Am Anfang schien COVID-19 eine Pandemie der chronisch kranken und alten Menschen zu sein. Doch nun zeigt sich: Die Schutzmaßnahmen hatten auch auf eine andere Gruppe einen erheblichen Einfluss: auf Kinder und Jugendliche. Jetzt geht es darum, insbesondere den schwer betroffenen jungen Menschen zu helfen.
Lange Zeit lag der Fokus der öffentlichen Aufmerksamkeit in der Coronapandemie auf den schwer erkrankten COVID-19-Patienten und den vulnerablen Patientengruppen wie alten und chronisch kranken Menschen. Bei Kindern und Jugendlichen gab es fast keine schweren Verläufe. So befanden sie sich lange unterhalb des politischen und gesellschaftlichen Radars.
Erst allmählich setzte sich die Erkenntnis durch, dass auch sie unter der Pandemie und den angeordneten Schutzmaßnahmen leiden – wenn auch anders als COVID-19-Infizierte. Der Bundesverband der Kinder- und Jugendärzte (bvkj) wies früh auf das Problem hin. „Die pandemiebedingte soziale Distanzierung zeigt, wie sehr insbesondere Kindern wirkliches soziales Miteinander fehlt“, heißt es in einer Pressemitteilung des Verbandes vom 13. Mai 2020. Homeoffice mit gleichzeitigem Homeschooling vor dem Bildschirm werde oft als stressig und wenig effektiv erlebt. Insbesondere weniger gut situierte Familien seien damit schnell überfordert. „Jetzt werden Lockerungen diskutiert“, schrieb der Verband im Mai 2020. „Hierbei sehen wir, dass Kinder oft keine gesellschaftliche Priorität haben: Sie sind zwar kaum gefährdet und wahrscheinlich weniger ansteckend als befürchtet. Aber sie werden als Subjekte mit eigenen Bedürfnissen schnell vergessen.“
Keine Erholung
Etwa 8,4 Millionen Schülerinnen und Schüler gibt es in Deutschland. Während des ersten Lockdowns blieben sie sieben Wochen im Homeschooling. Zwischen November 2020 und den Sommerferien 2021 verbrachten die meisten von ihnen sieben Monate – je nach Region und Schulklasse – im Homeschooling oder im Wechselunterricht. Und im Stress, wie mehr und mehr Studien zeigen. Eine dieser Erhebungen hat Prof. Dr. phil. Kathinka Beckmann durchgeführt, die an der Hochschule Koblenz unter anderem zum Thema Kinderschutz forscht. Von März bis April 2021 hat sie im Rahmen der Studie „COVID und Wir“ zusammen mit zwei Kolleginnen Interviews an sechs Schulen in drei Bundesländern in den Jahrgangsstufen drei, sechs, acht und zehn durchgeführt. Vorrangiges Ziel des Projekts war es, die jungen Menschen selbst ihre Erfahrungen während der Pandemie in Worte fassen zu lassen.
„Den ersten Lockdown haben die Kinder und Jugendlichen noch als spannend empfunden“, erklärte Beckmann Mitte September auf einem Roundtable der Tribute to Bambi Stiftung und der Kinderschutzstiftung Hänsel+Gretel in Berlin. „Die Schulschließungen im ersten Halbjahr 2021 wurden für sie jedoch zu einer großen Stresssituation. Denn Eltern und Geschwister waren für sie in dieser Zeit oft keine Ressource mehr, sondern eine Belastung. Normalerweise erholen sich die Kinder in der Schule von ihrem Zuhause und umgekehrt. Während den Schulschließungen sind beide Erholungsphasen weggefallen.“
Psychisch belastet
Die erste große Studie zum Befinden von Kindern und Jugendlichen in Deutschland war die COPSY-Studie. Forscherinnen und Forscher des Universitätsklinikums Hamburg-Eppendorf befragten dafür Schüler und Eltern zunächst von Mai bis Juni 2020 und danach von Dezember 2020 bis Januar 2021. Demnach hat sich die Lebensqualität und die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen im Verlauf der Pandemie verschlechtert. Während bei der ersten Befragung 71 Prozent der Kinder angaben, psychisch belastet zu sein, machten bei der zweiten Befragung 85 Prozent diese Angabe. Fast jedes dritte Kind litt ein knappes Jahr nach Beginn der Pandemie zudem unter psychischen Auffälligkeiten. Betroffen sind dabei vor allem Kinder und Jugendliche aus sozial schwächeren Verhältnissen oder mit Migrationshintergrund.
