Gesundheit und Gesundheitsversorgung vor und während der Pandemie
Die mehr als 30 Monate andauernde COVID-19-Pandemie hat direkt und indirekt potenziell großen Einfluss auf die Gesundheit und Gesundheitsversorgung von Kindern und Jugendlichen in Deutschland. Aus den pandemiebegleitenden Maßnahmen, Belastungen im Familienleben (und den dort verfügbaren monetären und nicht monetären Ressourcen) sowie der allgemein veränderten Inanspruchnahme des medizinischen und nicht-medizinischen Versorgungssystems erwachsen während der Pandemie verschiedene Herausforderungen physischer, psychischer, sozialer als auch finanzieller Natur für ein gesundes Aufwachsen.
Durch den Kinder- und Jugendreport 2022 werden diese Auswirkungen ebenso wie Versorgungsherausforderungen sichtbar gemacht. Datengrundlage sind anonymisierte Abrechnungsdaten von rund 800.000 Kindern und Jugendlichen im Alter bis 17 Jahren, die bei der DAK-Gesundheit versichert sind. Der Report basiert damit auf Daten von 5,7 % aller Kinder und Jugendlichen in der Bundesrepublik. Je nach Bundesland können über 10 % aller dort lebenden Kinder abgebildet werden. Analysiert wurden die Jahre 2018 bis 2021.
Auf einen Blick: Gesundheitsfolgen
- Die Häufigkeit von Arztkontakten hat in 2021 gegenüber den Vorjahren weiter abgenommen
- +54 % mehr neu diagnostizierte Essstörungen bei Mädchen (15-17 Jahre)
- +23 % mehr neu diagnostizierte Depressionen bei Mädchen (10-14 Jahre)
- +24 % mehr neu diagnostizierte Angststörungen bei Mädchen (15-17 Jahre)
- +15 % mehr neu diagnostizierte Adipositas-Fälle bei Jungen (15-17 Jahre)
- Die Häufigkeit von Arzneimittel-Verordnungen hat in 2021 gegenüber den Vorjahren weiter abgenommen
- +19 % erhöhtes Risiko einer Depressions-Neuerkrankung bei Mädchen mit einem niedrigen sozio-ökonomischen Status gegenüber Mädchen aus Familien mit hohem Status (15-17 Jahre)
- +62 % erhöhtes Risiko auf Adipositas bei Jungen mit einem niedrigen sozio-ökonomischen Status gegenüber Jungen aus Familien mit hohem Status (15-17 Jahre)
Gesundheit
Der Anteil der Kinder und Jugendlichen, die einen Arzt oder Psychotherapeuten während der Pandemie aufsuchten, ist über die Jahre leicht zurückgegangen (-5 %). Im Jahr 2021 wurden 259 ambulante und/oder stationäre Fälle je 1.000 gegenüber 272 Fällen je 1.000 im Jahr 2019 verursacht. Dieses Bild verändert sich jedoch in Abhängigkeit davon, welche psychischen und verhaltensbezogenen Störungen betrachtet werden.
Wird die Neuerkrankungsrate von Depressionen bei den 10- bis 14-jährigen Mädchen betrachtet, wird dies beispielsweise deutlich: Über die Jahre erhöhten sich die ursprünglich 9,7 Fälle je 1.000 (2019) um 23 % auf 11,9 Fälle je 1.000 (2021). In dem gleichen Zeitraum nimmt die Neuerkrankungsrate auch bei den 15- bis 17-jährigen Mädchen um 18 % zu.
Diese Altersklasse erwies sich auch gegenüber Angststörungen als vulnerabler, sodass die Inzidenz dieser Erkrankung um 24 % zunahm. Dieser Trend verstetigt sich seit dem Jahr 2020. Die Neuerkrankungsrate sinkt in Bezug auf die 10- bis 14-jährigen Jungen um 12 % und bei der höheren Altersklasse um 9 %.
Zwischen den Jahren 2019 bis 2021nahmen Essstörungen in der weiblichen Altersgruppe der 15- bis 17-Jährigen um 54 % zu. Die Zahlen stiegen auch in der darunterliegenden Altersklasse um 33 %. Die Inzidenzrate der Jungen nahm leicht ab.
