Mobbing geschieht häufig nicht körperlich oder verbal

Die am weitesten verbreitete Formen von Mobbing sind weder körperliche Handlungen wie Stoßen oder Treten noch verbale Drohungen oder abfällige Bemerkungen. Die am meisten verwendete Taktik ist die soziale Ausgrenzung.

Soziale Ausgrenzung bezeichnen Experten auch als „relationale Aggression“. Dieser Begriff beschreibt ein Verhalten, das die Absicht hat, die sozialen Beziehungen einer Zielperson zu beschädigen, z.B. indem hinter ihrem Rücken abwertende Bemerkungen gegenüber Dritten gemacht werden. Er beinhaltet u.a. auch, dass der Mobbende den Betroffenen von Gruppenaktivitäten ausschließt. Aktuelle Forschung unterstreicht den Schaden, der durch dieses Verhalten angerichtet wird.

„Wenn ein Kind von Gleichaltrigen in der Schule von sozialen Aktivitäten ausgeschlossen wird, sind die Folgen für dieses Kind sowohl kurzfristig als auch langfristig genauso schädlich, als wenn es jeden Tag getreten, geschupst oder geschlagen würde“, verdeutlichte Ass.-Professor Chad Rose, ein Autor der Studie von der Universität von Missouri in Kolumbien. „Diese Studie wirft also ein Licht auf die soziale Ausgrenzung, der Jugendliche oft ausgesetzt sind.“

Rose ist Direktor des Mizzou Ed Bully Prevention Lab, das darauf abzielt, Schulmobbing zu reduzieren.

In einer kürzlich in „Preventing School Failure: Alternative Education for Children and Youth“ veröffentlichten Studie analysierten Rose und seine Kollegen eine Umfrage, die in 26 Mittel- und Oberschulen in fünf Schulbezirken im Südosten der Vereinigten Staaten durchgeführt wurde. Mehr als 14.000 Schüler wurden gefragt, ob sie Aussagen zustimmten oder nicht zustimmten, die ihre Einstellung zu Mobbing, ihre von ihnen selbst wahrgenommene Popularität und ihre Bereitschaft zu relationaler Aggression widerspiegelten.

Unter den Aussagen befanden sich u.a.:

  • „Ein bisschen Hänseleien schaden niemandem.“
  • „Es ist mir egal, was Kinder sagen, solange es nicht um mich geht.“
  • „In meinem Freundeskreis bin ich normalerweise derjenige, der die Entscheidungen trifft.“
  • „Wenn ich auf jemanden sauer bin, revanchiere ich mich, indem ich ihn nicht mehr in meine Gruppe lasse.“

„Sozial aggressive“ Kinder nehmen sich selbst oft nicht so wahr

„Kinder, die sich selbst als sozial dominant oder populär wahrnehmen, befürworten Mobbing, aber sie nehmen sich selbst nicht als sozial aggressiv wahr“, berichtete Rose über die Ergebnisse. „Es gab eine andere Gruppe, die sich selbst nicht als sozial dominant oder beliebt wahrnahm, aber sie zeigte eine eher Mobbing-freundliche Einstellung und engagierte sich für relationale Aggression.“

Also, verdeutlichte er, die erste Gruppe fand Mobbing in Ordnung, sah sich aber nicht als beteiligt an, selbst wenn sie andere tatsächlich ausgrenzte. Die zweite Gruppe, die zugab, andere zu meiden, tat dies möglicherweise, um in der sozialen Hierarchie aufzusteigen.

Unbeteiligte wirken oft – ohne es selbst zu bemerken – als Verstärker der sozialen Ausgrenzung

Eine dritte Gruppe von Umfrageteilnehmern, die weniger aggressiv handelten oder eher als Zuschauer zu bezeichnen sind, berichtete über ein geringes Maß an relationaler Aggression sowie ein geringes Maß an Mobbing-freundlichen Einstellungen.

„Das Interessante an Zuschauern ist, dass sie Mobbing oft aufrechterhalten, was bedeutet, dass sie als soziale Verstärker dienen und in der Nähe sind, wenn es passiert“, so Rose in einer Pressemitteilung der Universität.

„Wir lehren den berühmten Slogan ‚Sehen Sie etwas, sagen Sie etwas‘, aber in der Praxis ist es für Kinder schwierig, schnell einzugreifen und Konflikte einzuschätzen – selbst für Erwachsene. Wenn wir zwei Kinder in einem körperlichen Kampf sehen, fühlen wir uns verpflichtet, ihn zu beenden. Aber wenn wir beobachten, dass Kinder von Gleichaltrigen ausgeschlossen werden, scheinen Erwachsene dies nicht immer als gleichermaßen schädlich anzusehen, und das ist beängstigend „, fügte er hinzu.

Die Einbeziehung sozialer Kommunikationsfähigkeiten in den täglichen Lehrplan der Schüler sei etwas, das Lehrer laut Rose leicht umsetzen könnten. „Lehrkräfte sollten ein besonderes Lob aussprechen, wenn sie respektvolles und integratives Verhalten in der Praxis erkennen, denn die Vermittlung und Stärkung dieser Fähigkeiten ist genauso wichtig wie der Mathematik-, Naturwissenschafts- und Geschichtsunterricht.“

Nicht jedes Kind muss ein Freund sein, aber es ist wichtig, jeden mit Respekt zu behandeln. „Mobbing beginnt oder endet nicht mit den Schulglocken, es ist ein Problem unseres Zusammenlebens“, betonte Rose. „Ich denke, als Erwachsene müssen wir uns bewusster darüber sein, was wir unseren Kindern in Bezug auf unsere soziale Interaktion beibringen, da Schulen ein Spiegelbild unserer Gemeinschaften sind.“

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 28.10.2022

Wie wirkt sich zu wenig Schlaf auf die Entwicklung des Gehirns aus?

