Onlinespiele und soziale Medien: Corona verstärkt die Sucht

Fast 700 000 Kinder und Jugendliche in Deutschland weisen nach den neuen ICD-10-Kriterien der WHO einen riskanten oder pathologischen Medienkonsum auf. Das hat gerade eine neue Studie der DAK-Gesundheit und des Deutschen Zentrums für Suchtfragen im Kindes- und Jugendalter (DZSKJ) am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) gezeigt. Die Wissenschaftler befragten rund 1 200 Familien mit Kindern zwischen zehn und 17 Jahren zur Nutzung von Onlinespielen (Gaming) und sozialen Medien. Jungen sind dabei doppelt so häufig von pathologischem Gaming betroffen wie Mädchen. In extremen Fällen müssen die spielsüchtigen Kinder sogar stationär aufgenommen werden. Prof. Dr. med. Rainer Thomasius, ärztlicher Leiter des DZSKJ, berichtete im Zusammenhang mit der Studie von rund 400 Neuaufnahmen jedes Jahr allein am UKE – Tendenz steigend. Während des Coronalockdowns stiegen die Nutzungszeiten beim Gaming werktags durchschnittlich um 75 Prozent an, von 79 auf 139 Minuten am Tag. Ebenso stiegen die Zeiten für die Nutzung sozialer Medien um 66 Prozent von 116 auf 193 Minuten. Die Wissenschaftler befragten die Kinder und Jugendlichen hierzu im Mai und verglichen die Zahlen mit denen aus September 2019. Sie wollen die Befragung im Frühjahr 2021 wiederholen, um mithilfe dieser Längsschnittstudie herauszufinden, ob die Mediensucht durch Schulschließungen und eingeschränkte Freizeitaktivitäten tatsächlich wächst. Die Antwort liegt eigentlich auf der Hand, schließlich gaben die Heranwachsenden als Gründe für Gaming und Soziale-Medien-Nutzung an, vor allem Langeweile bekämpfen zu wollen und soziale Kontakte aufrecht zu erhalten. Rund ein Drittel gab auch an, digitale Medien zu nutzen, um der Realität zu entfliehen, Stress abzubauen und Sorgen vergessen zu wollen. Sollte eine zweite Welle der COVID-19-Pandemie tatsächlich kommen und ein erneuter Lockdown notwendig werden, inklusive Schließung von Schulen sowie Sport- und Freizeitvereinen, würde man noch mehr mediensüchtige Kinder heranziehen. Natürlich sollten digitale Medien nicht grundsätzlich verteufelt werden. Ohne sie wäre der Coronalockdown nicht so gut bewältigt worden. Lernplattformen und Videokonferenzen haben zumindest einen Teil des Unterrichtsausfalls auffangen können. Doch von diesen Anwendungen wird sicherlich kein Heranwachsender abhängig werden.

Ein zweiter Lockdown wäre fatal für die junge Generation und sollte am Ende einer Kette möglicher Maßnahmen zur Eindämmung von SARS-CoV-2 stehen. Davon unabhängig ist es wichtig, dass sich Eltern mit dem Medienverhalten ihrer Kinder konfrontieren und Regeln einführen. Erstaunlicherweise gaben rund die Hälfte der befragten Eltern der Nutzungsstudie an, dass es vor und während der Coronapandemie keine zeitlichen Regeln für Medienkonsum in ihren Familien gab. Rund 80 Prozent haben zudem keine Ahnung von den Inhalten mit denen sich ihre Kinder online beschäftigen. Kinder- und Jugendpsychiater Thomasius macht dies „große Sorgen“ und er fordert entsprechende Präventionsansätze. Doch wie kann man Eltern dabei unterstützen, den Medienkonsum ihrer Kinder zeitlich zu begrenzen ohne tägliche Konflikte? Die Drogenbeauftragte und die Beauftragte für Digitalisierung der Bundesregierung haben hierfür die neue Kampagne „Familie. Freunde. Follower“ gestartet. Ob das hilft, ist ungewiss – zumindest ist das Thema jetzt endlich auf der politischen Agenda.

Quelle: DEUTSCHES ÄRZTEBLATT PP 8/2020