Für ihren Kinder- und Jugendreport hat die DAK-Gesundheit die Daten von 800 000 Kindern und Jugendlichen auswerten lassen, von denen im Jahr 2020 zwischen 62 000 und 67 000 stationär behandelt wurden. Im Ergebnis zeigt sich, dass die Coronapandemie das Krankheitsspektrum deutlich verschoben hat. Angestiegen ist demnach vor allem die Zahl der Kinder, die infolge einer psychischen Erkrankung im Krankenhaus behandelt wurden: von 172,1 auf 182 je 100 000 Fälle nach dem ersten Shutdown sowie von 58,3 auf 62,7 je 100 000 Fälle im zweiten Shutdown. Auf niedrigem Niveau angestiegen ist zudem die Zahl der Kinder, die wegen Adipositas stationär behandelt wurde: von 4,6 auf 8,3 je 100 000 Fälle nach dem ersten Shutdown und von 1,2 auf 2,2 je 100 000 Fälle während des zweiten Shutdowns.
Der Direktor der Universitätsklinik für Kinder- und Jugendmedizin am Evangelischen Klinikum Bethel, Universitätsklinikum OWL der Universität Bielefeld, Prof. Dr. med. Eckard Hamelmann, erinnerte bei der Präsentation des Kinder- und Jugendreports daran, dass es sich bei diesen Zahlen um die stationären Fälle handelt. „Die große Bugwelle, die wir noch erwarten, schlägt im ambulanten Bereich auf“, sagte er. Dabei gebe es eine große Gruppe an chronisch kranken Kindern, die während der Pandemie eine psychische Komorbidität entwickelt habe. „Wir sehen zum Beispiel in den Asthmaambulanzen und in den Diabetesambulanzen Kinder und Jugendliche, mit denen wir vor allem über Stress und Depressionen sprechen und weniger über ihre eigentliche Erkrankung“, so Hamelmann. „Die psychische Belastung dieser Kinder ist hier brutal zu merken.“
Weniger stationäre Fälle
Insgesamt wurden während der Pandemie im Jahr 2020 weniger Kinder und Jugendliche im Krankenhaus behandelt als im Vorjahr. So ging die Zahl der Krankenhausfälle von 11,9 auf 7,7 je 1 000 Fälle während des ersten Lockdowns zurück. Nach dem ersten Lockdown lag die Zahl der Krankenhausfälle mit 43,1 je 1 000 auf dem Niveau des Vorjahrs, um im zweiten Lockdown von 13,8 auf 12,2 je 1 000 Fälle zu sinken.
Dass infolge der Coronapandemie vor allem die psychischen Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen angestiegen sind, zeigt sich auch in den Praxen der Kinder- und Jugendärzte. „Wir sehen dabei ein großes Spektrum: auffälliges Sozialverhalten, aggressives Verhalten insbesondere bei Jungs und internalisierendes Verhalten bei Mädchen bis hin zu emotionalen Anpassungsstörungen“, sagt der Präsident des bvkj, Dr. med. Thomas Fischbach, dem Deutschen Ärzteblatt (DÄ). „Ich musste zuletzt mehrere meiner Patienten in eine Jugendpsychiatrie einweisen.“ Viele dieser Kinder hätten ihre innere Mitte verloren. „Sie haben keine Freunde mehr getroffen, keinen Sport gemacht, sie konnten nicht mehr in ihrem Verein aktiv sein“, sagt Fischbach. „Stattdessen mussten sie im Homeschooling lange Zeit vor dem Bildschirm sitzen und haben hinterher vielfach noch am Computer oder am Handy gespielt. Über Jahre haben wir versucht, dysfunktionales Medienverhalten zu reduzieren.“ In der Pandemie sei das auf einmal nicht mehr wichtig gewesen.„Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen werden wir noch lange in den Praxen sehen.“ Thomas Fischbach, bvkj
Auch in der stationären Psychiatrie hat sich das Problem verfestigt. „Als Kliniker stelle ich fest, dass es bei einzelnen Krankheitsbildern einen erheblichen Anstieg gegeben hat, auch hier bei uns in Tübingen“, erklärt Prof. Dr. med. Tobias Renner, Ärztlicher Direktor der Abteilung für Psychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie im Kindes- und Jugendalter am Universitätsklinikum Tübingen, dem DÄ. Dabei handle es sich vor allem um Anorexia nervosa, Angststörungen und Depressionen. „Zudem haben wir in Tübingen einen Anstieg der Notfälle zu verzeichnen“, sagt Renner, der auch Mitglied im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendpsychiatrie, Psychosomatik und Psychotherapie (DGKJP) ist. „Während des zweiten Lockdowns gab es einen Anstieg um 30 Prozent – eine Entwicklung, die sich in diesem Jahr fortsetzt: Von vorher jährlich etwa 300 Notaufnahmen werden wir im Jahr 2021 bei Anhalten der Entwicklung auf über 400 Notaufnahmen kommen. Aktuell haben wir bei uns eine sehr lange Warteliste mit mehr als 100 Patienten, die zum Teil bis zu einem Jahr auf einen Termin warten müssen.“