Einer aktuellen amerikanischen Studie zufolge kann unzureichender Schlaf bei Kindern langfristig die neurologische Entwicklung beeinträchtigen. Dies konnten die Forscher:innen anhand von Gehirnscans und -tests messen.

Eine in „The Lancet Child & Adolescent Health“ veröffentlichte Studie ergab, dass 9- und 10-Jährige, die nachts durchschnittlich keine 9 Stunden schlafen, tendenziell weniger graue Substanz entwickeln. Auch die Bereiche des Gehirns, die für Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Impulskontrolle verantwortlich sind, sind nicht so ausgeprägt wie bei Kindern, die genug Schlaf bekommen.

Die Wissenschaftler:innen fanden auch einen Zusammenhang zwischen unzureichendem Schlaf und gestörten Verbindungen zwischen den Basalganglien und kortikalen Regionen (Gehirnrinde [Kortex]) des Gehirns. Diese Störungen schienen mit Depressionen, Denkproblemen und Beeinträchtigungen der „Crystallized Intelligence“ zusammenzuhängen. „Crystallized Intelligence“ oder kristalline Intelligenz ist eine Art von Intelligenz, die auf früheren Lernerfahrungen sowie früheren Erfahrungen basiert und vom Gedächtnis abhängt.

Diese Auswirkungen blieben 2 Jahre später bestehen, auch wenn diejenigen Teilnehmer, die zu Beginn ausreichend geschlafen hatten, im Laufe der Zeit allmählich weniger schliefen, und diejenigen, die zu Beginn nicht genug Schlaf bekamen, weiterhin etwa gleich lang schliefen, berichteten die Forscher:innen.

Die ABCD-Studie

Um zu untersuchen, wie sich unzureichender Schlaf über 2 Jahre auf die psychische Gesundheit, Gedächtnis, Gehirnfunktion und Gehirnstruktur von Kindern auswirkt, analysierten Ze Wang, PhD, Professor für diagnostische Radiologie und Nuklearmedizin an der University of Maryland, Baltimore, und seine Kollegen Daten aus der laufenden „Adolescent Brain Cognitive Development (ABCD) Study“ (Studie bei Jugendlichen zur kognitiven Entwicklung des Gehirns). Die ABCD-Studie verfolgt die biologische und Verhaltensentwicklung von mehr als 11.000 Kindern in den Vereinigten Staaten, die im Alter von 9 oder 10 Jahren für die Studie rekrutiert wurden.
Für ihre neue Analyse konzentrierte sich die Gruppe um Prof. Dr. Wang auf 6.042 Teilnehmer: 3.021 Kinder mit unzureichendem Schlaf, die mit einer gleichen Anzahl von Teilnehmern verglichen wurden, die in vielerlei Hinsicht ähnlich waren, einschließlich Geschlecht, sozioökonomischem Status und Pubertätsentwicklung. Nur letztere Probanden schliefen nachts mindestens 9 Stunden. Die amerikanischen Experten überprüften die Ergebnisse 2 Jahre später bei 749 der übereinstimmenden Paare, für die Ergebnisse verfügbar waren.

Die Ermittler bestimmten die Schlafdauer anhand der Antworten der Eltern auf die Frage: „Wie viele Stunden Schlaf bekam Ihr Kind in den letzten 6 Monaten in den meisten Nächten?“ Mögliche Antworten waren mindestens 9 Stunden, 8–9 Stunden, 7–8 Stunden, 5–7 Stunden oder weniger als 5 Stunden. Sie untersuchten zudem funktionelle und strukturelle MRT-Scans, Testergebnisse und Antworten auf Fragebögen.

Mangelnder Schlaf wirkt sich auf mehrere Bereiche negativ aus

Bei Kindern, die zu wenig schliefen, konnten die Forscher negative Effekte in mehreren verschiedenen Bereichen beobachten, darunter Gehirnstruktur, Funktion, Kognition, Verhalten und psychische Gesundheit.

Die Ergebnisse basierten auf Gruppendurchschnitten und die Unterschiede sind nicht schwerwiegend, sagte Wang. Ein bestimmtes Kind, das nachts meist keine neun Stunden lang schläft, müsse also nicht unbedingt schlechter abschneiden als ein Kind, das genug Schlaf bekommt, so Wang.
Dennoch könnten sich geringe Auswirkungen mit der Zeit ansammeln und schließlich zu andauernden Veränderungen führen, betonte Wang.

„Crystallized Intelligence“ – kristalline Intelligenz

Die Forscher untersuchten 42 Bereiche. Bei 32 davon gab es zwischen den Gruppen deutliche Unterschiede. Insbesondere vier Bereiche – Depression, Denkprobleme, Leistung bei einem Bildvokabeltest und kristalline Intelligenz – waren Bereiche, in denen unzureichender Schlaf einen größeren negativen Effekt zu haben schien.

Die Beziehung der Schlafdauer zur kristallinen Intelligenz war doppelt so hoch wie bei der fluiden Intelligenz. Die fluide Intelligenz beinhaltet Fähigkeiten wie Problemlösung, Lernen und Mustererkennung und hängt nicht vom Gedächtnis ab.

