lebensqualität an, was sich häufig durch das Empfinden von Einsamkeit oder ein geringeres Erleben von Spaß mit Freunden ausdrückt. Dies sind einige Ergebnisse der ersten Befragung im Rahmen der „GUCK-Hin Studie“, die die Auswirkungen externer Krisen und individueller Belastungsereignisse auf die psychische Gesundheit von Jugendlichen untersucht.

„Die gegenwärtige Lebenssituation von Jugendlichen ist stark geprägt durch eine äußerst krisenreiche Zeit. Gerade in dieser Entwicklungsphase zum Erwachsenwerden haben sie per se schon eine Fülle an Herausforderungen und Aufgaben körperlicher und sozialer Art zu bewältigen. Unsere Studie zeigt, dass die Krisen einen erheblichen Einfluss auf die psychische Gesundheit der heutigen Generation von Jugendlichen haben“, erklärt Professorin Tanja Michael, die die Studie leitet. Die zahlreichen Einschnitte und Beschränkungen durch die Corona-Pandemie in Form von Schulschließungen oder Kontaktbeschränkungen wie auch der Klimawandel und der Krieg in der Ukraine belasten das Leben und Erleben von Jugendlichen stark, wie sich aus den ersten Ergebnissen der Studie ablesen lässt. „In der Folge stiegen psychische Auffälligkeiten deutlich. Es kam zu einer relevanten Zunahme der Angst- und Depressionssymptome und einer Abnahme der Lebensqualität“, berichtet die Psychologin.

Selbstwirksamkeitsüberzeugungen wirken schützend

Wichtig sei es nun, Maßnahmen zur Förderung der psychischen Gesundheit zu ergreifen, die den Jugendlichen helfen, den durch die Krisen verursachten Stress zu bewältigen. „Ein wirksamer Schutzfaktor, der negative Auswirkungen der Krisenbelastungen auf die psychische Gesundheit und die Lebensqualität abschwächen kann, sind sogenannte Selbstwirksamkeitsüberzeugungen: Darunter versteht man das Vertrauen, dass man Probleme, schwierige Situationen und anstrengende Aufgaben aus eigener Kraft lösen kann“, erläutert Tanja Michael.

Wie die Ergebnisse der ersten Befragung im Rahmen der Studie ergaben, berichteten Jugendliche mit geringen Selbstwirksamkeitsüberzeugungen zu 75% über eine verringerte Lebensqualität und wiesen zu 82% klinisch auffällige Angstsymptome sowie zu 73% klinisch auffällige Depressionssymptome auf. Im Gegensatz dazu gaben von den Jugendlichen mit hoher Selbstwirksamkeitsüberzeugung lediglich 17% eine verringerte Lebensqualität an, nur 30% von ihnen berichteten über klinisch auffällige Angstsymptome und 23% über klinisch auffällige Depressionssymptome.

„Die Ergebnisse unserer ersten Befragung zeigen, dass es innovative Konzepte braucht, um die Widerstandsfähigkeit der Jugendlichen zu stärken, damit sie den zusätzlichen Belastungen durch die Krisen gewachsen sind“, sagt Tanja Michael. Sie sieht dabei insbesondere die Zusammenarbeit mit den Schulen als erfolgversprechend an. „Sie sind der Ort, in dem ein großer Teil des Lebens und die soziale Entwicklung von Jugendlichen in Deutschland stattfindet. Es wäre daher positiv, die Schulen als Ort der Prävention psychischer Erkrankungen stärker in die Gesundheitsversorgung mit einzubeziehen“, betont die Psychologin.

Corona-Pandemie, Ukraine-Krieg und Klimawandel

Die befragten Jugendlichen nahmen von den Krisen die Corona-Pandemie als stärksten Belastungsfaktor wahr. „Hier gaben 28% der befragten Jugendlichen an, äußerst belastet zu sein und 31% waren sehr belastet. Es folgten der Ukraine-Krieg und der Klimawandel. Bezogen auf den Ukraine-Krieg gaben 5% an, äußerst belastet zu sein und 22% waren sehr belastet, der Klimawandel belastete 2% äußerst und 15% der Jugendlichen sehr“, schildert Tanja Michael die Ergebnisse.
„Wir konnten im Rahmen einer sogenannten Mehrebenenanalyse zeigen, dass pandemie- und klimabedingte Belastungen mit stärkeren Depressions- und Angstgefühlen sowie geringerer gesundheitsbezogener Lebensqualität verknüpft sind. Kriegsbedingte Belastungen dagegen hängen mit größerer Ängstlichkeit zusammen. Diese Zusammenhänge blieben auch nach Kontrolle aller sonstigen Einflüsse wie individuelle Lebensstressoren oder Selbstwirksamkeit bestehen“, erläutert die Psychologin.

