Frühkindliche Erfahrungen können zu irreversiblen Veränderungen des Gehirns führen

Eine durch einschneidende frühkindliche Erfahrungen veränderte Gehirnstruktur regeneriert sich nicht vollständig. Zu diesem Schluss kommt die Studie eines Forschungsteams der Universität Hamburg unter der Leitung der Psychologin und Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Brigitte Röder.

Frühere neurowissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass ungünstige Erfahrungen in den ersten Lebensmonaten und -jahren, wie zum Beispiel Blindheit oder Armut, die strukturelle Entwicklung des menschlichen Gehirns beeinträchtigen können. Nicht bekannt war aber bislang, ob sich die Hirnstruktur wieder erholen kann, wenn die Ursachen der Beeinträchtigungen beseitigt werden. Die neue Forschungsarbeit, deren Ergebnisse im Fachjournal „Cerebral Cortex“ veröffentlicht wurden, kommt zumindest in Bezug auf die Entwicklung der visuellen Areale des Gehirns zu einer eindeutigen Antwort: Die Gehirnstruktur bleibt nachhaltig beeinträchtigt.

3D-Modelle der Gehirne

Für die Studie hat ein Team des Arbeitsbereichs Biologische Psychologie und Neuropsychologie in Kooperation mit dem LV Prasad Eye Institute in Hyderabad (Indien) Menschen untersucht, die aufgrund von beidseitigem Grauen Star teilweise mehrere Jahre nach der Geburt blind waren und deren Augenlicht dann durch eine Operation wiederhergestellt werden konnte. Von allen Teilnehmenden, die zum Zeitpunkt der Studie zwischen sechs und 36 Jahren alt waren, wurden mit Hilfe eines Kernspintomographen Bilder des Gehirns aufgenommen, aus denen anschließend für jede Person ein 3D-Modell des Gehirns rekonstruiert wurde. In diesem Modell konnten die Forschenden messen, wie dick und wie groß die Oberfläche der Hirnrinde in den visuellen Arealen des Gehirns war.

Die Hirnrinde ist die äußerste, mehrfach gefaltete Schicht des Gehirns, die mehrere Millimeter dick ist und hauptsächlich aus Zellkörpern von Nervenzellen besteht, der so genannten grauen Substanz. Durch ihre mehrfache Faltung besitzt die Hirnrinde eine große Oberfläche und bietet viel Platz für Milliarden von Nervenzellkörpern, die für die Verarbeitung sensorischer Information und damit für die Entstehung von Wahrnehmung zuständig sind. In der normalen Entwicklung wird die Hirnrinde ab einem Alter von ein bis zwei Jahren dünner, während ihre Oberfläche bis in die Pubertät zunimmt. Beide strukturellen Veränderungen sind wichtig für die vollständige Reifung neuronaler Netzwerke.

Veränderungen der Sehrinde

Das Forschungsteam fand heraus, dass bei den vormals blinden Menschen die Sehrinde, also der Teil der Hirnrinde, in dem die Sehinformation verarbeitet wird, sowohl eine kleinere Oberfläche besaß als auch dicker war. Ihre Sehrinde ähnelte mehr der von Menschen, die seit ihrer Geburt dauerhaft blind waren als der von Menschen, die von Geburt an sehen konnten. Außerdem sagte das Ausmaß der Veränderungen in der Sehrinde vorher, wie gut die Menschen nach der Entfernung des Grauen Stars sehen lernten.
„Die Studie zeigt, dass frühkindliche Erfahrungen die Hirnstruktur langanhaltend und offenbar nicht reversibel verändern können“, erklärt Dr. Cordula Hölig, Autorin der Studie und Wissenschaftlerin an der Universität Hamburg. „Auch wenn wir hier ausschließlich den Einfluss von fehlendem Sehen untersucht haben, vermuten wir, dass auch andere extreme frühkindliche Erfahrungen, wie sie zum Beispiel bei Armut oder Vernachlässigung auftreten können, die Hirnstruktur irreversibel schädigen können.“

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 15.08.2022

Häusliche Gewalt in der Kindheit erhöht Risiko für psychische Erkrankungen im Erwachsenenalter

Erwachsene, die in ihrer Kindheit regelmäßig häuslicher Gewalt bei ihren Eltern und ein geringeres Maß an sozialer Unterstützung erlebt hatten, haben ein höheres Risiko, Depressionen, Angstzuständen und Sucht zu entwickeln als ihre Altersgenossen, die nicht solche Erfahrungen in ihrer Kindheit machen musste. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von kanadischen und israelischen Wissenschaftlern.

