Ärzte fordern bessere psychosoziale Betreuung für Kinder mit Diabetes

Für Eltern mit an Diabetes erkrankten Kindern gibt es zu wenig psychosoziale Hilfen, kritisiert die Deutsche Diabetes Gesellschaft. Es brauche dringend mehr entsprechende Angebote in der Langzeitbehandlung.

Ärzte haben die mangelnde psychosoziale Betreuung von Eltern beklagt, deren Kinder an Diabetes erkrankt sind. „Trotz eines insgesamt hohen Qualitätsniveaus in der somatischen Versorgung von Menschen mit Diabetes gibt es in Deutschland noch erhebliche Defizite in der psychosozialen Versorgung“, sagte der Vizepräsident der Deutschen Diabetes Gesellschaft (DDG) Professor Andreas Neu anlässlich des „Zukunftstags Diabetologie“ am Donnerstag in Berlin.

„Psychische Determinanten“ bei Diabetes fänden häufig zu wenig Beachtung und würden als nachrangig gegenüber der Stoffwechselqualität gelten. Dabei hätten sie erheblichen Einfluss auf den Stoffwechsel, sagte Neu, der als Oberarzt an der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin am Universitätsklinikum Tübingen praktiziert. Haus- wie Fachärzte müssten sich stärker zu Fragen der psychosozialen Betreuung chronisch Kranker weiterbilden. Derzeit hätten weniger als zwei Prozent der rund 9200 Mitglieder der DDG eine psychologische Ausbildung.

In den vergangenen zwei Dekaden sei die gesundheitliche Prognose von Kindern und Jugendlichen mit Typ-1-Diabetes „dank moderner Insuline, neuer Diabetes-Technologien und qualifizierter Schulungen eindrucksvoll verbessert“ worden, sagte die Vize-Vorsitzende der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie der DDG Professor Karin Lange. „Diese Erfolge setzen wir aufs Spiel, wenn wir die psychosoziale Unterstützung der Familien nicht ausbauen.“

Typ-1-Diabetes: Einschnitt in die Lebensplanung

Lange sprach von einer „Doppelbelastung“ für Eltern von Kindern mit Diabetes. Diese müssten eine immer komplexere Therapie an 365 Tagen eines Jahres „konsequent und sachkundig“ umsetzen und gleichzeitig „liebevoll und zugleich konsequent ihren Kindern gegenüber auftreten“. Das erfordere viel emotionale Wärme, klare Regeln, Kommunikationsbereitschaft und eine starke Führung. „Für viele Eltern ist das ganz schön schwierig.“

Die Diagnose Diabetes Typ 1 bei einem Kind stelle für Familien ein Einschnitt in deren Lebensplanung dar, betonte Lange. Auch wenn die betroffenen Mütter und Väter in spezialisierten pädiatrischen Diabeteszentren mit den Herausforderungen der Diabetes-Behandlung vertraut gemacht würden und dort Schulungen erhielten, sei der Bereich der psychologischen und sozialen Beratung nur unzureichend ausgestattet. Notwendig seien daher veränderte Finanzierungskonzepte in der Gesundheitsversorgung, die mehr „grundlegende Maßnahmen psychosozialer Versorgung bei Diabetes mellitus ermöglichten, so die Forderung der DDG-Experten.

Professor Bernhard Kulzer vom Diabetes-Zentrum Bad Mergentheim und erster Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Diabetes und Psychologie der DDG wies darauf hin, dass knapp die Hälfte aller Patienten mit Typ-1-Diabetes und etwa jeder vierte Patient mit Typ-2-Diabetes in Deutschland aufgrund der Erkrankung seelisch stark belastet sei. Studien zeichneten hierzu ein geradezu „fatales Bild“, so Kulzer.

Erhöhtes Erkrankungrisiko durch Distress

Erhöhte diabetesbezogene Belastungen, sogenannter Diabetes Related Distress, seien Risikofaktor für das Entstehen von Depressionen oder Angst- und Essstörungen. Allein die Wahrscheinlichkeit für eine Depression sei um das 2,5-fache erhöht. Trotz dieser Befundlage gebe es in Deutschland bislang „keine flächendeckenden psychosozialen Angebote für Menschen mit Diabetes.“

Selbst in entsprechenden Disease-Management-Programmen kämen psychotherapeutische Interventionen – wie sie etwa im DMP Brustkrebs angelegt seien – bislang zu kurz. Kulzer forderte zudem mehr Beratungsangebote für Menschen mit Diabetes. Sie könnten einen wichtigen Beitrag zur Prävention psychischer Störungen durch die Erkrankung leisten.

Quelle: https://www.aerztezeitung.de vom 17.10.2019