Internet und soziale Medien: Kinder auch im Netz schützen

Kinder und Jugendliche machen im Internet und dort vor allem in den sozialen Medien Erfahrungen, die sie überfordern und traumatisieren. Denn nirgendwo sonst werden die Konflikte, Krisen und Kriege dieser Welt, Gewalt und sexuelle Gewalt, so toxisch verbreitet wie im Internet. Mobbing, Cybergrooming und Sextortion nehmen aktuell exponentiell zu und können bis zum Suizid führen, berichtete vor Kurzem die Unabhängige Beauftragte gegen sexuellen Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, Kerstin Claus. Kinder und Jugendliche müssen deshalb viel stärker vor den Gefahren im Netz geschützt werden als es derzeit geschieht, forderte sie. Von einer „Pandemie sexueller Traumatisierung“ spricht zudem der Sexualmediziner Prof. Dr. med. Klaus M. Beier, der Menschen mit pädophilen Neigungen therapiert, in einem Interview mit PP (siehe Seite 453). Er sieht nicht nur die Zunahme von Missbrauchsabbildungen, sondern definierbar Verursacher, Opfer und Übertragungswege – und zwar als globales Problem, wie bei einer Pandemie. Die Opferzahlen liegen nach WHO-Schätzungen weltweit bei einem von fünf Mädchen und einem von 13 Jungen. Das rechnet sich hoch auf 400 Millionen Betroffene. Deshalb muss dringend gegengesteuert werden, das heißt die Erreichbarkeit von Missbrauchsabbildungen mittels Künstlicher Intelligenz eingedämmt und internationale rechtspolitische Maßnahmen ergriffen werden.

Gleichzeitig müssen Kinder und Jugendliche präventiv viel stärker vor den Gefahren im Netz und auch vor der suchtfördernden Wirkung von sozialen Medien und Spielen geschützt werden. Sie sind viel zu sehr auf sich alleine gestellt im Netz. Eine Kontrolle der Aktivitäten auf dem Handy oder Tablet ihrer Kinder ist für Eltern fast unmöglich. Bei Konflikten um die Zeit, die das Kind mit den Geräten verbringen darf, geben viele nach oder sogar auf. Ganz abgesehen von denjenigen Eltern, die schon ihrem Kitakind ein Gerät in die Hand drücken, um ihre Ruhe zu haben.

Nun könnte argumentiert werden, dass der Zusammenhang zwischen Konsum von digitalen Medien und psychischer Gesundheit von Kindern und Jugendlichen noch Gegenstand wissenschaftlicher Diskussion ist, denn Metaanalysen und Reviews zeigen inkonsistente Ergebnisse. Über Hinweise auf negative Zusammenhänge in Bezug auf Stimmung, Schlaf, Substanzgebrauch, Schulleistungen, Einsamkeit, risikobehaftete Verhaltensweisen und suizidales Verhalten von Heranwachsenden berichten Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeuten und -psychiater aber sehr wohl.

Eine gesellschaftliche und politische Debatte über Handyverbote in Schulen und Zugangsbeschränkungen für jüngere Altersgruppen ist begrüßenswerter Weise endlich in Gang gekommen. Aus dem eigenen Umfeld ist zu hören, dass viele Schulen seit dem aktuellen Schuljahr begonnen haben, Handys im Unterricht und auf dem Schulhof zu verbieten. Die Bundesregierung hat gerade eine interdisziplinär besetzte Expertenkommission einberufen, die Vorschläge ausarbeiten soll, wie man Kinder und Jugendliche besser in der digitalen Welt schützen kann. Ergebnisse sollen im nächsten Sommer vorgestellt werden. EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sprach sich gerade für eine Altersgrenze in den sozialen Medien aus. Sie kündigte an, bis Ende des Jahres eine Expertengruppe damit zu beauftragen, über das beste Vorgehen für Europa zu beraten.

Zum Wohle der psychischen Gesundheit unserer Kinder hätten gegensteuernde Maßnahmen bereits viel früher implementiert werden sollen. Doch besser spät als gar nicht. 

Quelle: www.aerzteblatt.de / PP/ Ausgabe 10/2025