Die Studie der University of Toronto ergab, dass ein Fünftel (22,5%) der Erwachsenen, die in ihrer Kindheit regelmäßig häusliche Gewalt bei ihren Eltern sahen, irgendwann in ihrem Leben eine schwere depressive Störung entwickelten. Im Vergleich dazu waren nur 9,1% derjenigen ohne eine Vorgeschichte von elterlicher häuslicher Gewalt davon betroffen.

„Unsere Ergebnisse unterstreichen das Risiko langfristiger negativer Folgen wiederholter häuslicher Gewalt für Kinder, auch wenn die Kinder selbst nicht missbraucht werden“, verdeutlichte Autorin Professor Esme Fuller-Thomson von der University of Toronto. „Sozialarbeiter und Gesundheitsfachkräfte müssen wachsam bleiben und daran arbeiten, häusliche Gewalt zu verhindern, und sowohl die Oper von Missbrauch als auch ihre Kinder unterstützen.“

Häusliche Gewalt tritt häufig im Zusammenhang mit anderen Widrigkeiten auf, einschließlich körperlichen und sexuellen Missbrauchs in der Kindheit, was es schwierig macht, die Folgen für die psychische Gesundheit zu untersuchen, die ausschließlich mit häuslicher Gewalt bei Eltern verbunden sind, wenn kein Kindesmissbrauch vorliegt. Um dieses Problem anzugehen, schlossen die Autoren in ihrer Studie jeden aus, der in der Kindheit körperlichen oder sexuellen Missbrauch erlebt hatte. Die landesweit repräsentative Stichprobe der Studie umfasste schließlich 17.739 Befragte der Canadian Community Health Survey-Mental Health, von denen 326 angaben, mehr als 10-mal vor dem 16. Lebensjahr bei den Eltern häusliche Gewalt mit angesehen zu haben. Dies erfassten die Experten als regelmäßiges Erleben häuslicher Gewalt zwischen den Sorgeberechtigten.

Einer von sechs Erwachsenen (15,2%), die regelmäßig häusliche Gewalt beobachtet hatten, berichtete, dass er später eine Angststörung entwickelte. Nur 7,1% derjenigen, die keine elterliche Gewalt erlebten, gaben an, irgendwann in ihrem Leben auch eine Angststörung bekommen zu haben.
„Viele Kinder, die der häuslichen Gewalt ihrer Eltern ausgesetzt sind, bleiben ständig wachsam und ständig ängstlich, weil sie befürchten, dass ein Konflikt in jedem Moment zu einem Angriff eskalieren könnte. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Jahrzehnte später, wenn sie Erwachsene sind, Personen mit einer Vorgeschichte von häuslicher Gewalt bei den Eltern vermehrt Angststörungen vorkommen“, sagte Co-Autorin Deirdre Ryan-Morissette von der University of Toronto.

Mehr als ein Viertel der Erwachsenen (26,8%), die in der Kindheit regelmäßig häusliche Gewalt bei ihren Eltern beobachtet hatten, entwickelten eine Sucht, verglichen mit 19,2% derjenigen, die diesen frühen Widrigkeiten nicht ausgesetzt waren.

Es erholten sich mehr Teilnehmer von ihren negativen Erlebnissen, als die Forscher erwartet hatten

