Internationale Studie bestätigt langfristige Sicherheit von Methylphenidat bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS

Ein internationales Forscherteam hat festgestellt, dass das am häufigsten verschriebene Medikament zur Behandlung der Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) bei Kindern und Jugendlichen auch im Rahmen einer Langzeittherapie über zwei Jahre im Allgemeinen sicher ist und die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten von Wachstumsstörungen, psychiatrischen oder neurologischen Nebenwirkungen bei Kindern und Jugendlichen nicht erhöht.

Die Ergebnisse zeigten sich in einer naturalistischen, prospektiven, kontrollierten Längsschnittstudie, die Forscherinnen und Forscher des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Tobias Banaschewski (Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters und stellvertretender Direktor des ZI) zusammen mit einem internationalen Forscherteam unter der Leitung von Forschern der UCL School of Pharmacy und der Universität Hongkong (Dr. Kenneth Man und Prof. Ian Chi-Kei Wong) sowie Prof. David Coghill, Department of Paediatrics, University of Melbourne durchgeführt haben. Die Ergebnisse wurden in der Zeitschrift „The Lancet Psychiatry“ veröffentlicht.

Die Aufmerksamkeitsdefizit-/Hyperaktivitätsstörung (ADHS) ist eine der häufigsten Entwicklungsstörungen. Weltweit sind etwa 7% aller Kinder und 2% aller Erwachsenen von ADHS betroffen. Unbehandelt geht ADHS unter anderem mit einem erhöhten Risiko für emotionale Probleme, schlechte schulische Leistungen, Schulausschlüsse, Schwierigkeiten bei der Arbeit und in Beziehungen sowie Kriminalität und Drogenmissbrauch einher.

Langfristige Sicherheit von Methylphenidat

Methylphenidat ist in vielen Ländern das am häufigsten verschriebene Medikament zur Behandlung von ADHS bei Kindern und Jugendlichen. Die kurzfristige Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit wurden durch zahlreiche randomisierte kontrollierte Studien belegt. Hingegen gab es nur wenige Daten zur Sicherheit und Verträglichkeit einer langfristigen Behandlung mit Methylphenidat. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) lehnte daher die Aufnahme von Methylphenidat in die Liste der unentbehrlichen Arzneimittel ab und äußerte „Bedenken hinsichtlich der Qualität und der Grenzen der verfügbaren Nachweise in Bezug auf Nutzen und Schaden“. Um die Bedenken hinsichtlich der langfristigen Sicherheit in der Behandlung mit Methylphenidat bei Kindern und Jugendlichen mit ADHS auszuräumen, finanzierte die Europäische Union das Projekt ADDUCE (Attention Deficit Hyperactivity Disorder Drugs Use Chronic Effects). Im Rahmen des EU-Projektes wurde eine naturalistische Studie unter Beteiligung der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim durchgeführt und die Auswirkungen einer Langzeitbehandlung mit Methylphenidat auf Wachstum und Entwicklung sowie auf psychiatrische, neurologische und kardiovaskuläre Gesundheitsfolgen bei Kindern und Jugendlichen untersucht.

Langfristige Einnahme von Methylphenidat führt nicht zu verlangsamtem Wachstum

Für die ADDUCE-Studie wurden 1.410 Kinder und Jugendliche aus 27 europäischen Zentren für Kinder- und Jugendpsychiatrie im Vereinigten Königreich, Deutschland, der Schweiz, Italien und Ungarn rekrutiert. Die Studie ist insofern einzigartig, als es sich um die erste prospektive Studie handelt, in der Kinder und Jugendliche mit ADHS, die eine Langzeitbehandlung mit Methylphenidat erhielten, und solche, bei denen keine Pharmakotherapie erfolgte, direkt miteinander verglichen wurden.
Die Ergebnisse der Studie zeigten, dass die langfristige Einnahme von Methylphenidat nicht mit Beeinträchtigungen des Wachstums oder mit einem höheren Risiko für psychiatrische oder neurologische Symptome einherging. Tatsächlich zeigte sich bei der langfristigen Einnahme von Methylphenidat ein durchschnittlich sehr geringer Anstieg des Blutdrucks und der Pulsfrequenz, wenn man die Methylphenidat-Gruppe mit der Gruppe ohne Methylphenidat verglich. Diese Erhöhungen werden jedoch nicht als schwerwiegend oder gesundheitsschädlich angesehen. Frühere Untersuchungen aus dem ADDUCE-Projekt haben zudem gezeigt, dass die Behandlung mit Methylphenidat das Risiko für Suizidversuche nicht erhöht und das Risiko, Opfer von körperlicher Misshandlung zu werden, senken kann.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass Methylphenidat in der Langzeitbehandlung von Kindern mit ADHS im Allgemeinen sicher und gut verträglich ist. Allerdings sind in Einzelfällen auch stärkere Anstiege von Pulsfrequenz und Blutdruck möglich, so dass regelmäßige Kontrollen durchgeführt werden sollten“, sagt Prof. Dr. Dr. Tobias Banaschewski, Ärztlicher Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie des Kindes- und Jugendalters und stellvertretender Direktor des Zentralinstituts für Seelische Gesundheit.

Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 16.06.2023