„Schlaf beeinflusst das Gedächtnis“, lautet das Fazit von Professor Wang. „Kristalline Intelligenz hängt von erlernten Fähigkeiten und Kenntnissen ab, die das Gedächtnis bietet. Deshalb ist Schlaf mit kristalliner Intelligenz verbunden.“

Eine Einschränkung der Studie bestehe darin, dass einige Eltern möglicherweise nicht genau angeben, wie viel Schlaf ihr Kind bekommt, räumte Wang ein. Kinder können zum Beispiel wach sein, wenn Eltern denken, dass sie schlafen.

Um einen gesunden Schlaf zu fördern, sollten Eltern eine strenge Routine für ihre Kinder einhalten, wie z. B. regelmäßige Schlafenszeiten und keine elektronischen Geräte im Schlafzimmer, schlug Wang vor. Mehr körperliche Aktivität während des Tages seien auch hilfreich.

Quelle: https://www.kinderaerzte-im-netz.de vom 21.10.2022

Suizidprävention: Experten wollen Angebote ausbauen

Zum Welttag der Suizidprävention am 10. September setzten sich Fachleute für den Ausbau von niedrigschwelligen Beratungs- und Hilfsangeboten ein. Um diese nachhaltig zu sichern, brauche es eine jährliche Förderung von 15 Millionen Euro, sagte Sozialforscher Reinhard Lindner. Er gehört zum Leitungsgremium des Nationalen Suizidpräventionsprogramms (Na-SPro), das in diesem Jahr sein 20-jähriges Bestehen feiert. Jedes Jahr sterben in Deutschland mehr als 9 000 Menschen durch Suizid. Das sind mehr Todesfälle als durch Verkehrsunfälle, Mord und illegale Drogen zusammen, wie NaSPro-Leiterin Prof. Dr. phil. Birgit Wagner ausführte.

Statistisch gesehen nehme sich alle 57 Minuten ein Mensch in Deutschland das Leben – zudem kämen auf jede vollendete Selbsttötung etwa zehn bis 20 Versuche. Es handle sich also um ein „bedeutendes gesellschaftliches und gesundheitspolitisches Problem“. Bei den aktuellen Debatten um assistierten Suizid müssten auch die Angehörigen in den Blick genommen werden, mahnte Wagner. Studien zeigten, dass sie häufiger unter Belastungssymptomen litten als andere Hinterbliebene. Zudem sei der Schulungsbedarf in vielen Bereichen hoch, auch unter Therapeuten.

Die aktuell vorliegenden Gesetzentwürfe hätten indes „mit Suizidprävention wenig zu tun“, kritisierte Lindner. Beratungsangebote für suizidgefährdete Menschen und ihre Angehörigen dürften nicht schwieriger erreichbar sein als der Zugang zum assistierten Suizid.

Bereits im Juni hatten das NaSPro und über 40 weitere Institutionen und Fachgesellschaften ein Gesetz zur Suizidprävention sowie einen weiteren Ausbau von Hospizarbeit und Palliativversorgung gefordert. Nach Angaben von NaSPro-Leiterin Wagner fehlt es weiterhin an einem Bewusstsein für die hohe Zahl von Suiziden – und auch dafür, dass Hilfe möglich sei. 

Quelle: www.aerzteblatt.de, PP 21, Ausgabe Oktober 2022

Kopfschmerzen bei Kindern – was hilft?

Kopfschmerzen treten nicht nur häufiger bei Kindern und Jugendlichen auf, sondern plagen auch immer jüngere Kinder: Schon im Vorschulalter sind annähernd 20% betroffen, bis zum Ende der Grundschulzeit hat dann bereits etwa jedes zweite Kind unangenehme Erfahrungen mit Kopfschmerzen gemacht.

Besonders bedenklich sei dabei, dass die Kopfschmerzen eines Kindes auch chronisch werden und sich zu einem langanhaltenden, wenn nicht sogar lebenslangen Gesundheitsthema für das Kind entwickeln können.

Die Zunahme von Kopfschmerzen bei Kindern wird durch verschiedene epidemiologische Studien der letzten Jahre eindeutig belegt:

  • Psychologen der Universität Göttingen haben bei über 2.000 Kindern die Entwicklung von Kopfschmerzen über vier Jahre verfolgt. Sie fanden heraus: Jedes zehnte Kind (10,9%) klagte bereits im Alter von acht Jahren mindestens einmal im Monat über Kopfschmerzen, bei 3,8% der Zweitklässler traten die Kopfschmerzen sogar mindestens einmal pro Woche auf. Mit zwölf Jahren hatte bereits mehr als die Hälfte (54%) der Kinder Erfahrungen mit Kopfschmerzen gehabt, 6,9% litten jede Woche, 18,5% mindestens einmal im Monat darunter. Mit 15 Jahren gab jeder fünfte Teenager (22,4%) an, im letzten Monat mindestens einmal Kopfschmerzen gehabt zu haben, jeder Zehnte (10,7%) litt jede Woche darunter. Der Anteil von wöchentlich auftretenden Kopfschmerzen war bei Mädchen doppelt so hoch wie bei Jungen.
  • Nach KiGGS (Welle 2), einer großen Studie des Robert-Koch-Instituts zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland, waren 45,2% der 11- bis 17-jährigen Mädchen und 28,7% der gleichaltrigen Jungen in den letzten drei Monaten von Kopfschmerzen betroffen.
  • Zu ähnlichen Ergebnissen kam zuvor schon die MUKIS-Studie der LMU („Münchner Untersuchung zu Kopfschmerzen im Schulalter“), an der sich 1.675 Schüler von zwölf Gymnasien in München und im Münchner Umland beteiligt haben. Dabei gaben vier von fünf der 12 bis 19 Jahre alten Kinder und Jugendlichen an, innerhalb der letzten sechs Monate mindestens einmal Kopfschmerzen gehabt zu haben. Jeder zehnte Gymnasiast musste im letzten Jahr wegen Kopfschmerzen zum Arzt. Etwa ein Viertel der Schüler nahm regelmäßig Schmerzmedikamente ein. An Mädchen-Gymnasien war die Kopfschmerz-Häufigkeit besonders hoch.