Sowohl in der Gruppe der 15- bis 17-Jährigen als auch der Gruppe der 5- bis 9-jährigen Jungen erwies es sich als auffallend, dass die Adipositasinzidenz zwischen den Jahren 2019 und 2021 um 15 % zunahm. In den Altersklassen stieg sie auch bei den Mädchen (5-9 Jahre: +12 %, 15-17 Jahre: +6 %).
Gesundheitsversorgung
Während der Corona-Pandemie wurden im Vergleich zum Vorjahr deutlich weniger Arzneimittel für Kinder und Jugendliche verordnet. Zudem ist ein überproportionaler Verordnungsrückgang von Reserveantibiotika (-51 %) von 2019 zu 2021 zu verzeichnen.
Am häufigsten wurden im Jahr 2021 Antiphlogistika (24,3 %) und Antirheumatika sowie Rhinologika (23,3 %) verordnet.
Zudem wurde die medikamentöse Versorgung von Jugendlichen mit Depressionen untersucht. Dabei wurde deutlich, dass der Anteil neu an Depressionen erkrankter Mädchen (15-17 Jahre), die im Jahr der Neuerkrankung ein Antidepressivum erhielten, 2021 gegenüber 2019 um sechs Prozentpunkte (+65 %) gestiegen ist. Ähnliche Tendenzen sind bei der gleichen Altersgruppe in Bezug auf Essstörungen (+75 %) und bei der weiblichen Altersklasse der 10-14-Jährigen in Bezug auf Angststörungen (+41 %) auffindbar.
Schwerpunkt: Einfluss der sozialen Lage
Als Surrogatparameter für die in den Sekundärdaten einer gesetzlichen Krankenkasse nur sehr eingeschränkt enthaltenen Angaben zum individuellen sozio-ökonomischen Status eines Kindes wird der German Index of Multiple Deprivation (GISD) als Index zur räumlichen Sozialstruktur herangezogen. Der GISD ist ein multidimensionaler und kleinräumiger Deprivationsindex für das Bundesgebiet, der auf Gemeinde-, Kreis- und Postleitzahl-Ebene vorliegt. Für die vorliegenden Analysen wird der GISD auf Postleitzahl-Ebene in der Version von 2014 genutzt. Hohe Indexwerte bedeuten hierbei eine hohe Deprivation, also sozial-ökonomische Benachteiligung. Alternativ wird nachfolgend der Kehrwert genutzt und von einem hohen sozio-ökonomischen Status gesprochen, wenn die Deprivation niedrig ist.
Der überwiegende Teil (ca. 63 %) der DAK-versicherten Kinder und Jugendlichen ist einem mittleren sozio-ökonomischen Status zuzuordnen. Dies entspricht tendenziell auch den deutschlandweiten Daten, welche besagen, dass ca. 58 % der Kinder und Jugendlichen einen mittleren Status aufweisen. Ebenso gut abgebildet ist die Gruppe, die einen niedrigen Status hat: Den DAK-Daten nach umfasst diese Gruppe ca. 28 %, den bundesweiten Daten nach ca. 29 %. Auch die Gruppe mit einem hohen sozio-ökonomischen Status ist gut repräsentiert (DAK: 10 %; Deutschland: 13 %).
Statistisch signifikant ist, dass Depressionen in der Altersklasse der 15- bis 17-jährigen Mädchen aus Familien mit einem hohen sozio-ökonomischen Status zu 19 % häufiger gegenüber den gleichaltrigen Mädchen mit einem niedrigen Status auftreten.
Das Risiko einer Neuerkrankungs-Diagnose bezüglich Adipositas ist bei Jungen zwischen 10 bis 17 Jahren sowohl im Vergleich von einem mittleren oder niedrigen gegenüber einem hohen Status erhöht. Bei den 10 bis 14-Jährigen liegt diese Erhöhung zwischen mittel vs. hoch bei 18 %, bei niedrig vs. hoch bei 29 %. Im Alter zwischen 15 und 17 Jahren liegt das Risiko bei einem mittleren vs. hohem sozio-ökonomischen Status bei +26 % und bei niedrig vs. hoch bei +62 %. Gegenüber 2019 hat damit eine statistisch signifikante Risikozunahme stattgefunden (mittel vs. hoch: +8 %, niedrig vs. hoch: +21 %).
Quelle: www.dak.de vom Juni 2023