Geschlechtsangleichung: Rechtliche Grauzone

Geschlechtsangleichende Therapien sind mit vielen Herausforderungen insbesondere bei der Kostenübernahme verbunden. Eine gesetzliche Regelung dazu gibt es bislang nicht.

Für die Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Behandlungen gibt es aktuell keinen rechtlichen Rahmen. Sie basiert auf einem Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) aus den 1980er-Jahren – das beinhaltet allerdings nur binäre Geschlechtsidentitäten. Im Oktober hatte das BSG daher entschieden, dass die Kosten für eine Mastektomie bei einer non-binären Person keine Kassenleistung ist. Es handele sich um eine „neuartige Behandlung“. Dafür brauche es zunächst eine Empfehlung des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA), so das BSG.

Aktuell bereits genehmigte Behandlungen würden allerdings weiterhin finanziert, sagte der Queerbeauftragte der Bundesregierung, Sven Lehmann (Grüne), bei einem Fachgespräch der Grünen. Tessa Ganserer (Grüne) aus dem Umweltausschuss sprach dagegen von zurückgezogenen Bewilligungen. „Wir halten das für berufsethisch inakzeptabel, diskriminierend und schlichtweg menschenrechtsverletzend“, sagte sie über das BSG-Urteil. Die Partei will nun einen gesetzlichen Rahmen für die Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Operationen schaffen, die im Koalitionsvertrag angekündigt wurde.

Begutachtungsanleitung

Auch für Transpersonen, die sich als Mann oder Frau identifizieren, gibt es einige Hürden bei der Kostenübernahme von geschlechtsangleichenden Maßnahmen. Unter anderem kritisierte die Bundespsychotherapeutenkammer (BPtK) erneut die Begutachtungsanleitung des GKV-Spitzenverbandes. Die Richtlinie sieht vor, dass die Kosten für eine Geschlechtstransition nur übernommen werden, wenn die betreffende Person zunächst zwölf Sitzungen in einem psychiatrischen oder psychotherapeutischen Setting durchführt. Sabine Maur, Vizepräsidentin der BPtK, bezeichnete das als Zwangsbehandlung. „Unsere Gesellschaft ist geprägt von queerfeindlichen Werten und Normen.“ Die leitende Ärztin des Medizinischen Dienstes Bund, Dr. med. Kerstin Haid, hielt dagegen, dass es sich auch um ein beratendes Setting handeln könne.

Eine große Änderung hin zur Entpathologisierung von Transgeschlechtlichkeit hat vergangenes Jahr mit der Veröffentlichung des Klassifikationssystems ICD-11 (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems) stattgefunden. Im Unterschied zur alten Klassifikation, dem ICD-10, wird die Geschlechtsinkongruenz im ICD-11 als Zustand und nicht mehr als Störung gewertet. In Deutschland bestünde jedoch „die komplexe Situation“, dass noch weitere vier bis fünf Jahre nach ICD-10 verschlüsselt und diagnostiziert würde, sagte Maur.

Der Allgemeinmediziner und Infektiologe Dr. med. Martin Viehweger begleitet in seiner Praxis viele Menschen bei der Transition. Er forderte, dass die transformative medizinische Begleitung Bestandteil von Ausbildungsprozessen werden müsse. Zusätzlich müsse der ökonomische Druck in der Praxis genommen und Netzwerkarbeit mit Peergroups und niedrigschwelligen Einrichtungen gefördert werden.

Östrogene per Injektion

Weiter berichtete Viehweger: „In Deutschland ist der Markt momentan auf orale oder transdermale Hormonapplikationen beschränkt.“ Viele Personen in Transition würden jedoch auch auf hier nicht zugelassene Injektionsformen von Östrogenderivaten zurückgreifen, die etwa aus Tschechien importiert würden. „Das ist ein sehr wichtiges Zeichen dafür, dass die aktuellen Regelungen, die auch durch den MDK umgesetzt werden, schädlich sind und so schnell wie möglich abgeschafft werden müssen“, sagte Mari Günther vom Bundesverband Trans*. Günther hofft, dass zeitnah eine Rechtsgrundlage geschaffen wird. Denn viele Personen seien durch das BSG-Urteil so verunsichert, dass man von einer steigenden Suizidalität ausgehen müsse.

Eine Möglichkeit, die Transitionsbehandlung gesetzlich zu verankern, sei, sie im Sozialgesetzbuch V in Analogie zur künstlichen Befruchtung als § 27 b aufzunehmen, erklärte die Rechtsanwältin Anke Harney. 

Quelle: www.aerzteblatt.de; PP 23, Ausgabe Januar 2024