Der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte e.V. (BVKJ) mahnt, dass Kinderschutz gerade in Zeiten der Corona-Pandemie im Fokus von Politik und Öffentlichkeit bleiben muss.
BVKJ-Vizepräsidentin Dr. Sigrid Peter betont: „Wir Kinder- und Jugendärzt*innen haben regelmäßigen Kontakt zu den Familien. Das gibt uns die Möglichkeit, über das rein Medizinische hinaus die Kinder und Jugendlichen in ihrer komplexen Lebensrealität zu sehen und gegebenenfalls zu schützen.“
Auch Erzieher*innen, Lehrer*innen, Nachmittagsbetreuung, Jugendzentren und viele mehr erfüllen „ganz nebenbei“ diese Schutzfunktion und leisten einen Beitrag zur Vorbeugung und Erkennung von Vernachlässigung und Misshandlung. „Diese Strukturen liegen aktuell brach und wir müssen befürchten, dass die Kinder und Jugendlichen nun oftmals allein sind mit ihren Sorgen und Nöten“, so Sigrid Peter.
Dies ist gerade vor dem Hintergrund erster Daten aus China Anlass zur Besorgnis, dort hat sich die Anzahl der Verdachtsfälle von häuslicher Gewalt wohl verdreifacht. Darauf hat der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, Johannes-Wilhelm Rörig hingewiesen. Aber auch in Deutschland ist bereits jetzt ein zunehmender Anstieg von Meldungen bei den Jugendämtern zu verzeichnen. So ist die Anzahl der Anzeigen wegen häuslicher Gewalt laut dem Bundesfamilienministerium schon um zehn Prozent gestiegen.
Es ist allerdings mit noch mehr Meldungen insbesondere in der Zeit nach der größten Corona-Welle zu rechnen, wenn Kinder wieder in die Kitas und Schulen sowie in die Arztpraxen gehen und Vernachlässigungen und Misshandlungen u.a. im veränderten Verhalten der Kinder sichtbar werden. „Wir sorgen uns gerade vor allem um benachteiligte Kinder in sozialen Brennpunkten“, so Dr. Sigrid Peter. „Insbesondere, weil derzeit Anlaufstellen wie zum Beispiel die Arche fehlen und die wirtschaftlichen Konsequenzen in Folge von Kurzarbeit oder sogar Job-Verlust sich insbesondere in diesen Gruppen stark bemerkbar machen. Familienarmut trifft die Kinder am härtesten“, so Sigrid Peter.
Der BVKJ fordert deshalb sofortige Maßnahmen, um größere Schäden von den betroffenen Kindern und Jugendlichen abzuwenden:
- Für das Thema Kinderschutz muss es eine breite Aufmerksamkeit geben: Achtsame Nachbarn und das aktive Verbreiten von Notrufnummern sind einfache aber wichtige Maßnahmen. Finanzielle Soforthilfen, Notfallnummern und Angebote verschiedener Player (Kinderschutzbund etc.) sind bereits etabliert, müssen aber ausgebaut und ausreichend finanziert werden.
- Wenn nun über die schrittweise Rückkehr in das öffentliche Leben diskutiert wird, sollte allen voran an die Kinder und Jugendlichen gedacht werden. Sie brauchen schnell wieder Zugang zu Betreuungs- und Bildungsangeboten, gerade auch die sozial schwächeren unter ihnen.
- Kinder in Flüchtlingsunterkünften müssen hier ebenso in den Blick genommen werden, diese sind wie Kinder in Brennpunkten ñ auch aufgrund fehlender eigener Räume und ausreichender Angebote ñ besonders gefährdet.
- Alle Verantwortlichen aus Politik, medizinischer Selbstverwaltung und Kinder- und Jugendhilfe müssen nun besser denn je vernetzt zusammenarbeiten, bestehende Versorgungslücken schließen und gezielte Maßnahmen für die Kinder und Jugendliche etablieren.
Wir Kinder- und Jugendärzt*innen werden betroffene Familien im Rahmen unserer Möglichkeiten aktiv weiter betreuen, sei es durch Vorstellung in den Praxen in Notfällen oder auch durch regelmäßige telefonische Kontaktaufnahme.
Außerdem haben wir als BVKJ Hinweise und Tipps an Eltern für den Umgang mit ihren Kindern in der Isolation auf unserer Internetseite zusammengestellt unter www.bvkj.de/eltern.
Doch das allein genügt nicht. Die Kinder und Jugendlichen brauchen die breite Unterstützung und den Schutz der Gesellschaft. „Denn was wir jetzt nicht für diese Kinder tun, kann sich später dramatisch auswirken“, so Peter.
Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 15.05.2020