Die Ergebnisse waren nicht alle negativ. Mehr als drei von fünf Erwachsenen mit diesen negativen Kindheitserfahrungen waren in ausgezeichneter psychischer Verfassung, frei von psychischen Erkrankungen, Substanzabhängigkeit oder Selbstmordgedanken im vorangegangenen Jahr; sie waren glücklich und/oder zufrieden mit ihrem Leben und berichteten von einem hohen Maß an sozialem und psychischem Wohlbefinden, obwohl sie in der Kindheit solch erschütternden Erfahrungen ausgesetzt waren. Insgesamt war eine gute psychischen Gesundheit bei derjenigen mit negativen Erfahrungen niedriger als bei denen, deren Eltern nicht gewalttätig miteinander umgingen (62,5% gegenüber 76,1%), aber immer noch viel höher als von den Autoren erwartet.
„Wir waren positiv überrascht, dass so viele Erwachsene diese frühen Widrigkeiten überwunden haben und frei von psychischen Erkrankungen sind […]“, kommentierte Co-Autor Professor Shalhevet Attar-Schwartz von der Paul Baerwald School of Social Work and Social Welfare der Hebrew University (Israel). „Unsere Analyse zeigte, dass soziale Unterstützung ein wichtiger Faktor war. Unter denjenigen, die Gewalt bei den Eltern erlebt hatten, hatten diejenigen, die mehr soziale Unterstützung hatten, viel höhere Chancen, als Erwachsene eine ausgezeichnete psychische Gesundheit zu besitzen.“

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 15.07.2022

Sucht und Drogen: Mindestpreis für Alkohol und legalisiertes Cannabis

Die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) fordert eine Verteuerung von Alkohol und eine Legalisierung von Cannabis. Beides sollte zudem nur noch in lizenzierten Geschäften abgegeben werden dürfen, so die Kammer. Zugleich empfiehlt sie ein Mindestalter von 18 Jahren für den Kauf aller legalen Drogen. Die Abgabe an Minderjährige müsse stärker als bislang sanktioniert werden.

Die Drogenpolitik könne den Gebrauch von Drogen nicht verhindern, konstatiert Kammerpräsident Dr. rer. nat. Dietrich Munz. „Deshalb sollten Erwachsene wie Jugendliche lernen, Drogen so zu nutzen, dass sie ihre Gesundheit nicht gefährden und das Risiko für Missbrauch und Abhängigkeit gering bleibt.“

Bei der Beschränkung aller legalen Drogen auf Lizenzshops schwebt der BPtK eine „Abgabe durch Fachpersonal“ vor, ausgebildet in Suchtprävention. Künftig solle das Fachpersonal über die Wirkungen informieren und das Alter prüfen. „Alkohol ist deutlich gefährlicher als Cannabis“, stellt die BPtK fest. Denn die legale Droge könne tödlich sein. Cannabis gelte dagegen als moderat schädliche Droge. Cannabis sei jedoch nicht harmlos und berge insbesondere das Risiko von Psychosen, konstatiert die BPtK. Doch der Gebrauch von Cannabis nehme trotz Verbots seit Jahrzehnten zu.

Die Stellungnahme kommt zu einem Zeitpunkt, an dem die Koalition eine kontrollierte Cannabisfreigabe vorbereitet. Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) will bis zum Herbst Eckpunkte für die geplante Cannabisfreigabe vorlegen. 

Quelle: www.aerzteblatt.de/ Ausgabe Juli 2022

Transgenderversorgung: Universitätsklinikum Münster eröffnet interdisziplinäres Zentrum

Mit dem Ziel, Transpersonen eine ganzheitliche, lebensbegleitende Versorgung zu ermöglichen, wurde am Universitätsklinikum Münster (UKM) Deutschlands erstes interdisziplinäres Kompetenzzentrum Center for Transgender Health (CTH) eingerichtet.

„Durch die Bündelung und Vernetzung aller an der Behandlung von Transpersonen beteiligten medizinischen Disziplinen, sollen Versorgung und Forschung in der Transgesundheit entscheidend vorangebracht werden“, sagte Prof. Dr. med. Georg Romer, erster Sprecher des CTH. Er vertritt als Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie mit seinem Team behandlerisch auch den psychosozialen Schwerpunkt der Transition.

Im Kindes- und Jugendalter seien Gefühle der Verunsicherung im Hinblick auf die geschlechtliche Identität nicht selten und können auch vorübergehend sein, so Romer. „Ist jedoch der Wunsch nach Behandlung einer Geschlechtsdysphorie, also dem Leiden am angeborenen Geschlecht, vorhanden, tritt er oft schon in früher Jugend auf.“ Es sei wichtig, Kinder und Jugendliche sowie deren Eltern in dieser frühen Phase psychiatrisch beratend eng und ergebnisoffen zu begleiten. „Erst wenn in unserer Spezialambulanz der finale Entschluss einer Geschlechtstransition geäußert wird, kommen die weiteren Disziplinen des Kompetenzzentrums ins Spiel.“

Das CTH biete ein ganzheitliches und lebenslanges Konzept vom Wunsch nach Transition über die psychosoziale Beratung, Hormonbehandlung, Stimmtherapie bis hin zum chirurgischen Eingriff der geschlechtsangleichenden Operation, erläuterte Romer. Auf Wunsch würden Transpersonen auch hinsichtlich des Erhalts der Möglichkeit einer späteren Elternschaft beraten. 