„Die Diagnose von Kopfschmerzen ist bei jüngeren Kindern nicht einfach“, berichtete der Münchner Kinder- und Jugendarzt Professor Berthold Koletzko, Vorsitzender der Stiftung Kindergesundheit: „Bei kleinen Kindern, die noch nicht sprechen können, sind Kopfschmerzen nur schwer zu erkennen. Häufige Anzeichen sind Reizbarkeit, Unruhe und Überempfindlichkeit gegen Berührungen. Etwas ältere Kinder drücken die Hände an den Kopf oder vor die Augen und zeigen ein schmerzhaftes, geplagtes Gesicht. Verlässliche Beschreibungen sind erst im Vorschul- und frühen Schulalter zu erwarten“.

Übelkeit und Blitze vor den Augen

Die häufigsten Formen von so genannten primären Kopfschmerzerkrankungen sind auch bei Kindern die Migräne und der Spannungskopfschmerz, erläuterte die Stiftung Kindergesundheit:

Migräne: Ein Kind, das unter einer akuten Migräneattacke leidet, hört meistens auf, zu spielen oder zu lernen, ist blass, möchte sich hinlegen und vielleicht auch schlafen. Typisch ist auch, dass jede Anstrengung vermieden wird und das Kind im Laufe einer Attacke einschläft. Beim Aufwachen sind dann die Beschwerden verschwunden. Der pulsierende oder pochende Schmerz ist – im Gegensatz zur Migräne bei Erwachsenen – zumeist nicht nur auf eine Kopfseite beschränkt, sondern betrifft beide Seiten und häufig auch die Stirn.

Unter den Migräne-typischen Begleiterscheinungen stehen bei Kindern vor allem Übelkeit und Erbrechen, aber auch Geräusch- und Lichtempfindlichkeit im Vordergrund. Die Attacken sind kürzer als bei Erwachsenen und dauern nur selten länger als zwei Stunden.

Auch bei Kindern kann es kurz vor einer Attacke zu neurologischen Ausfällen, zu einer so genannten Aura, kommen. Dazu gehören Flimmersehen oder Lichtblitze in den Augen, Gefühlsstörungen in Händen und Armen oder auch Sprachstörungen. Wichtig zu wissen: Die Heftigkeit des Schmerzes und die „komischen“ Begleitsymptome können so intensiv sein, dass das Kind sie mit starker Angst erlebt.

Spannungskopfschmerzen: Sie sind dumpf-drückend bis ziehend und nicht pulsierend. Der Schmerz tritt zumeist auf beiden Seiten des Kopfes auf. Er breitet sich häufig vom Nacken zur Stirn oder von der Stirn zum Nacken aus und zieht auch die Augen oder Wangen in Mitleidenschaft. Der Schmerz ist von leichter bis mäßiger Intensität und wird bei körperlicher Bewegung in aller Regel nicht stärker, sondern eher schwächer: Eine Ablenkung durch Aktivität tut gut. Die bei einer Migräne-Attacke typischen Begleitsymptome fehlen.

Manchmal hilft schon die richtige Brille

Neben diesen so genannten primären Kopfschmerzerkrankungen können Kopfschmerzen aber auch Ausdruck und Warnzeichen anderer körperlicher Erkrankungen sein, unterstrich die Stiftung Kindergesundheit. So werden sowohl fieberhafte Infekte als auch Störungen des Blutdrucks häufig von Kopfschmerzen begleitet. Beispiele sind: Kieferhöhlenentzündungen, Ohrentzündungen, Halsentzündungen oder Mandelentzündungen. In seltenen Fällen können die heftigen, immer weiter zunehmenden Kopfschmerzen auf eine Hirnhautentzündung (Meningitis) oder einen Hirntumor hindeuten. Auch eine Gehirnerschütterung verursacht häufig Kopfschmerzen, ja sie kann sogar Ursache länger anhaltender, chronischer Kopfschmerzen sein.

Es kann aber auch etwas ganz anderes hinter den Kopfschmerzen stecken: ein Sehfehler etwa, der zu einer Überanstrengung der Augen führt. Er kann mit der richtigen Brille korrigiert werden. Auch zu viel direkte Sonneneinstrahlung auf den unbedeckten Kopf kann Kopfschmerzen auslösen.

Kopfzerbrechen wegen Mobbing oder Konflikten

Wenn die bisher aufgezählten Ursachen durch eine Untersuchung bei der Kinder- und Jugendärztin oder beim Kinder- und Jugendarzt ausgeschlossen worden sind, wird weiter nach möglichen seelischen Gründen der Schmerzen gefahndet. Kopfschmerzen und das Erleben von Stress liegen auch für Kinder nahe beieinander: Mobbing, Ausgrenzung oder Herabsetzung tun auch ihnen weh. Wichtig ist dabei, die tieferen Ursachen und schweren Konflikte (in der Familie oder in der Schule) zu erkennen, die dem Kind im wahrsten Sinne des Wortes „Kopfzerbrechen“ bereiten.

