Interview mit Schlafmediziner Dr. Nikolaus Rauber: über Leistungsdruck bis in die Nacht hinein und wie die Corona-Krise unseren Schlaf verändert
Herr Dr. Rauber, werden Sie als Schlafmediziner oft gefragt, ob Sie gut geschlafen haben?
Nein, das nicht. Aber ich frage das normalerweise meine Patientinnen und Patienten.
Was ist guter Schlaf?
Gesund ist Schlaf, nach dem wir uns erholt fühlen. Bei den meisten Menschen ist das schon der Fall, wenn sie die Hälfte der Nacht erholsamen Schlaf hatten. Das bedeutet 25 bis 30 Prozent Tiefschlaf und 20 bis 25 Prozent Traumschlaf bei einer Schlafdauer von sieben bis acht Stunden. Die restliche Zeit, also etwa die Hälfte der Nacht, befinden wir uns im Leichtschlaf.
Wann ist mein Schlaf gestört?
Zum Beispiel, wenn das Einschlafen verzögert ist. Wenn Sie nicht durchschlafen und nachts mehrmals wach werden. Oder wenn Sie wach werden und nicht wieder einschlafen können. Gerade Ältere wachen morgens allzu früh auf.
Kann man gutes Schlafen lernen?
Der erste Schritt ist die Vermittlung von Wissen: Viele Menschen haben unzutreffende Vorstellungen von gutem Schlaf, leiden darunter, dass sie nicht ihren eigenen Erwartungen entsprechen. Eine gängige Vorstellung ist zum Beispiel, dass man nicht ausgeruht ist, wenn man keine acht Stunden geschlafen hat, oder körperlich nicht leistungsfähig ist, wenn man schlecht geschlafen hat. Dabei stimmt beides nicht. Spricht man über diese Irrtümer, kann der Druck ein Stück weit abgebaut werden. Ein anderes Thema ist die Schlafhygiene.
Was ist damit gemeint?
Maßnahmen, mit deren Hilfe man seinen Schlaf verbessern kann: Zum Beispiel sollte der Schlafraum nicht über 18 Grad Raumtemperatur haben – was ein Problem darstellen kann, wenn man auf der Schlafcouch im Wohnzimmer schläft. Von Vorteil ist auch, wenn man abends nicht so spät und nicht so viel isst. Außerdem sollte man nichts mehr machen, was einen aufwühlt, etwa kurz vorm Schlafen noch berufliche E-Mails beantworten.
Ist es ok, im Bett noch mal schnell aufs Handy zu schauen?
Gerade bei Jugendlichen ist das einer der Hauptgründe, warum sie schlecht schlafen. Einmal, weil gerade Jüngere oft diese Pingpong-Mentalität haben und sofort antworten müssen. Ältere können das Handy eher mal beiseitelegen. Das zweite ist das Blaulicht von Laptop und Handy: Es unterdrückt die Produktion des Schlafhormons Melatonin und verhindert so, dass der Körper runterfährt. Bei E-Book-Readern ist das übrigens anders, die strahlen kein Blaulicht aus.
Gibt es unterschiedliche Schlaftypen?
Es gibt Kurz- und Langschläfer. Wie viel Schlaf jemand braucht, hängt aber in erster Linie vom Alter ab. Ein Säugling schläft 16 bis 18 Stunden, ein Erwachsener nur noch sieben bis acht. 80-Jährige brauchen sogar oft nur fünf Stunden Schlaf. Insgesamt hat die Schlafdauer im Laufe der letzten hundert Jahre abgenommen.
Was passiert mit dem Körper, wenn man zu wenig schläft?
Man kann sich das wie eine U-Kurve vorstellen: Wer zu wenig schläft, hat Probleme – wer zu viel schläft, aber auch. Laut Befragungen empfinden Erwachsene, die sieben bis acht Stunden schlafen, am meisten Freude, fühlen sich am glücklichsten und am leistungsfähigsten. Wer tagsüber müde ist, hat hingegen ein erhöhtes Risiko für Arbeitsunfälle, oft ist der Körper gestresst, der Appetit ist angeregt, viele bekommen Bluthochdruck. Wir wissen heute, dass zum Beispiel das Reaktorunglück von Tschernobyl 1986 auch auf Fehlentscheidungen basierte, die getroffen wurden, weil Menschen zu müde waren: Bei Schlafmangel nimmt die Konzentrationsfähigkeit ab. Zu lange schlafen oft Menschen, die keinen erholsamen Schlaf haben und versuchen, dies über die Dauer auszugleichen.
Hat schlechter Schlaf körperliche oder psychische Ursachen?
Da muss man unterscheiden: Laut internationaler Klassifikation gibt es im Bereich der „Sleep Disorders“ 88 Diagnosen. Den größten Anteil daran haben die Einschlaf- und Durchschlafstörung, deren Ursachen psychisch bedingt sind. Den zweitgrößten Anteil haben die schlafbezogenen Bewegungsstörungen mit organischen Ursachen. Am bekanntesten sind hier die zuckenden Beine, das „Restless-Legs-Syndrom“. Dann folgt das Schlafapnoe-Syndrom, also das, was wir hauptsächlich im Schlaflabor behandeln. Die Ursachen sind rein organisch.