Permanent gestritten„Wir haben eine Warteliste mit über 100 Patienten, die zum Teil ein Jahr auf einen Termin warten müssen.“ Tobias Renner, Universitätsklinikum Tübingen
Klar ist, dass die Zunahme emotionaler Belastungen und psychischer Erkrankungen bei Kindern und Jugendlichen mit den Schulschließungen während der Coronapandemie zusammenhängen. Doch wie genau? „Zu den Kernerkenntnissen unserer Interviews gehört, dass sich das Zuhause der Kinder und Jugendlichen zu einem Konfliktort entwickelt hat“, sagte Beckmann von der Hochschule Koblenz bei dem Roundtable in Berlin. „Ein 14-jähriges Mädchen hat uns erzählt, dass ihre Eltern eigentlich sehr nett seien. Doch während der Lockdowns habe sich die Familie permanent gestritten.“ Zudem hätten sich die Kinder Sorgen um andere Kinder gemacht, da sie sie nicht gesehen haben und nicht wussten, wie es ihnen geht.
Prof. Dr. phil. Regina Rätz von der Alice Solomon Hochschule in Berlin hat im Rahmen der Studie „Corona und Menschen in den Hilfen zur Erziehung“ während des Sommersemesters 2021 18- und 19-Jährige und ihre Eltern befragt. „In den Interviews haben wir festgestellt, dass die jungen Menschen den hohen Druck, der von außen auf ihnen gelastet hat, zu ihrem inneren Druck gemacht haben“, berichtete Rätz bei dem Roundtable. „Das hat zu existenziellen Ängsten geführt.“
In diesem Sommer hat auch die Politik auf die Probleme der Kinder und Jugendlichen reagiert. Im August hat die Bundesregierung das Aktionsprogramm „Aufholen nach Corona für Kinder und Jugendliche“ beschlossen, mit dem zwei Milliarden Euro zur Verfügung gestellt werden sollen. Mit einer Milliarde Euro will das Bundesfamilienministerium Angebote im Bereich der frühkindlichen Bildung ebenso schaffen wie zusätzliche Sport-, Freizeit- und Ferienaktivitäten sowie Unterstützung für Kinder und Jugendliche im Alltag. Mit der zweiten Milliarde Euro will das Bundesbildungsministerium Schülerinnen und Schüler dabei unterstützen, Lernrückstände mit zusätzlichen Förderangeboten aufzuholen.
Darüber hinaus hat die Bundesregierung die Interministerielle Arbeitsgruppe (IMA) „Gesundheitliche Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche durch Corona“ eingesetzt, die Empfehlungen für Maßnahmen erarbeitet hat, um bestehende, mit der Pandemie verbundene Belastungen für Kinder und Jugendliche abzubauen und künftige Belastungen zu vermeiden. Nach vier Arbeitstreffen im Juli und August hat die IMA nun ihre Empfehlungen vorgelegt, die sich in erster Linie an die Länder und Kommunen richten, aber auch an den Bund und weitere Akteure.
Oberste Priorität hat dabei, flächendeckende Schließungen von Bildungs- und Betreuungseinrichtungen zu vermeiden. „Es besteht weitgehend Einigkeit in Politik und Wissenschaft, dass flächendeckende Schließungen von Kindertageseinrichtungen und Schulen oder Streichungen der Angebote in den Sportvereinen und außerschulischen Bildungseinrichtungen im Herbst und Winter auch bei einem weiterhin dynamischen Infektionsgeschehen vermieden werden sollen“, heißt es in den Empfehlungen. Insbesondere für vulnerable Gruppen von Kindern und Jugendlichen sei ein verlässlicher Bildungs- und Betreuungsbetrieb die zentrale Maßnahme, um bestehende Belastungen nicht weiter zu erhöhen, sondern bewältigen zu können.