„Deshalb ist es eine wichtige Aufgabe des Kinder- und Jugendarztes, mit Hilfe einer ausführlichen Befragung der Eltern und einer gründlichen Untersuchung des Kindes die Kopfschmerzen einzuordnen und entsprechend der Verdachtsdiagnose weitere Untersuchungen einzuleiten“, betonte Kopfschmerzspezialist und Kinderneurologe Professor Dr. Florian Heinen, Direktor des Sozialpädiatrischen Zentrums im von Haunerschen Kinderspital der Universität München. „In der großen Mehrzahl der Fälle werden die Kinder- und Jugendärztinnen bzw. die Kinder- und Jugendärzte die Angst der oft stark verunsicherten Eltern nehmen können. Das Kind oder der Jugendliche erfährt in einem guten Aufklärungsgespräch, was sich hinter seinen Kopfschmerzen verbirgt und erhält seine persönlichen Empfehlungen zu Schlaf, Sport, Ernährung, Trinkmenge und zu den oft dringend notwendigen Pausen vom Medienkonsum“.

Um die Kopfschmerzen noch besser zu verstehen, können Kind und Eltern für zwei bis drei Wochen einen Kopfschmerzkalender führen. Sie sollten darin Dauer und Stärke der Schmerzen, die Begleitsymptome, mögliche Auslöser und auch die eingenommenen Medikamente festhalten. Allein dadurch kommt man oft den individuellen Auslösern auf die Spur.

Nicht gleich zu Tabletten greifen!

Kinder, die unter Kopfschmerzen leiden, sollten sich mehr im Freien bewegen, regelmäßig Sport treiben und ausreichend Wasser trinken, so die Stiftung Kindergesundheit mit großem Nachdruck. Professor Berthold Koletzko: „Sie sollten außerdem weniger Zeit mit Computerspielen und Fernsehen verbringen und auf geregelte Mahlzeiten und auf ausreichenden Schlaf achten. Die Einhaltung fester Zeiten des Schlafengehens und des Aufwachens und das Vermeiden von Coffein am Nachmittag – also von Cola, Kaffee und Energydrinks – haben sich in Studien als gute Ansätze gegen Kopfweh erwiesen“.

Zur medikamentösen Akut-Behandlung der Schmerzen wird die Kinder- und Jugendärztin oder der Kinder- und Jugendarzt Schmerzmittel wie Ibuprofen oder Paracetamol verordnen. Acetylsalicylsäure (ASS, „Aspirin“) sollte wegen der Gefahr einer zwar seltenen, aber gefährlichen Komplikation („Reye-Syndrom“) erst ab zwölf Jahren eingesetzt werden. Eine Alternative zur Behandlung von leichten oder mittelschweren Kopfschmerzen vom Spannungstyp bietet die äußere Anwendung einer zehnprozentigen Pfefferminzöl-Lösung aus der Apotheke, die auf die Stirn und Nackenmuskeln aufgetragen werden kann.

Als hilfreich gegen Kopfweh haben sich auch nichtmedikamentöse Maßnahmen erwiesen, Dazu gehören Entspannungsübungen, Physiotherapie und eine Anpassung des Tagesrhythmus, sowie reflektierende Gespräche mit dem an Kopfschmerzen erkrankten Kind über Dinge, die es belasten oder ihm eher guttun.

In komplizierten Fällen können die Kinder- und Jugendärztinnen sowie Kinder- und Jugend-ärzte ihre Patienten auch in eine der kinderneurologisch geleiteten Kinder-Kopfschmerz-Zentren überweisen, die es an mehreren Universitäts-Kliniken und großen Krankenhäusern gibt.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 14.10.2022

„Schmerzmanagement“ für Kinder

Beulen und blaue Flecken sind ein unvermeidlicher Teil der Kindheit. Auch wenn kein Elternteil möchte, dass sein Nachwuchs Schmerzen empfindet, kann es hilfreich sein, wenn ein Kind früh versteht, was Schmerzen sind, und mit zunehmendem Alter lernt, wie es darauf reagieren kann.

In einer Studie der University of South Australia (UniSA) haben Forscher fünf Schlüsselansätze identifiziert, die Eltern und Betreuer anwenden können, wenn sie mit kleinen Kindern über „alltägliche“ Schmerzen sprechen, und die ihre Genesung und Belastbarkeit nach einer Verletzung verbessern können.

In dieser Studie untersuchten die Forscher „alltägliche“ Schmerzen bei kleinen Kindern (im Alter von 2 bis 7 Jahren) und fragten Experten aus den Bereichen Kindergesundheit, Psychologie, Entwicklung, Belastbarkeit sowie Eltern und Erzieher, was ihrer Meinung nach die Belastbarkeit bei leichten Schmerzen oder Verletzungen sowie die Genesung bei Kindern fördern würde.
Mit 80-prozentiger Zustimmung aller Experten lauteten die wichtigsten Botschaften:

  • Kinder sollten wissen, welche Funktion Schmerzen haben – Schmerz ist das Alarmsystem unseres Körpers.
  • Eltern sollten den Schmerzen von Kindern Beachtung schenken – Kinder sollten sich sicher, gehört und geschützt fühlen, aber Eltern sollten daraus kein „Drama“ machen.
  • Eltern sollten Kinder nach einer Verletzung beruhigen – Kinder müssen wissen, dass ihr Körper heilen wird und der Schmerz vergehen wird.
  • Kinder sollten ihre Gefühle ausdrücken dürfen – dabei sollten Eltern ihnen Wege zeigen, wie sie sich selbst beruhigen können.
  • Kinder sollten mithelfen, ihre Genesung zu unterstützen –z.B. indem sie die Wunde mit einem frischen Pflaster versorgen.