Quelle: www.aerzteblatt.de; Ausgabe Juli 2022

BZgA stellt Informationen zu Long-COVID für Betroffene bereit

Hilfreiche Informationen rund um das Thema Long-COVID finden Interessierte ab sofort unter www.longcovid-info.de. Die neue Webseite verweist zudem auf wichtige Anlaufstellen, zum Beispiel auf Hilfs- und Beratungsangebote.

Die Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) hat das Long-COVID-Informationsportal in Zusammenarbeit mit dem Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und 13 weiteren Organisationen aus dem Gesundheitswesen, der Arbeitswelt und der Wissenschaft erstellt. Auch die KBV ist an dem Projekt beteiligt.

Die Webseite bietet neben allgemeinen Infos zu Long-COVID unter anderem Informationen zu Behandlungsmöglichkeiten und Unterstützungsangeboten für Betroffene und Angehörige. Zudem werden verschiedene Reha-Angebote erläutert. Unter dem Menüpunkt „Materialien“ stehen verschiedene Infografiken, beispielsweise zu häufigen Krankheitszeichen, zum Download bereit.

Quelle: KVWL vom 13.06.2022

Pandemie: Depressionen und Essstörungen bei Jugendlichen steigen weiter an

• Aktueller Kinder- und Jugendreport der DAK-Gesundheit analysiert Krankenhausdaten der Jahre 2019 bis 2021 • Vor allem Mädchen leiden massiv unter Corona-Belastungen

Die Pandemie hat massive Folgen für die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Im Jahr 2021 stiegen Depressionen und Essstörungen bei Jugendlichen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren weiter an. Mädchen wurden mit psychischen Erkrankungen deutlich häufiger stationär behandelt als Jungen. Im Grundschulalter zeigte sich eine spürbare Steigerung von Störungen sozialer Funktionen und eine Zunahme von Entwicklungsstörungen. Das ist das Ergebnis der Analyse aktueller Krankenhausdaten der DAK-Gesundheit für den Kinder- und Jugendreport 2022. DAK-Vorstandschef Andreas Storm und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte fordern angesichts der dramatischen Entwicklung ein schnelles Handeln der Politik.

Für den Report untersuchten Wissenschaftler von Vandage und der Universität Bielefeld anonymisierte Abrechnungsdaten von rund 800.000 Kindern und Jugendlichen im Alter bis 17 Jahren, die bei der DAK-Gesundheit versichert sind. Analysiert wurden die Jahre 2019 bis 2021. Die Daten zeigen, dass vor allem Mädchen im späten Teenageralter massiv unter den Auswirkungen der Pandemie leiden. So wurden Mädchen im Alter zwischen 15 und 17 Jahren über 32-mal so häufig wegen Essstörungen stationär behandelt wie Jungen, ein Trend, welcher sich während der Pandemie verschärft hat. Der Anteil junger Patientinnen mit Essstörungen stieg 2021 um 25 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Zudem kamen sie fünfmal öfter wegen Depressionen, dreimal häufiger wegen Angststörungen und 2,5-mal öfter aufgrund von emotionalen Störungen in deutsche Kliniken.