Präventive Angebote
Den Ländern und Kommunen wird empfohlen, allen Kindern und Jugendlichen das Sporttreiben in Turnhallen und im Freien zu ermöglichen. Weiterhin sollten allen Kindern und Jugendlichen verstärkt präventive Angebote der Gesundheitsförderung zugänglich gemacht werden, um sie bei der Bewältigung der gesundheitlichen Belastungen durch die Pandemie zu unterstützen. Eine besonders umfängliche und gezielte Unterstützung bräuchten dabei Kinder und Jugendliche, die bereits vor der Pandemie erhöhten gesundheitlichen Belastungen ausgesetzt waren. Schließlich müsse an Kitas und Schulen ein umfassendes Testangebot zur Verfügung gestellt werden, da viele Kinder noch nicht geimpft werden könnten. Derzeit betreiben oder starten verschiedene Träger überall im Land Projekte, mit denen sie die betroffenen Kinder und Jugendlichen unterstützen wollen: von den Kommunen über Sportvereine bis zu Wohlfahrtsverbänden und Kirchen (Kasten).
„Wir müssen jetzt versuchen, die Kinder und Jugendlichen gezielt vor Ort zu fördern, die während der Pandemie abgehängt wurden“, sagt Fischbach vom bvkj. „Es kommt jetzt darauf an, dass sich Menschen in den Regionen des Themas annehmen.“ Da seien vor allem Mitarbeiter der Kommunen, aber auch die Schulen gefragt, die zum Beispiel versuchen könnten, Lehrerinnen und Lehrer im Ruhestand dafür zu gewinnen, betroffene Kinder zu Hause zu fördern.
„Kinder- und Jugendärzte können neben der direkten Behandlung der Patienten jetzt auch als Vermittler zwischen den verschiedenen Bereichen fungieren, zum Beispiel, indem sie mit den Schulen und Kitas oder mit Beratungsstellen, Wohlfahrtsverbänden oder Müttercafés sprechen, wenn sie Kinder sehen, die Unterstützung brauchen“, erklärt Fischbach.
Auch Renner vom Universitätsklinikum Tübingen betont die Bedeutung der Vernetzung. „Wir arbeiten eng mit nicht gesundheitlichen Einrichtungen zusammen: mit Schulen, den Jugendämtern und Trägern der Jugendhilfe und suchen aktiv den Austausch. Um diese Zusammenarbeit zu verbessern, laufen zum Beispiel in Baden-Württemberg mehrere Initiativen an, über die internetbasiert der Austausch mit den anderen Einrichtungen gefördert werden soll. Unser Ziel ist es, uns über die Sektorengrenzen hinweg zu vernetzen.“
Darüber hinaus müssten sich als Lehren aus der Pandemie auch die Strukturen in der Versorgung ändern. „Schon vor der Pandemie gab es in manchen Regionen zu wenige Behandlungsplätze für psychisch kranke Kinder und Jugendliche“, sagt Renner. „Durch die Pandemie wurde dieser regionale Mangel weiter verstärkt.“ In manchen Regionen gebe es auch große Probleme, eine Anschlussheilbehandlung im ambulanten Bereich zu finden. „Wenn diese Zeit zu lang wird, besteht natürlich die Gefahr, dass sich der Krankheitsverlauf wieder verschlechtert“, so Renner. „Ich sehe daher auch zukünftig den Bedarf für eine höhere Zahl an niedergelassenen Kinder- und Jugendpsychiatern.“
Wie kurzfristig auf einen Mehrbedarf in der Behandlung reagiert werden kann, hat vor Kurzem die Kassenärztliche Vereinigung Bayerns (KVB) erklärt. „Sofern in bayerischen Regionen ein vorübergehender, pandemiebedingter Mehrbedarf durch die dort bereits zugelassenen, ambulant tätigen Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten nicht aufgefangen werden kann, besteht die Möglichkeit, zusätzliche Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten zeitlich befristet in die ambulante Versorgung einzubeziehen“, hieß es aus der KVB. Dafür müssten die Zulassungsausschüsse auf Antrag und nach Prüfung des Bedarfs vor Ort persönliche Ermächtigungen aussprechen.