Die leitende Forscherin, Dr. Sarah Wallwork von UniSA, erklärte, dass Eltern und Betreuer wahrscheinlich eine entscheidende Rolle dabei spielen, wie Kindern lernen, mit Schmerzen umzugehen.

„Egal, ob es sich um einen Sturz vom Fahrrad oder den Umgang mit gefürchteten Spritzen handelt, alltägliche Schmerzerfahrungen sind eine Möglichkeit für Eltern, positive Überzeugungen und Verhaltensweisen in Bezug auf Schmerzen zu fördern“, so Dr. Wallwork.

„Obwohl es wichtig ist, Kindern beizubringen, dass Schmerz das Alarmsystem unseres Körpers ist und dass er dazu da ist, uns zu schützen, ist es ebenso wichtig zu verstehen, dass Schmerz und Verletzung nicht immer übereinstimmen.

„Als Erwachsene besteht eine der größten Herausforderungen im Schmerzmanagement darin, dass wir grundlegende, lebenslange Überzeugungen darüber haben, wie Schmerz und Genesung funktionieren. Wenn wir uns verletzen, glauben wir oft, dass Schmerzen folgen müssen; und umgekehrt, wenn wir Schmerzen empfinden, müssen wir eine Verletzung haben – aber wie die Forschung zeigt, ist dies nicht immer der Fall.
„Bei Kindern können Schmerzen durch ihre Emotionen beeinflusst werden – zum Beispiel können Angst, Hunger oder Müdigkeit die Symptome verschlimmern, obwohl es sich dabei nicht um Schmerzen handelt.
„Kindern beizubringen, dass sie eine gewisse Kontrolle über ihre Schmerzen haben – und dass ihre eigenen Gefühle diese beeinflussen können – befähigt sie, sich aktiv mit ihrer eigenen Schmerzbewältigung auseinanderzusetzen.

„Das können Kinder altersgerecht lernen. Für ein sehr junges Kind könnte das ‚Schmerzmanagement‘ darin bestehen, ein Pflaster oder ein nasses Tuch zu bekommen, den verletzten Bereich zu reiben, es abzulenken und ihm zu erklären, dass seine Verletzung durch das Pflaster geschützt ist und dass es jetzt weiterspielen kann.

„Der Schlüssel ist zu zeigen, dass das Kind [..] aktiv am Heilungsprozess beteiligt sein kann.“
„Indem wir Kindern helfen, in jungen Jahren etwas über Schmerzen zu lernen, hoffen wir, ein lebenslanges ‚hilfreiches‘ Schmerzverhalten zu fördern, das die Genesung aktiv fördert und zukünftigen Problemen vorbeugt.“

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 17.08.2022

Jugendliche reagieren sensibler auf Kritik der Eltern, als es den Anschein hat

Teenager erscheinen oft teilnahmslos, wenn Eltern sie kritisieren, aber sie reagieren sensibler auf die Meinung ihrer Eltern, als es den Anschein haben mag. Das jugendliche Gehirn reagiert stark auf elterliche Kritik oder Lob. Dies sind die Ergebnisse einer Studie einer interdisziplinären Forschungsgruppe von Psychologen und Neurowissenschaftlern der Universität Leiden (Niederlande).

63 Jugendliche im Alter von 12 bis 18 Jahren nahmen an der Studie teil. Während sie sich einer MRT-Untersuchung ihres Gehirns unterzogen, erhielten sie Komplimente, neutrales Feedback oder Kritik an ihrer Persönlichkeit; die Komplimente, Rückmeldungen oder Kritik schienen von ihren Eltern zu stammen. „Auf einem Bildschirm im MRT sahen sie Rückmeldungen ihrer Eltern: „Dein Vater findet dich gemein“ oder „Deine Mutter hält dich für intelligent.“ Da sowohl Eltern als auch Jugendliche zuvor Fragebögen zu diesen Persönlichkeitsmerkmalen ausgefüllt hatten, empfanden Jugendliche die Äußerungen der Eltern als realistisch, erklärte die Forscherin Lisanne van Houtum.

Missbilligung prägt sich im jugendlichen Gehirn ein

Nach jedem Lob- oder Kritikpunkt gaben die Jugendlichen ihre Stimmung an. Wenig überraschend verbesserte sich ihre Stimmung nach einem Kompliment und verschlechterte sich nach einem negativen Kommentar, insbesondere wenn diese Kritik nicht ihrem Selbstbild entsprach. Obwohl die Jugendlichen gleich viele Kritik, Lob und neutrale Kommentare von ihren „Eltern“ erhielten, fühlten sie sich nach der Feedback-Aufgabe weniger wohl in ihrer Haut. Van Houtum: „Wir glauben daher, dass Kritik von Eltern eher hängen bleibt als Komplimente.“

Die elterlichen Kommentare taten nicht nur etwas für das Selbstbewusstsein der Heranwachsenden, sondern das heranwachsende Gehirn reagierte ganz anders auf Komplimente als auf Kritik, wie die Scans zeigten. Kritik aktivierte Regionen des Gehirns, die an der Verarbeitung von Emotionen und Schmerz beteiligt sind, Regionen, die auch aktiviert werden, wenn Menschen körperlichen Schmerz erfahren. Sowohl Kritik als auch Komplimente verursachen Aktivitäten in Bereichen des Gehirns, die mit sozialer Kognition in Verbindung stehen, wie z. B. das Verstehen der Emotionen und Absichten anderer Menschen.