DAK-Chef Storm: „Lage hat sich dramatisch verschärft.“
„Unser aktueller Kinder- und Jugendreport zeigt, wie sehr Jungen und Mädchen in der Pandemie leiden. Der starke Anstieg bei Depressionen oder Essstörungen ist ein stiller Hilfeschrei, der uns wachrütteln muss“, sagt Andreas Storm, Vorstandschef der DAK-Gesundheit. „Wir dürfen nicht länger zuschauen, sondern müssen dem Thema Kinder- und Jugendgesundheit endlich mehr Gewicht geben und handeln. Die Lage hat sich im vergangenen Jahr dramatisch verschärft, doch noch hat die Politik darauf nicht entsprechend reagiert. Deshalb ist die Einrichtung einer Enquete-Kommission durch den Deutschen Bundestag aus meiner Sicht der richtige Weg, um die Probleme weiter zu analysieren und noch in dieser Legislaturperiode erste Konsequenzen umzusetzen. Es geht um die gesundheitliche Zukunft einer ganzen Generation.“

Essstörungen: Starker Anstieg seit Pandemie-Beginn
Insgesamt nahmen die Behandlungszahlen 2021 von Jugendlichen mit Depressionen und Essstörungen im Vergleich zum Vorjahr merklich zu. So kamen 28 Prozent mehr 15- bis 17-Jährige mit Depressionen und 17 Prozent mehr ältere Teenager mit Essstörungen in die Kliniken. In Relation zu 2019 stiegen die Krankenhausaufenthalte 2021 bei Essstörungen sogar um 40 Prozent. Auch bei emotionalen Störungen war ein Plus der Behandlungen zu verzeichnen: 2021 wurden 42 Prozent mehr 15- bis 17-Jährige aufgrund von emotionalen Störungen stationär versorgt. Unter emotionale Störungen fallen insbesondere Ängste wie Trennungsangst, soziale Ängstlichkeit oder auch phobische Störungen, zum Beispiel die Angst vor imaginären Gestalten. Die Fallzahlen blieben hier aber unter den Fallzahlen depressiver Episoden und Essstörungen.

Ähnliche Tendenzen gab es auch bei den Schulkindern im Alter zwischen zehn und 14 Jahren. Hier nahmen vor allem stationäre Behandlungen aufgrund von Depressionen (plus 27 Prozent), Angststörungen (plus 25 Prozent) und Essstörungen (plus 21 Prozent) zu.

„Der DAK-Report belegt in sehr eindrucksvoller Weise, wie häufig inzwischen psychische und psychosomatische Auffälligkeiten, Themen und Erkrankungen gerade im Jugendalter in unserer Gesellschaft geworden sind. Es ist zu erwarten, dass die Zahl psychischer Erkrankungen und Problemfelder auch in Zukunft weiter steigen wird“, so Prof. Dr. med. Wieland Kiess, Direktor der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Leipzig. „Die Daten belegen aber auch, dass sich das Gesundheitswesen durch die Veränderungen in Krisenzeiten, wie einer Pandemie, reorganisiert und die Organisationsformen dringend überdacht werden sollten. Die Trennung zwischen ambulanten und stationären Behandlungs- und Betreuungskonzepten ist falsch und nicht mehr zeitgemäß. Wir müssen Versorgungsformen neu denken und die Versorgungsstrukturen dem Bedarf der Kinder und Jugendlichen heute und in der Zukunft anpassen.“

Grundschulkinder: mehr Störungen sozialer Funktionen und Entwicklungsstörungen
Die Daten des Kinder- und Jugendreports zeigen zudem, dass Grundschulkinder vor allem unter Störungen sozialer Funktionen und Entwicklungsstörungen leiden. So wurden 2021 36 Prozent mehr Kinder im Alter zwischen fünf und neun Jahren aufgrund von Störungen sozialer Funktionen in Kliniken behandelt. Bei Entwicklungsstörungen war es ein Plus von elf Prozent. Auffallend ist, dass Jungen in diesem Kontext häufiger in Behandlung waren als Mädchen: Sie fanden fast doppelt so häufig wegen der Störung sozialer Funktionen und fast dreimal so häufig aufgrund von Entwicklungsstörungen den Weg in deutsche Krankenhäuser.