Zeit und Raum geben
Rätz von der Alice Solomon Hochschule in Berlin hat die Erkenntnisse aus den von ihr geführten Interviews bei dem Roundtable zusammengefasst: „Die jungen Menschen stehen unter einem hohen inneren Druck. Es ist jetzt wichtig, diesen Druck von ihnen zu nehmen.“ Und das gehe nur, wenn man ihnen Zeit gebe. „Bei unseren Interviews haben wir gemerkt, dass die jungen Menschen ein hohes Mitteilungsbedürfnis haben“, sagte Rätz. „Wir haben ihnen den Raum und die Zeit gegeben, um zu erzählen. Aus meiner Sicht braucht es genau das jetzt zum Aufarbeiten der Pandemie: Raum und Zeit zum Erzählen.“ Zudem müssten die Menschen wieder ein Gefühl der Selbstwirksamkeit und Handlungsfähigkeit entwickeln, das vielen von ihnen in der Pandemie verloren gegangen sei.
„Einige der Kinder und Jugendlichen, die wir befragt haben, haben einen Appell an die künftige Bundesregierung verfasst“, berichtete Beckmann von der Hochschule Koblenz. „Darin haben sie kritisiert, dass sie nicht gesehen wurden und erklärt, sie hätten sich wie Bürger zweiter Klasse gefühlt. Ich finde es beeindruckend, wie verantwortlich sich Kinder und Jugendliche der Gesellschaft gegenüber gezeigt haben. Und ich finde, dass die Gesellschaft und die Politik diese Leistung bis heute nicht ausreichend gewürdigt haben.“
Wie wird es nach der Coronapandemie weitergehen? „Wir gehen davon aus, dass die psychischen Folgen der Pandemie auch anhalten werden, nachdem die somatische Pandemie vorüber ist“, meint Renner vom Universitätsklinikum Tübingen. „Es ist aber schwer abzuschätzen, ob dies Monate oder Jahre dauern wird. Es wird darauf ankommen, wie wir die psychisch belasteten Kinder und Jugendlichen nach dem Ende der Coronapandemie im Blick behalten und als Gesellschaft die Bereitschaft haben, ihnen auch langfristig zu helfen.“
Mit Blick auf die nächsten Monate sagt Fischbach vom bvkj: „Zurzeit sind die Praxen der Kinder- und Jugendärzte voll. Das liegt unter anderem daran, dass wir früh im Jahr viele Infektionserkrankungen sehen.“ Auch das sei eine Folge des Shutdowns, denn während des Shutdowns habe sich das Immunsystem der Kinder nicht ausbilden können. Das werde jetzt nachgeholt. „Und auch Kinder und Jugendliche mit psychischen Problemen werden wir noch lange in den Praxen sehen“, meint Fischbach. „Ein bisschen graut es mir deshalb vor dem Winter.“
Projekte und Kampagnen
Die Regierung des Landes Nordrhein-Westfalen hat mit finanzieller Hilfe des Bundes das Programm „Ankommen und Aufholen“ auf den Weg gebracht, um die Auswirkungen der Coronapandemie auf die Schülerinnen und Schüler abzumildern. Mit 430 Millionen Euro will das Land unter anderem zusätzliches Personal einstellen, um die Schüler individuell zu fördern, und Lernangebote außerhalb der Schulzeit machen. Zusammen mit dem Landessportbund wurde das Programm „Extra-Zeit für Bewegung“ aufgelegt, mit dem 4 000 Angebote insbesondere von Sportvereinen gefördert werden können.
Die Deutsche Sportjugend hat zusammen mit dem Bundesfamilienministerium eine Bewegungskampagne begründet, mit der Kinder und Jugendliche an bestimmten nationalen Aktionstagen für Sport in der Gemeinschaft interessiert werden sollen.
Da die meisten Auslandsfahrten abgesagt wurden, hat die Evangelische Kirche in Mitteldeutschland zum Sommerbeginn alle Kirchengemeinden der Region dazu aufgerufen, ihre Pfarrgärten und Gemeindehäuser für Jugendgruppen zur Verfügung zu stellen, die in den Ferien Radtouren machen. Auf diese Weise sollten die Jugendlichen wieder Gemeinsamkeit erleben.
Quelle: www.aerzteblatt.de/ PP 20, Ausgabe November 2021, Seite 488