Dr. Deborah Holder, Neurologin am Cedars-Sinai Guerin Children’s (Los Angeles, USA) und Expertin für pädiatrische Epilepsie, erklärt in einem Interview, warum Eltern oft die Anzeichen dafür, dass ihr Kind an Epilepsie leidet, nicht erkennen.
Epilepsie ist eine neurologische Erkrankung, bei der Kinder unter Krampfanfällen leiden. Die Krampfanfälle beruhen auf fehlgeleiteten elektrischen Aktivitäten im Gehirn. Abhängig von der Region im Gehirn, wo die Störungen entstehen, kann sich ein Anfall unterschiedlich äußern. Bilden sich vorübergehend gestörte Aktivitäten in Gehirnregionen, die für Sprache zuständig sind, kann das Kind vielleicht nur dasitzen, vor sich hinstarren und den Mund bewegen, ohne dass es Worte formulieren kann. „Manchmal sehen Kinder mit Anfällen blinkende Lichter oder haben vorübergehend verschwommenes Sehen, was dazu führt, dass bei ihnen fälschlicherweise Migräne diagnostiziert wird“, beschrieb Holder die verschiedenen Anzeichen. Bei letzteren Symptomen haben Anfälle ihren Ursprung in Gehirnregionen, die für visuelle Eindrücke zuständig sind.
Wenig auffällige Anzeichen
Eltern haben oft keine Ahnung hat, dass es sich um epileptische Anfälle handelt, da Epilepsie mit unauffälligen Symptomen verbunden sein kann, wie zum Beispiel, dass jemand für ein paar Sekunden nicht sprechen kann. Wenn diese Symptome verschwinden, vergessen die Menschen oft, nach der Ursache zu suchen. Viele Menschen haben die Vorstellung, dass es sich bei einem Anfall um einen Krampfanfall handeln muss, bei dem es zu Bewusstlosigkeit kommt und die Person zu Boden fällt und der ganze Körper krampft. Das ist Dr. Holder zufolge tatsächlich die seltenste Art von Anfall.
Die häufigsten Anfälle sind kaum wahrnehmbar. Manchmal sitzt jemand einfach da, starrt und reagiert drei oder vier Sekunden lang nicht. Bei einem Kind kann es zu einer unkontrollierbaren motorischen Aktivität kommen, wie z. B. einem Zucken eines Arms oder eines Beins oder Zucken einer Gesichtshälfte, die 30 Sekunden anhält. Betroffene verspüren möglicherweise ein Taubheitsgefühl oder Kribbeln in einem Körperteil oder einen seltsamen Geruch oder Geschmack im Mund, der kommt und geht. Manchmal sind sie nicht in der Lage, Sprache zu verarbeiten, und ihre Sprache ist beeinträchtigt.
Rasche Behandlung wichtig
Mithilfe eines EEG kann eine Epilepsie diagnostiziert werden. Kinder mit Epilepsie können bei ihrem ersten EEG (Elektroenzephalogramm) auch keine Abweichungen zeigen. Daher sind Informationen der Familie wichtig. Besonders hilfreich können dabei Videoaufzeichnung mit dem Smartphone sein.
„Wir verlassen uns stark auf Informationen, die wir durch Gespräche mit Familien sammeln. Oftmals können wir die Diagnose auch ohne diagnostische Untersuchung stellen, führen aber dennoch ein EEG (Elektroenzephalogramm) durch, um zu sehen, ob wir weitere Informationen gewinnen können. Für diesen Test kleben wir Elektroden auf den Kopf, die wie kleine Aufkleber aussehen, um die Gehirnströme zu überwachen“, beschriebt Dr. Holder das Vorgehen.
„Ich rate Familien: Wenn Sie sehen, dass ein Kind ein ungewöhnliches Verhalten zeigt, filmen Sie es […]. Anhand der Aufzeichnung können wir sehr gut erkennen, ob es sich bei dem Ereignis um einen Anfall handelt oder nicht.“
Wird eine Epilepsie nicht diagnostiziert, kann das Kind dadurch beim Lernen beeinträchtigt sein. Die meisten Kinder können allein durch Medikamente anfallsfrei werden. Wenn das Gehirn wächst und sich entwickelt, hören bei vielen Kinder die Anfälle auf und sie müssen langfristig keine Medikamente mehr einnehmen.
„Mehr als ein Drittel der Patienten haben Anfälle, die schwerer zu kontrollieren sind. Bei diesen Kindern führen wir in der Regel erweiterte diagnostische Tests durch, um genau zu sehen, woher die Anfälle kommen. Anschließend entfernen wir den Teil des Gehirns, der die Anfälle verursacht. Heutzutage brauchen wir dafür nur eine sehr kleine Öffnung im Kopf, um die betroffene Stelle mit einem Laser zu behandeln. Die Öffnung wird mit nur einer Naht verschlossen und die Patientin/der Patient geht in der Regel am nächsten Tag nach Hause“, ergänzte Dr. Holder.
Genetische Faktoren beeinflussen Epilepsie
Wissenschaftler*innen haben mehr als 500 Gene identifiziert, die mit Epilepsie in Zusammenhang stehen. „Wenn wir Gentests durchführen, können wir nicht nur sagen, was die Epilepsie verursacht, sondern auch, welche Medikamente wir verwenden sollten. Wir führen Gentests durch, indem wir die Wangeninnenseite abtupfen. Es dauert fünf Minuten“, erläuterte Dr. Holder. Am Guerin Children’s testen Wissenschaftler*innen erstmals eine Gentherapie in Studien bei Patient*innen mit Epilepsie. „Vielleicht können wir eines Tages auch Kinder mit dieser Therapie behandeln“, so die Hoffnung von Dr. Holder.
Quelle: www.kinderaerzte-im-netz.de vom 04.12.2023