„Die Corona-Pandemie und ganz besonders die von der Politik verhängten Maßnahmen zur Pandemiebekämpfung haben Kindern in allen Altersstufen erheblichen gesundheitlichen Schaden zugefügt. Neben eher organischen Krankheiten wie Adipositas betreffen die feststellbaren Gesundheitsschäden vorwiegend den psychosozioemotionalen Bereich“, sagt Dr. Thomas Fischbach, Präsident des Berufsverbands der Kinder- und Jugendärzte. „Kinder und Jugendliche stellen eine ebenso vulnerable Gruppe innerhalb der Bevölkerung dar wie alte beziehungsweise vorerkrankte Bürgerinnen und Bürger während der Corona-Pandemie. Während letzteren natürlich auch zu Recht Aufmerksamkeit und Fürsorge gewidmet wurden, haben die politisch Verantwortlichen über zwei Jahre lang die ebenso existentiell wichtigen Bedürfnisse und Bedarfe der jungen Generation schlichtweg ignoriert. Der dadurch bedingte Schaden ist erheblich, wie der vorliegende DAK-Report zeigt. Wie viele Dauerschäden entstanden sind, ist heute noch schwer zu erfassen. Aus den Fehlern der Pandemiebekämpfung müssen Lehren gezogen werden, insbesondere von Seiten der Politik. Auch Kinder haben die gleichen Rechte wie Erwachsene, und zwar immer. Und diese Rechte gehören in unser Grundgesetz.“

Quelle: www.dak.de vom 27.05.2022

Aktuelle Zahlen zur Cyberkriminalität von Jugendlichen

Neue Publikation des DJI »Zahlen ‒ Daten ‒ Fakten. Jugenddelinquenz im Kontext von Digitalisierung« gibt Überblick zu aktuellen Studien

Internet und soziale Medien sind aus dem Alltag junger Menschen nicht mehr wegzudenken. Der häufige Umgang damit erhöht die Wahrscheinlichkeit, Opfer und selbst Täterin oder Täter von Cyberkriminalität zu werden. Die Publikation »Zahlen ‒ Daten ‒ Fakten. Jugenddelinquenz im Kontext von Digitalisierung« der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention am Deutschen Jugendinstitut (DJI) fasst neue Erkenntnisse über das Ausmaß von Cyberkriminalität unter Jugendlichen in Deutschland zusammen.

Cyberkriminalität ist ein zentrales gesellschaftliches Problem: »Die Datenlage und die Aussagekraft der Daten sind teilweise begrenzt«, erklärt Dr. Steffen Zdun, Referent der Arbeitsstelle Kinder- und Jugendkriminalitätsprävention und Autor der Publikation. Zum einen werde Cyberkriminalität in unserer Gesellschaft tabuisiert, sodass Täter und Opfer, selbst in anonymisierten Umfragen, selten Auskunft dazu geben. Zum anderen beeinflussen etwa Gesetzesänderungen, die Strafverfolgungspraxis der Polizei oder Verhaltensveränderungen der Internetnutzerinnen und -nutzer, wie gestiegene Online-Zeiten während der Corona-Pandemie, die Daten. Der DJI-Wissenschaftler betont: »Was wir jedoch sehen: Cyberkriminalität ist ein zentrales gesellschaftliches Problem«. Zu unterscheiden ist Cybercrime im engeren Sinne, als definierte, polizeistatistisch erfasste Kriminalität, und im weiteren Sinne, zum Beispiel Cybermobbing und -stalking. Cybermobbing stellt keinen Straftatbestand in Deutschland dar und kann nur in Form bestimmter Delikte, etwa Beleidigung oder übler Nachrede, strafrechtlich geahndet werden.

Vermögens- und Fälschungsdelikte in Polizeilicher Kriminalstatistik am häufigsten: Die PKS weist für das Jahr 2020 etwa 125.000 tatverdächtige Personen im Bereich Cyberkriminalität aus, davon knapp 4.000 Kinder unter 14 Jahren, fast 12.000 14- bis unter 18-jährige Jugendliche und rund 11.000 18- bis unter 21-jährige. Das macht einen Anteil von über 21 Prozent an den Tatverdächtigen.
Konkret stellen 18- und 21-Jährige mit zirka 6.100 Delikten die größte Gruppe bei Vermögens- und Fälschungsdelikten dar. Bei Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung ist die Anzahl verdächtiger Jugendlicher (14-18 Jahre) mit knapp 5.300 am größten. Verdachtsfälle gegen Kinder unter 14 Jahre ergaben sich am häufigsten bei der Verbreitung pornografischer Inhalte (knapp 2.400) und der Herstellung von Kinderpornografie (etwa 2.100).

