Wie wirkt sich zu wenig Schlaf auf die Entwicklung des Gehirns aus?

Einer aktuellen amerikanischen Studie zufolge kann unzureichender Schlaf bei Kindern langfristig die neurologische Entwicklung beeinträchtigen. Dies konnten die Forscher:innen anhand von Gehirnscans und -tests messen.

Eine in „The Lancet Child & Adolescent Health“ veröffentlichte Studie ergab, dass 9- und 10-Jährige, die nachts durchschnittlich keine 9 Stunden schlafen, tendenziell weniger graue Substanz entwickeln. Auch die Bereiche des Gehirns, die für Aufmerksamkeit, Gedächtnis und Impulskontrolle verantwortlich sind, sind nicht so ausgeprägt wie bei Kindern, die genug Schlaf bekommen.

Die Wissenschaftler:innen fanden auch einen Zusammenhang zwischen unzureichendem Schlaf und gestörten Verbindungen zwischen den Basalganglien und kortikalen Regionen (Gehirnrinde [Kortex]) des Gehirns. Diese Störungen schienen mit Depressionen, Denkproblemen und Beeinträchtigungen der „Crystallized Intelligence“ zusammenzuhängen. „Crystallized Intelligence“ oder kristalline Intelligenz ist eine Art von Intelligenz, die auf früheren Lernerfahrungen sowie früheren Erfahrungen basiert und vom Gedächtnis abhängt.

Diese Auswirkungen blieben 2 Jahre später bestehen, auch wenn diejenigen Teilnehmer, die zu Beginn ausreichend geschlafen hatten, im Laufe der Zeit allmählich weniger schliefen, und diejenigen, die zu Beginn nicht genug Schlaf bekamen, weiterhin etwa gleich lang schliefen, berichteten die Forscher:innen.

Die ABCD-Studie

Um zu untersuchen, wie sich unzureichender Schlaf über 2 Jahre auf die psychische Gesundheit, Gedächtnis, Gehirnfunktion und Gehirnstruktur von Kindern auswirkt, analysierten Ze Wang, PhD, Professor für diagnostische Radiologie und Nuklearmedizin an der University of Maryland, Baltimore, und seine Kollegen Daten aus der laufenden „Adolescent Brain Cognitive Development (ABCD) Study“ (Studie bei Jugendlichen zur kognitiven Entwicklung des Gehirns). Die ABCD-Studie verfolgt die biologische und Verhaltensentwicklung von mehr als 11.000 Kindern in den Vereinigten Staaten, die im Alter von 9 oder 10 Jahren für die Studie rekrutiert wurden.
Für ihre neue Analyse konzentrierte sich die Gruppe um Prof. Dr. Wang auf 6.042 Teilnehmer: 3.021 Kinder mit unzureichendem Schlaf, die mit einer gleichen Anzahl von Teilnehmern verglichen wurden, die in vielerlei Hinsicht ähnlich waren, einschließlich Geschlecht, sozioökonomischem Status und Pubertätsentwicklung. Nur letztere Probanden schliefen nachts mindestens 9 Stunden. Die amerikanischen Experten überprüften die Ergebnisse 2 Jahre später bei 749 der übereinstimmenden Paare, für die Ergebnisse verfügbar waren.

Die Ermittler bestimmten die Schlafdauer anhand der Antworten der Eltern auf die Frage: „Wie viele Stunden Schlaf bekam Ihr Kind in den letzten 6 Monaten in den meisten Nächten?“ Mögliche Antworten waren mindestens 9 Stunden, 8–9 Stunden, 7–8 Stunden, 5–7 Stunden oder weniger als 5 Stunden. Sie untersuchten zudem funktionelle und strukturelle MRT-Scans, Testergebnisse und Antworten auf Fragebögen.

Mangelnder Schlaf wirkt sich auf mehrere Bereiche negativ aus

Bei Kindern, die zu wenig schliefen, konnten die Forscher negative Effekte in mehreren verschiedenen Bereichen beobachten, darunter Gehirnstruktur, Funktion, Kognition, Verhalten und psychische Gesundheit.

Die Ergebnisse basierten auf Gruppendurchschnitten und die Unterschiede sind nicht schwerwiegend, sagte Wang. Ein bestimmtes Kind, das nachts meist keine neun Stunden lang schläft, müsse also nicht unbedingt schlechter abschneiden als ein Kind, das genug Schlaf bekommt, so Wang.
Dennoch könnten sich geringe Auswirkungen mit der Zeit ansammeln und schließlich zu andauernden Veränderungen führen, betonte Wang.

„Crystallized Intelligence“ – kristalline Intelligenz

Die Forscher untersuchten 42 Bereiche. Bei 32 davon gab es zwischen den Gruppen deutliche Unterschiede. Insbesondere vier Bereiche – Depression, Denkprobleme, Leistung bei einem Bildvokabeltest und kristalline Intelligenz – waren Bereiche, in denen unzureichender Schlaf einen größeren negativen Effekt zu haben schien.

Die Beziehung der Schlafdauer zur kristallinen Intelligenz war doppelt so hoch wie bei der fluiden Intelligenz. Die fluide Intelligenz beinhaltet Fähigkeiten wie Problemlösung, Lernen und Mustererkennung und hängt nicht vom Gedächtnis ab.

„Schlaf beeinflusst das Gedächtnis“, lautet das Fazit von Professor Wang. „Kristalline Intelligenz hängt von erlernten Fähigkeiten und Kenntnissen ab, die das Gedächtnis bietet. Deshalb ist Schlaf mit kristalliner Intelligenz verbunden.“

Eine Einschränkung der Studie bestehe darin, dass einige Eltern möglicherweise nicht genau angeben, wie viel Schlaf ihr Kind bekommt, räumte Wang ein. Kinder können zum Beispiel wach sein, wenn Eltern denken, dass sie schlafen.

Um einen gesunden Schlaf zu fördern, sollten Eltern eine strenge Routine für ihre Kinder einhalten, wie z. B. regelmäßige Schlafenszeiten und keine elektronischen Geräte im Schlafzimmer, schlug Wang vor. Mehr körperliche Aktivität während des Tages seien auch hilfreich.

Quelle: https://www.kinderaerzte-im-netz.de vom 21.10.2022