Inzwischen ist klar, welche Parteien die nächste Bundesregierung bilden werden. SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP befinden sich kurz vor Redaktionsschluss dieser Ausgabe in Koalitionsverhandlungen, in denen sie noch einige Konflikte lösen müssen. In Bezug auf die Versorgung psychisch kranker Menschen sind sich die Parteien hingegen vom Grundsatz her einig. Schaut man sich die Bundestagswahlprogramme genauer an, so zeigen sich Unterschiede in der Ausdifferenzierung. Die SPD als größte der drei Parteien begnügt sich in ihrem „Zukunftsprogramm“ in Bezug auf die psychotherapeutische Versorgung mit dem Satz: „Wir werden die ambulante und integrierte psychotherapeutische Versorgung für Kinder, Jugendliche und Erwachsene stärken, damit sie niedrigschwellig und ohne lange Wartezeiten allen zugänglich ist.“ Die Wartezeiten reduzieren und den Ausbau von Therapieplätzen fördern wollen auch FDP und Grüne mit expliziten Forderungen. Nach Angaben der Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) sind mindestens 1 600 Praxissitze zusätzlich erforderlich, vor allem in ländlichen und strukturschwachen Gebieten.
Die FDP spricht sich in ihrem Wahlprogramm dafür aus, „mehr Studienplätze für Psychologie und Psychotherapie schaffen“ zu wollen und die „Ausbildung weiterentwickeln“ zu wollen. Die Grünen schreiben: „Bei der unzureichenden Reform der Psychotherapieausbildung muss nachgebessert werden.“ Damit sollte die Forderung der BPtK an die neue Bundesregierung Chancen haben: nämlich die Qualifizierung einer ausreichenden Anzahl von Psychotherapeuten auch in der Zukunft und die finanzielle Sicherstellung der ambulanten und stationären Weiterbildung von Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten.
Die Grünen wollen die Besonderheiten der Versorgung von Kindern und Jugendlichen, von LSBTIQ (Lesben, Schwule, Bisexuelle, Trans*, Inter* und Queers), geflüchteten und traumatisierten Menschen sowie gewaltbetroffenen Frauen mehr berücksichtigen. Die FDP setzt auf mehr schulpsychologische Beratungsangebote sowie auf Schulsozialarbeiter an jeder Schule. Die BPtK fordert von der nächsten Bundesregierung spezielle psychotherapeutische Angebote für bildungsferne Familien mit geringem Einkommen.
Die SPD setzt für eine bessere Gesundheitsversorgung auf eine „Überwindung der Sektorengrenzen und eine gute Koordination und Kooperation der medizinischen, psychotherapeutischen und pflegerischen Berufe“. Auch die Grünen wollen dieses Ziel in dieser Legislaturperiode erreichen, formulieren es nur ein wenig anders. Etwas nähergekommen ist man dieser jahrzehntealten Forderung mit der neuen Richtlinie des Gemeinsamen Bundesausschusses, laut derer schwer psychisch kranke Menschen künftig strukturierte und koordinierte Hilfe durch Psychotherapeuten und Ärzte erhalten sollen, die sie mit allen nötigen Gesundheitsberufen vernetzen und durch die Versorgung lotsen. Aus der Psychotherapeutenschaft gibt es indes noch Kritik an der Richtlinie (siehe „Es bleiben Hürden“, PP 9/2021). Darüber hinaus fordert die BPtK eine ambulante Versorgung von schwer psychisch kranken Kindern und Jugendlichen, die psychotherapeutisch ausgerichtet ist.
Quelle: www.aerzteblatt.de / PP 20, Ausgabe November 2021, Seite 481