Was bedeutet Schlafapnoe?
Übersetzt bedeutet Schlafapnoe „Atemstillstand im Schlaf“. Dies geschieht zum Beispiel, wenn die Muskulatur erschlafft, die Zunge in den Rachen rutscht und die Atemwege zufallen. Dann sinkt der Sauerstoffanteil im Blut. Schnarchen und Tagesmüdigkeit sind typische Symptome. Wer schon länger an Schlafapnoe leidet, hat manchmal 500 bis 600 Atemaussetzer in der Nacht und findet gar keinen erholsamen Tiefschlaf mehr. Im Schlaflabor können wir das untersuchen.
Wie sieht denn der typische Patient im Schlaflabor aus?
Die meisten der Schlafapnoepatienten sind männlich und älter als 45 Jahre. Fettleibigkeit ist ein begünstigender Faktor, ebenso der familiäre Hintergrund: Wer ein fliehendes Kinn, einen wenig ausgeprägten Kiefer und einen engen Rachen hat, kann schon in jungen Jahren nächtliche Atemprobleme bekommen. Oft sind auch Dialysepatienten betroffen, da Wassereinlagerungen im Körper im Liegen das Atmen erschweren.
Und ein typischer Patient mit Schlafstörungen?
Das sind Menschen, die sich ausgebrannt und müde fühlen, sehr häufig Frauen mit Mehrfachbelastung, die sich um vieles gleichzeitig kümmern: Kindererziehung, Partnerschaft, die Pflege Angehöriger, Job, Haushalt … Oft können die Patientinnen nicht mehr abschalten. Manche greifen dann auch zu frei verkäuflichen Medikamenten. Männer instrumentalisieren hingegen eher den Alkohol und kommen mit einer Suchterkrankung zu uns.
Wie gehen Sie damit um?
Wir arbeiten zuerst im Gespräch den biografischen Hintergrund heraus, das ist wie bei jedem anderen therapeutischen Kontakt. In der Gruppentherapie sprechen wir dann über Schlafhygiene und den Umgang mit Schlaf, machen Entspannungsübungen und autogenes Training. Die Gruppe kann dabei motivierend wirken.
Worum geht es in den Gesprächen?
Oft um Selbstfürsorge: Wo ist die Grenze meiner Belastbarkeit? Wann muss ich meinem Chef auch einmal sagen: Das überfordert mich? Viele haben ein schwaches Selbstwertgefühl, haben Angst, entlassen zu werden. Studien zeigen, dass Patientinnen und Patienten mit Depressionen und Angststörungen oft gleichzeitig Ein- und Durchschlafstörungen haben und dadurch länger krankgeschrieben sind.
Wenn wir über Stress und Anspannungen reden: Treibt die Corona-Krise die Menschen in Ihre Praxis?
Das kann man nicht pauschal sagen. Generell häufen sich die Schlafstörungen bei Menschen mit einem schlechteren psychosozialen Status: Beamte haben seltener Schlafstörungen als Arbeiter. In strukturschwachen Regionen mit hoher Arbeitslosigkeit kommt die Diagnose häufiger vor als anderswo.
Wie spiegelt die Corona-Zeit das wider?
Diejenigen, die im Homeoffice sicher ihrer Arbeit nachgehen und sich vielleicht noch das Pendeln sparen, schlafen jetzt besser, müssen am Wochenende auch kein Schlafdefizit mehr aufholen. Andere, denen die Entlassung droht, etwa Angestellte in Kleinbetrieben, oder Einzelselbstständige machen sich vermehrt Sorgen: Patienten erzählen mir, dass sie kaum noch fünf Euro in der Tasche haben, dass sie seit Monaten auf Hilfen warten oder wegen länger anhaltender Kurzarbeit nicht wissen, wie sie ihre Kredite abbezahlen sollen. Wer durch Covid-19 existenziell bedroht ist, schläft schlechter.
Wann sollte man mit Schlafstörungen zum Arzt gehen?
Laut Handbuch: Wenn man dreimal in der Woche über einen Zeitraum von vier Wochen schlecht schläft und keine andere Ursache dahintersteht. Viele Hausärztinnen und Hausärzte sind über Leitlinien und Fortbildungen für das Thema sensibilisiert.
Tipps für eine ruhige Nacht: Was kann ich selbst tun?
Weniger Koffein: Verzichten Sie nach dem Mittagessen auf Kaffee, schwarzen Tee oder Cola. Trinken Sie vorm Schlafengehen nur wenig oder keinen Alkohol. Bewegen Sie sich ausreichend. Lassen Sie den Tag entspannt ausklingen und verzichten Sie abends auf anstrengende Tätigkeiten. Etablieren Sie Ihr persönliches Einschlafritual. Legen Sie sich abends nur ins Bett, wenn Sie wirklich müde sind. Schauen Sie nicht auf die Uhr, wenn Sie nicht einschlafen können oder wach geworden sind. Falls Sie nicht wieder einschlafen können: Stehen Sie nach 15 Minuten wieder auf. Bleiben Sie nicht im Bett liegen, sondern machen Sie etwas, was Sie müde macht.
Quelle: zimmereins-daspatientenmagazin.de/2020-03