Jugendliche nehmen sich negative Äußerungen zu Herzen

„Was die Ergebnisse der Scans zeigen, ist, dass Kritik wirklich ‚weh zu tun‘ scheint. Bei Jugendlichen mit einem relativ positiven Selbstbild, die ihre Eltern wärmer empfinden, scheint dieser Schmerz nicht geringer zu sein. Interessanterweise haben wir nicht festgestellt, dass elterliches Lob das Belohnungssystem im Gehirn aktiviert“, ergänzte die Expertin. Bisher konzentrierte sich Forschung vorwiegend auf die Auswirkungen von Peer-Feedback auf das jugendliche Gehirn und wie dies mit dem jugendlichen Selbstwertgefühl zusammenhängt. Es fehlen jedoch wissenschaftliche Daten zum Einfluss der Meinungen der Eltern auf ihre Kinder.

Die Ergebnisse werden den Forschern helfen zu verstehen, was elterliche Komplimente und Kritik mit Jugendlichen machen. Van Houtum: „Wir können Eltern die Wirkung ihrer Worte bewusst machen. Und die Erkenntnisse können bei der Gestaltung von Familientherapien und weiteren Forschungsarbeiten zu psychischen Problemen von Jugendlichen wie Depressionen helfen, bei denen ein geringes Selbstwertgefühl und die Empfindlichkeit gegenüber Ablehnung oft eine wesentliche Rolle spielen.“

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 29.07.2022

Frühkindliche Erfahrungen können zu irreversiblen Veränderungen des Gehirns führen

Eine durch einschneidende frühkindliche Erfahrungen veränderte Gehirnstruktur regeneriert sich nicht vollständig. Zu diesem Schluss kommt die Studie eines Forschungsteams der Universität Hamburg unter der Leitung der Psychologin und Neurowissenschaftlerin Prof. Dr. Brigitte Röder.

Frühere neurowissenschaftliche Studien haben gezeigt, dass ungünstige Erfahrungen in den ersten Lebensmonaten und -jahren, wie zum Beispiel Blindheit oder Armut, die strukturelle Entwicklung des menschlichen Gehirns beeinträchtigen können. Nicht bekannt war aber bislang, ob sich die Hirnstruktur wieder erholen kann, wenn die Ursachen der Beeinträchtigungen beseitigt werden. Die neue Forschungsarbeit, deren Ergebnisse im Fachjournal „Cerebral Cortex“ veröffentlicht wurden, kommt zumindest in Bezug auf die Entwicklung der visuellen Areale des Gehirns zu einer eindeutigen Antwort: Die Gehirnstruktur bleibt nachhaltig beeinträchtigt.

3D-Modelle der Gehirne

Für die Studie hat ein Team des Arbeitsbereichs Biologische Psychologie und Neuropsychologie in Kooperation mit dem LV Prasad Eye Institute in Hyderabad (Indien) Menschen untersucht, die aufgrund von beidseitigem Grauen Star teilweise mehrere Jahre nach der Geburt blind waren und deren Augenlicht dann durch eine Operation wiederhergestellt werden konnte. Von allen Teilnehmenden, die zum Zeitpunkt der Studie zwischen sechs und 36 Jahren alt waren, wurden mit Hilfe eines Kernspintomographen Bilder des Gehirns aufgenommen, aus denen anschließend für jede Person ein 3D-Modell des Gehirns rekonstruiert wurde. In diesem Modell konnten die Forschenden messen, wie dick und wie groß die Oberfläche der Hirnrinde in den visuellen Arealen des Gehirns war.

Die Hirnrinde ist die äußerste, mehrfach gefaltete Schicht des Gehirns, die mehrere Millimeter dick ist und hauptsächlich aus Zellkörpern von Nervenzellen besteht, der so genannten grauen Substanz. Durch ihre mehrfache Faltung besitzt die Hirnrinde eine große Oberfläche und bietet viel Platz für Milliarden von Nervenzellkörpern, die für die Verarbeitung sensorischer Information und damit für die Entstehung von Wahrnehmung zuständig sind. In der normalen Entwicklung wird die Hirnrinde ab einem Alter von ein bis zwei Jahren dünner, während ihre Oberfläche bis in die Pubertät zunimmt. Beide strukturellen Veränderungen sind wichtig für die vollständige Reifung neuronaler Netzwerke.

Veränderungen der Sehrinde

Das Forschungsteam fand heraus, dass bei den vormals blinden Menschen die Sehrinde, also der Teil der Hirnrinde, in dem die Sehinformation verarbeitet wird, sowohl eine kleinere Oberfläche besaß als auch dicker war. Ihre Sehrinde ähnelte mehr der von Menschen, die seit ihrer Geburt dauerhaft blind waren als der von Menschen, die von Geburt an sehen konnten. Außerdem sagte das Ausmaß der Veränderungen in der Sehrinde vorher, wie gut die Menschen nach der Entfernung des Grauen Stars sehen lernten.
„Die Studie zeigt, dass frühkindliche Erfahrungen die Hirnstruktur langanhaltend und offenbar nicht reversibel verändern können“, erklärt Dr. Cordula Hölig, Autorin der Studie und Wissenschaftlerin an der Universität Hamburg. „Auch wenn wir hier ausschließlich den Einfluss von fehlendem Sehen untersucht haben, vermuten wir, dass auch andere extreme frühkindliche Erfahrungen, wie sie zum Beispiel bei Armut oder Vernachlässigung auftreten können, die Hirnstruktur irreversibel schädigen können.“

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 15.08.2022

Häusliche Gewalt in der Kindheit erhöht Risiko für psychische Erkrankungen im Erwachsenenalter

Erwachsene, die in ihrer Kindheit regelmäßig häuslicher Gewalt bei ihren Eltern und ein geringeres Maß an sozialer Unterstützung erlebt hatten, haben ein höheres Risiko, Depressionen, Angstzuständen und Sucht zu entwickeln als ihre Altersgenossen, die nicht solche Erfahrungen in ihrer Kindheit machen musste. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie von kanadischen und israelischen Wissenschaftlern.