Die GUCK-Hin Studie (kurz für Generation Ukraine-Krieg Covid-19 Klimawandel) ist eine der sehr wenigen Studien, die die psychische Gesundheit von Jugendlichen in Deutschland – wie vom Robert-Koch-Institut dringend gefordert – auch über das Ende der Pandemie hinaus beobachtet. Einzigartig ist die Studie im Hinblick darauf, dass die Belastung durch weitere aktuelle Krisen ebenso wie individuelle Belastungsereignisse wie Konflikte innerhalb der Familien oder im Freundeskreis, psychische Symptomausprägungen und potenzielle Schutzfaktoren erfasst werden.

Die Studie untersucht daneben auch demografische Daten, potenzielle Schutzfaktoren wie die Selbstwirksamkeitsüberzeugungen der Jugendlichen, den sozioökonomischen Status und das Interesse an und Vertrauen in die Politik. „Es handelt sich um eine längsschnittliche Untersuchung mit drei Erhebungszeitpunkten: 2022, 2023 und 2024. Die erste Befragung fand im Zeitraum von Juni bis Oktober 2022 an 58 weiterführenden Schulen des Saarlandes in den Klassenstufen sieben bis neun statt. Insgesamt nahmen 4001 Schülerinnen und Schüler im Alter zwischen zehn und 18 Jahren teil. Auch für die Erhebung 2023 haben erneut 57 weiterführende Schulen ihre Teilnahme zugesagt“, erklärt Tanja Michael.

Die Forscherinnen und Forscher haben ihre Ergebnisse der Analyse bei einer Fachzeitschrift eingereicht. Sie veröffentlichen diese bereits vor der üblicherweise mehrere Wochen dauernden endgültigen Begutachtung auf einem sogenannten Preprint-Server. „Wir wollen die Ergebnisse unseren Fachkollegen bereits zur Verfügung stellen“, erklärt Tanja Michael.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 22.09.2023

Frühes Lesen beeinflusst geistige und seelische Entwicklung positiv

Kinder, die sich schon früh fürs Lesen begeistern, schneiden bei kognitiven Tests i.d.R. besser ab als Kinder, die kaum oder gar nicht in ihrer Freizeit lesen oder erst als Jugendliche damit beginnen. Junge Leseratten zeigen später während der Pubertät auch meist eine gute psychische Gesundheit. Dies belegt eine umfangreiche amerikanische Studie mit über 10.000 Jugendlichen, die in Psychological Medicine veröffentlicht wurde.

Forschende aus Großbritannien und China waren an der Untersuchung beteiligt. 12 Stunden Lesen in der Woche ist den Ergebnissen zufolge ideal, um sich positiv auszuwirken. „Das Kindergartenalter und Grundschulalter ist ein günstiges Zeitfenster, um Kindern Freude am Lesen beizubringen“, rät Dr. Ulrich Fegeler, Kinder- und Jugendarzt sowie Mitglied des Expertengremiums vom Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ). „Der beste Einstieg ist das Vorlesen. Tablet oder Handy sind kein Ersatz.“ Der Wortschatz, das Gedächtnis, die Sprachentwicklung, Aufmerksamkeit sowie Konzentrationsfähigkeit und die schulischen Leistungen verbessern sich durch das Lesen. Die Expert*innen konnten in den Gehirnscans der Bücherfans sogar leicht vergrößerte Gehirnareale und Volumen in Bereichen erkennen, die für geistige Fähigkeiten zuständig sind. „Aus vielen Untersuchungen wissen wir heute, dass die so früh wie möglich beginnende Entwicklungsstimulation der Kinder die besten Ergebnisse bringt, die die Entfaltung der angeborenen Entwicklungspotenziale betreffen. Dieser Effekt ist von lebenslanger Bedeutung. Das Anregen der Lesefreudigkeit durch das frühestmöglichen Nutzen von Bilder- und später Textbüchern spielt hierbei eine große Rolle“, so Fegeler.

„Bücherwürmer“ sind ausgeschlafen

Den Studienautor*innen fiel auf, dass der Umgang mit Büchern die Zeit verringerte, die Kinder vor einem Bildschirm (wie Fernseher. Smartphone oder Tablet) verbrachten. Auch schliefen diese Kinder durchschnittlich länger als ihre nicht lesenden Altersgenossen. „Digitale Medien wirken sich umgekehrt negativ auf den Schlaf aus. Die intensive Lichteinwirkung insbesondere von Blaulicht abends beeinträchtigt die Melatoninausschüttung, die Kinder müde macht und einschlafen lässt. Und Schlaf ist wiederum wichtig für die Gehirnentwicklung und die Lernleistung“, gibt Dr. Fegeler zu bedenken. Eine durchschnittlich ruhigere Gemütsverfassung wirkt sich möglicherweise zusätzlich positiv auf den Schlaf aus. Lesende leiden weniger als nicht-lesende Gleichaltrige unter Stress, depressiven Symptomen und fallen selten aufgrund von Verhaltensproblemen wie Aggressionen und Regelverstöße auf. Sie entwickeln mehr Mitgefühl und Kreativität.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 06.09.2023