Dunkelfeldstudien zeigen großes Ausmaß an Cybermobbing: Im Gegensatz zur PKS liefern Dunkelfeldstudien vor allem Erkenntnisse zum Cybermobbing. Die Schwierigkeit dabei ist die geringe Vergleichbarkeit verschiedener Studien, da zum Teil unterschiedliche Definitionen, Fragestellungen, Altersgruppen und Prävalenzen berücksichtigt werden. Der DJI-Survey AID:A zeigt, dass rund 11 Prozent der 12- bis 13-Jährigen und 13 Prozent der Jugendlichen bereits Cybermobbing in Form von Bloßstellung oder Beleidigung erlebt haben.
In absoluten Zahlen kommt Wissenschaftler Dirk Nolden im Jugend Medien Schutz-Report 2020 zum Ergebnis, dass aktuell fast zwei Millionen junger Menschen in Deutschland von Cybermobbing betroffen sind. Laut einer repräsentativen Studie der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK) im Auftrag von Telefonica gaben 1,5 Millionen Jugendliche an, wöchentlich Zeugin oder Zeuge von Cybermobbing zu sein. Etwa ein Viertel der Befragten wurde mindestens einmal im Leben Opfer von Cybermobbing.
Weitere Studien, die in der DJI-Publikation berücksichtigt werden, sind unter anderem die KIM- sowie JIM-Studie 2020 des Medienpädagogischen Forschungsverbunds Südwest, die »Health Behaviour in School-Aged Children (HBSC)«-Studie und eine Studie der Vodafone-Stiftung des Jahres 2021 zu Cybermobbing speziell mittels der Verwendung von Messengerdiensten.

Quelle: »Zahlen – Daten – Fakten: Jugenddelinquenz im Kontext von Digitalisierung«

Corona-Jahr 2020: 40 % weniger Kinder und Jugendliche wegen Alkoholmissbrauchs im Krankenhaus als im Vorjahr

Abgesagte Feste, geschlossene Lokale, Kontaktbeschränkungen – in der Folge kamen im ersten Jahr der Covid-19-Pandemie deutlich weniger Menschen wegen Alkoholmissbrauchs in ein Krankenhaus. Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) mitteilt, wurden in Deutschland im Jahr 2020 rund 12.200 Kinder und Jugendliche von 10 bis unter 20 Jahren wegen akuten Alkoholmissbrauchs stationär in einem Krankenhaus behandelt. Das waren 39,7 % weniger als im Jahr 2019. Damals waren es rund 20.300 Kinder und Jugendliche.
Über alle Altersgruppen hinweg gab es im Jahr 2020 mit 76.200 Fällen im Vergleich zu 2019 rund ein Viertel (-23,8 %) weniger Krankenhausbehandlungen wegen akuter Alkoholvergiftung. Dabei ist der Rückgang in allen Altersgruppen zu beobachten, er fällt aber in der Altersgruppe der 15- bis unter 20-Jährigen (-41,7 %) und bei den 20- bis unter 25-Jährigen (-41,5 %) am höchsten aus. 
Die Ergebnisse zeigen im Jahr 2020 zwar einen coronabedingt starken Rückgang, trotzdem sind die Fallzahlen immer noch höher als zur Jahrtausendwende. Im Jahr 2000 gab es insgesamt rund 54.000 Fälle und damit 41,1 % weniger als im Jahr 2020 mit 76.200 Fällen. Auch bei den 10- bis unter 20-Jährigen liegen die Zahlen im Jahr 2020 um mehr als ein Viertel (+28,6 %) über denen von vor 20 Jahren. Im Jahr 2000 gab es rund 9.500 stationäre Krankenhauseinweisungen dieser Altersgruppe, im Jahr 2020 waren es 12.200 Fälle. Demografische Effekte spielen hierbei eine geringe Rolle: Auch bei den Pro-Kopf-Fallzahlen zeigt sich über alle Altersgruppen hinweg ein Anstieg gegenüber dem Jahr 2000.