Die Studie der University of Toronto ergab, dass ein Fünftel (22,5%) der Erwachsenen, die in ihrer Kindheit regelmäßig häusliche Gewalt bei ihren Eltern sahen, irgendwann in ihrem Leben eine schwere depressive Störung entwickelten. Im Vergleich dazu waren nur 9,1% derjenigen ohne eine Vorgeschichte von elterlicher häuslicher Gewalt davon betroffen.

„Unsere Ergebnisse unterstreichen das Risiko langfristiger negativer Folgen wiederholter häuslicher Gewalt für Kinder, auch wenn die Kinder selbst nicht missbraucht werden“, verdeutlichte Autorin Professor Esme Fuller-Thomson von der University of Toronto. „Sozialarbeiter und Gesundheitsfachkräfte müssen wachsam bleiben und daran arbeiten, häusliche Gewalt zu verhindern, und sowohl die Oper von Missbrauch als auch ihre Kinder unterstützen.“

Häusliche Gewalt tritt häufig im Zusammenhang mit anderen Widrigkeiten auf, einschließlich körperlichen und sexuellen Missbrauchs in der Kindheit, was es schwierig macht, die Folgen für die psychische Gesundheit zu untersuchen, die ausschließlich mit häuslicher Gewalt bei Eltern verbunden sind, wenn kein Kindesmissbrauch vorliegt. Um dieses Problem anzugehen, schlossen die Autoren in ihrer Studie jeden aus, der in der Kindheit körperlichen oder sexuellen Missbrauch erlebt hatte. Die landesweit repräsentative Stichprobe der Studie umfasste schließlich 17.739 Befragte der Canadian Community Health Survey-Mental Health, von denen 326 angaben, mehr als 10-mal vor dem 16. Lebensjahr bei den Eltern häusliche Gewalt mit angesehen zu haben. Dies erfassten die Experten als regelmäßiges Erleben häuslicher Gewalt zwischen den Sorgeberechtigten.

Einer von sechs Erwachsenen (15,2%), die regelmäßig häusliche Gewalt beobachtet hatten, berichtete, dass er später eine Angststörung entwickelte. Nur 7,1% derjenigen, die keine elterliche Gewalt erlebten, gaben an, irgendwann in ihrem Leben auch eine Angststörung bekommen zu haben.
„Viele Kinder, die der häuslichen Gewalt ihrer Eltern ausgesetzt sind, bleiben ständig wachsam und ständig ängstlich, weil sie befürchten, dass ein Konflikt in jedem Moment zu einem Angriff eskalieren könnte. Daher ist es nicht verwunderlich, dass Jahrzehnte später, wenn sie Erwachsene sind, Personen mit einer Vorgeschichte von häuslicher Gewalt bei den Eltern vermehrt Angststörungen vorkommen“, sagte Co-Autorin Deirdre Ryan-Morissette von der University of Toronto.

Mehr als ein Viertel der Erwachsenen (26,8%), die in der Kindheit regelmäßig häusliche Gewalt bei ihren Eltern beobachtet hatten, entwickelten eine Sucht, verglichen mit 19,2% derjenigen, die diesen frühen Widrigkeiten nicht ausgesetzt waren.

Es erholten sich mehr Teilnehmer von ihren negativen Erlebnissen, als die Forscher erwartet hatten

Die Ergebnisse waren nicht alle negativ. Mehr als drei von fünf Erwachsenen mit diesen negativen Kindheitserfahrungen waren in ausgezeichneter psychischer Verfassung, frei von psychischen Erkrankungen, Substanzabhängigkeit oder Selbstmordgedanken im vorangegangenen Jahr; sie waren glücklich und/oder zufrieden mit ihrem Leben und berichteten von einem hohen Maß an sozialem und psychischem Wohlbefinden, obwohl sie in der Kindheit solch erschütternden Erfahrungen ausgesetzt waren. Insgesamt war eine gute psychischen Gesundheit bei derjenigen mit negativen Erfahrungen niedriger als bei denen, deren Eltern nicht gewalttätig miteinander umgingen (62,5% gegenüber 76,1%), aber immer noch viel höher als von den Autoren erwartet.
„Wir waren positiv überrascht, dass so viele Erwachsene diese frühen Widrigkeiten überwunden haben und frei von psychischen Erkrankungen sind […]“, kommentierte Co-Autor Professor Shalhevet Attar-Schwartz von der Paul Baerwald School of Social Work and Social Welfare der Hebrew University (Israel). „Unsere Analyse zeigte, dass soziale Unterstützung ein wichtiger Faktor war. Unter denjenigen, die Gewalt bei den Eltern erlebt hatten, hatten diejenigen, die mehr soziale Unterstützung hatten, viel höhere Chancen, als Erwachsene eine ausgezeichnete psychische Gesundheit zu besitzen.“

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 15.07.2022