Jugendliche von 15 bis unter 20 Jahren besonders gefährdet: Trotz coronabedingt sinkender Fallzahlen ist das Risiko einer Alkoholvergiftung bei Jugendlichen nach wie vor besonders groß: In der Altersgruppe der 15- bis unter 20-Jährigen wurden auch 2020 mit 9.900 die meisten Fälle verzeichnet. Noch deutlicher zeigt sich die unterschiedliche Betroffenheit einzelner Altersgruppen in den Pro-Kopf-Daten: In der Altersgruppe der 15- bis unter 20-Jährigen gab es im Jahr 2020 mit knapp 254 Fällen je 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner den höchsten Wert aller Altersgruppen. Zum Vergleich: In der Altersgruppe der 50- bis unter 55-Jährigen gab es 126 Fälle je 100.000 Einwohnerinnen und Einwohner.

Männer neigen stärker zum Rauschtrinken als Frauen: Die Daten weisen auch auf Unterschiede zwischen den Geschlechtern hin. Im Jahr 2020 mussten rund 54.300 Männer über alle Altersgruppen wegen Alkoholmissbrauchs ins Krankenhaus, das waren 71,2 % aller Fälle. Dabei liegt der Männeranteil über alle Altersgruppen, ausgenommen in der Altersgruppe der 10- bis unter 15-Jährigen (Männeranteil: 39 %) deutlich über dem Anteil der Frauen. 

Quelle: Pressemitteilung DESTATIS, Wiesbaden, 06. Mai 2022

Klarer Auftrag für Recht auf Schutz und Beratung

Runder Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ berät über bundesgesetzliche Regelung

Unter Leitung von Bundesfrauenministerin Lisa Paus ist heute der Runde Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ von Bund, Ländern und Kommunen zum ersten Mal in dieser Legislaturperiode zusammengekommen. Die Sitzung bildete den Auftakt für die Beratungen über eine bundesgesetzliche Regelung des Rechts von Frauen und ihren Kindern auf Schutz und Beratung bei Gewalt.

Bundesfrauenministerin Lisa Paus:„Von Gewalt betroffene Frauen und ihre Kinder brauchen überall im Land Zugang zu Schutz und Beratung. Das wollen wir bundesgesetzlich regeln, einen einheitlichen Rechtsrahmen für die verlässliche finanzielle Absicherung des Hilfesystems schaffen und das Hilfesystem bedarfsgerecht ausbauen. Denn obwohl wir bundesweit rund 350 Frauenhäuser, 100 Schutzwohnungen und mehr als 600 Beratungsstellen haben, reicht das Angebot derzeit vielerorts noch nicht aus. Der Koalitionsvertrag der Ampelregierung formuliert hier einen klaren Auftrag und stärkt uns den Rücken, um den Schutz von Frauen vor Gewalt in den nächsten Jahren deutlich voranzubringen.“

Koalitionsvertrag sieht Strategie gegen Gewalt vor

Die Ampelregierung hat sich im Koalitionsvertrag vorgenommen, mit einer Strategie gegen geschlechtsspezifische Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt die weitere Umsetzung der Istanbul-Konvention auf Bundesebene stärker voranzutreiben. Eine staatliche Koordinierungsstelle soll diese Strategie erstellen und ihre Umsetzung koordinieren. Zudem soll eine unabhängige Berichterstattungsstelle die Situation und die Wirkungen der politischen Maßnahmen daten- und evidenzbasiert beobachten. Denn es braucht belastbare Daten, um das Ausmaß geschlechtsbezogener Gewalt in Deutschland zu erfassen und politisch angemessen reagieren zu können.

Die Istanbul-Konvention verpflichtet Deutschland, auf allen staatlichen Ebenen alles dafür zu tun, um Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen, Betroffenen Schutz und Unterstützung zu bieten und Gewalt zu verhindern.

Gemeinsames Positionspapier als Grundlage für den Gesetzentwurf

In ihren Beratungen am Runden Tisch „Gemeinsam gegen Gewalt an Frauen“ hatten sich Bund, Länder und Kommunen in der vergangenen Legislaturperiode bereits mit breiter Mehrheit für eine bundesgesetzliche Regelung ausgesprochen. Das dazu verabschiedete Positionspapier soll die Grundlage für einen Gesetzentwurf in dieser Legislaturperiode bilden. Ziel ist es, Verlässlichkeit für alle gewaltbetroffenen Frauen mit ihren Kindern zu schaffen und sicherzustellen, dass sie bundesweit professionelle Unterstützung bei Gewalt erhalten können.

Quelle: Pressemitteilung des Bundesfamilienministeriums vom 06.05.2022